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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Füßen auf einem kleinen, von spärlichem Grase überwachsenen Fleckchen einen weißen Schein – ein zitternder Schreck überkam sie, hastig neigte sie sich nieder, und sie hatte sich nicht getäuscht – was da im Abendwind auf hohem dünnen Stengel sachte schaukelte, war ein Edelweiß von seltener Größe.

Wohl nur die Trostlosigkeit der Lage, in welcher sich Veverl befand, mochte sie an die Hoffnung glauben lassen, die jäh und brennend in ihrem Herzen emporschoß, während sie sich von ihrem Sitze gleiten ließ und dem grasigen Fleckchen näher rückte. Wie ein Espenzweiglein bebte ihr die Hand, mit der sie die schwankende Blume brach. Ein tiefer, angstvoller Seufzer schwellte ihre Brust; dann hob sie die Blume nahe zum Gesichte, doch bei der herrschenden Dämmerung sah sie nur einen runden, weißen Schimmer vor den in Thränen schwimmenden Augen. Mit zitternden Fingern begann sie die Strahlen des Edelweißsternes zu befühlen – nannte dazu mit flüsternden Lippen Zahl um Zahl – je weiter sie zählte, desto mehr steigerte sich ihre Unruhe und Erregung – bis auf zwanzig hatte sie schon gezählt, als sie tief athmend einen Augenblick inne hielt – dann zählte sie weiter – „siebenundzwanzig, achtundzwanzig,“ stieß sie mit stockender Stimme vor sich – und da nannte sie nun keine Zahl mehr, doch wieder fühlte sie einen Strahl des Sternes – und jetzt den letzten vor den beiden Fingern, in denen sie zum Merkmal noch den ersten hielt.

„G’funden hab’ ich’s – g’funden – ’s Edelweißbleamerl!“ stammelte sie unter Zittern und Schluchzen. „Du lieber – du guter Herrgott – du willst mir helfen in meiner Noth – –“ Sie verstummte, doch nur für die Dauer eines stockenden Athemzuges, dann klangen mit leisem Raunen, jedoch in steigender Hast, von ihren Lippen die Worte:

„Edelweißkönig, ich ruf’ dich an!
Ich lieb’ dein Bleamerln, hab’ kei’m noch ’was ’than!
Dreiß’g sammetne Strahl’ am gottseinzigen Stil,
Is nimmer net z’wenig, is nimmer net z’viel!
Dein Bleaml is g’wachsen, dein Bleaml hat ’blüht,
Der Herrgott hat’s g’schaffen und du hast es b’hüt’!
Aus Näch’ oder Weiten, aus Berg oder Thal,
Dein Bleaml, das b’ruft dich von überall!
Ob z’öberst in Lüften, ob z’tiefest im Grund,
Edelweißkönig, jetzt thu’ dich kund!
Edelweißkönig, in Herrgottsnam!
Edelweißkönig, ich ruf’ dich an!“

(Fortsetzung folgt.)

Römische Cäsaren.

Von Johannes Scherr.
I.0 Tiberius.
(Fortsetzung.)
3.

Ja, der Sonnenschein im Leben des Tiberius hielt nicht lange vor. Schon zog eine dunkle Wolke nach der andern am Horizont herauf und bald war das ganze Firmament über dem Prinzen eine bleischwere Düsterniß.

Die dynastische Politik des alternden Kaisers vernichtete unbedenklich das eheliche Glück und den häuslichen Frieden seines Stiefsohns. Augustus trachtete auf alle Weise, sein Haus im Besitze des Principats zu erhalten oder, nach unserer Ausdrucksweise, seine Dynastie auf dem Throne zu befestigen. Hiergegen vermochte keinerlei andere Rücksicht aufzukommen. Nun hatte er aber keinen legitimen Sohn und also beruhten seine dynastischen Wünsche und Hoffnungen auf seiner einzigen legitimen Tochter Julia, welche seine erste Gattin Scribonia ihm geboren hatte. Die Prinzessin war schon zweimal verheiratet gewesen, erst mit des Kaisers Neffen Marcellus, dann nach dessen Ableben mit dem General und Minister Agrippa, dem Schwiegervater des Tiberius. Julia stand in ihrem achtundzwanzigsten Jahre, als Agrippa starb. Ob sie, deren begehrliches Auge noch bei Lebzeiten ihres zweiten Mannes auf den „schönen“ Tiber gefallen, oder ob, wie stark zu vermuthen steht, die Augusta Livia dem Augustus den Gedanken einer Heirat ihres Sohnes mit ihrer Stieftochter eingeblasen, muß dahingestellt bleiben. Genug, der Kaiser befahl seinem Stiefsohn, der zärtlich von diesem geliebten Vipsania den Scheidebrief zuzustellen und die Julia, welche von Tiberius verabscheut wurde, zu heiraten. Widerspruch war unmöglich und der Prinz fügte sich in das Unvermeidliche. Vipsania ward verstoßen und i. J. 10 v. Chr. hielt Tiber seine unselige Zwangshochzeit mit der Tochter seines Stiefvaters.

