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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

hundert Variationen auftauchenden Straßendampfwagen und Dampfkutschen für alleinige Personenbeförderung – eine der unglücklichsten und undankbarsten Ideen in der Geschichte des Verkehrswesens – beharrlich als Oppositionsmittel. Das Feldgeschrei der englischen Straßendampfwagen-Fabrikanten fand helles Echo in der deutschen Tagespresse; der Marburger Professor Alex. Lips und ein gewisser Schmitz in Erlangen prophezeiten sogar in Schriften den baldigen Sieg jener Mitteldinger zwischen Spannfuhrwerk und Lokomotive über die Eisenbahnen.

Unbeirrt durch alle Bedenken und Einreden brachte das Eisenbahnkomité nach vorausgegangenen Frequenzbeobachtungen auf der Nürnberg–Fürther Chaussée am 14. Mai 1833 die „Einladung zur Gründung einer Aktiengesellschaft“ – eine meisterhafte Arbeit Scharrer’s – vor das Publikum; der vom Professor Kuppler angefertigte Kostenanschlag forderte für die nach englischen Vorbildern zu erbauende Bahn ein Aktienkapital von 132 000 Gulden und stellte eine jährliche Rente von 121/2 Procent in Aussicht. Der König genehmigte den Namen „Ludwigs-Eisenbahn“. Die rege Theilnahme an der Aktiensubskription übertraf alle Erwartungen, schon bei der ersten Versammlung der Aktionäre am 18. November 1833 waren sämmtliche 1320 Aktien, größtentheils im Schoße Nürnbergs, gezeichnet, es konnten die Statuten und die (höchst einfache) Verfassung der Gesellschaft berathen und das Direktorium aus sieben Mitgliedern gewählt werden. An dessen Spitze traten Platner als Direktor und Scharrer als dessen Stellvertreter und Referent. Der allererste ins Leben getretene deutsche Aktienverein im Gebiete des Verkehrswesens, ja in Bayern die erste anonyme Gesellschaft überhaupt, war somit Thatsache. Drei Monate später erfolgte die königliche Privilegirung derselben auf dreißig Jahre.

Die von Baader warm empfohlene versuchsweise Anwendung seiner „neuesten Erfindung für Eisenbahntransport“ schien dem Direktorium ebenso wenig geeignet wie das von Fr. List lebhaft befürwortete wohlfeile amerikanische Oberbausystem mit eisenplattirten Holzschwellen. Hingegen beschloß man nach dem Vorgange der von Scharrer persönlich besichtigten Eisenbahn St. Etienne–Lyon neben der Dampfkraft auch die Pferdekraft anzuwenden. Die beabsichtigte Uebertragung der Bauleitung an einen Ingenieur Stephenson’s scheiterte an den übertriebenen Gehaltsansprüchen; da half der Zufall. Scharrer war in München durch Leo von Klenze auf den königlich bayerischen Bezirksingenieur Paul Denis, der eben erst die Eisenbahnen jenseit des Kanals bereist hatte, aufmerksam gemacht worden. Dieser nahm die ihm angebotene Bauleitung an und überhob dadurch das Direktorium der Mühe, den Engländern gute Worte und viel Geld geben zu müssen. Denis war klug genug, Stephenson’s Errungenschaften ohne wesentliche Abänderungen nach Deutschland zu verpflanzen.

Das Jahr 1834 verfloß mit den technischen Vorarbeiten, mit Einleitung der Hauptlieferungen, mit Erforschung von Kohlenbezugsquellen und mit Durchführung des ganz neuen und mangels eines Zwangsabtretungsgesetzes äußerst schwierigen Geschäftes der Grunderwerbung. Im Januar 1835 erfolgte die Verdingung