Um zu wissen, was das heißen wollte, muß man sich erinnern, wer und was die Julia war. Ein Weib nämlich, welches den trefflichen, ja geradezu großen Agrippa in schnödester Weise hintergangen hatte. Ja, des Augustus einzige Tochter müßte unbedingt das verrufenste Weib ihrer Zeit genannt werden, so ihr Verruf etwas später nicht durch die Aufführung ihrer gleichnamigen Tochter, der jüngeren Julia, einigermaßen hintangedrängt worden wäre. Als Frau des Agrippa hatte sie fünf Kinder geboren, die vom Augustus adoptirten Prinzen Gajus Cäsar, Lucius Cäsar und Agrippa Posthumus, sowie die Prinzessinnen Agrippina und Julia. Es schien also zur Fortpflanzung des julisch-augustischen Hauses genug Material vorhanden. Die Mutter der genannten Prinzen und Prinzessinnen kümmerte sich aber weder um diese, noch um die dynastischen Sorgen und Hoffnungen ihres Vaters. Sie lebte nur ihren Lüsten und führte ein Lasterleben, welches sogar einem so ausgesprochenen Höfling, wie der unter Tiberius dienende Stabsofficier Vellejus Paterculus, Verfasser eines Abrisses römischer Geschichte, einer war, Worte der Entrüstung entriß. Er sagt: „Des Augustus Tochter Julia, ganz und gar uneingedenk, was sie einem solchen Vater und einem solchen Gatten (Agrippa) schuldete, übersprang in ihren Ausschweifungen alle Schranken der Schamlosigkeit. Die Hoheit ihrer Stellung hat sie zum Maßstab ihrer Frechheit im Sündigen gemacht und alles für erlaubt gehalten, wonach sie verlangte.“ Etwas später hat Seneca, der Lehrer des Kaisers Nero, in einer seiner Schriften einen Auszug aus den amtlichen Untersuchungs- und Anklageakten mitgetheilt, welche nach dem Fall der Prinzessin auf Befehl ihres Vaters gegen sie aufgesetzt worden waren. Das ist eine Schandsäule, wie wohl keine zweite irgendwo für eine Frau aufgerichtet worden ist.

Dieses Weib zu ehelichen wurde Tiberius gezwungen, von seinem kaiserlichen Stiefvater gezwungen, unter Beihilfe seiner eigenen Mutter Livia, deren Ehrgeiz sich der Hoffnung, obzwar vorerst nur einer sehr nebelhaft unbestimmten Hoffnung überließ, mittels der Heirat ihres Sohnes mit der einzigen Tochter ihres Gemahls könnte die Thronnachfolge in ihr eigenes Geschlecht gebracht werden. Sueton erzählt, daß der Prinz nur mit großer Herzbeklemmung („non sine magno angore animi“) gehorsam sich erwiesen habe, und setzt hinzu: „Die erzwungene Scheidung von der Vipsania schmerzte ihn tief und lange. Als er der Verstoßenen einmal zufällig begegnete, sah er ihr mit so starren und thränenvollen Augen nach, daß man Vorsorge traf, sie ihm fortan fernzuhalten.“ Es bedarf keiner betonten Hinweisung, daß alles, was mit der Ehescheidung und der neuen Eheschließung Tibers zusammenhing, wie ein scharfer und vergifteter Stachel in eine ohnehin zur Schwermuth geneigte Menschenseele sich einbohren mußte. Der unglückliche, gerade in seinen besten und zartesten Gefühlen so roh verletzte Mann fügte sich zuvörderst, gewiß hauptsächlich um seiner Mutter willen, unter das ihm auferlegte Joch. Die übelzusammengefügte Ehe mit der Julia währte jedoch – wie etwas vorgreifend gleich hier noch gesagt werden mag – nicht lange, wenigstens thatsächlich nicht lange. Nachdem der Sohn, welchen sie ihm geboren, bald nach der Geburt gestorben, schied sich der Prinz thatsächlich von der Zuchtlosen, wennschon er es nicht wagte, diese Scheidung auch öffentlich und rechtskräftig zu machen.

Bevor es dazu gekommen, hatte den Tiberius von anderer Seite her ein schwerer Schlag getroffen. Er hatte, aus seinem dritten Feldzug in Pannonien zurückkehrend, im Herbst des Jahres 8 v. Chr. in Pavia eine Zusammenkunft mit dem Augustus und der Livia, als in die genannte Stadt die Nachricht gelangte, sein Bruder Drusus, welcher das römische Heer in Germanien befehligte, sei von einem lebensgefährlichen Unfall betroffen worden. Derselbe hatte nämlich bei einem Sturz mit dem Pferde den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_795.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)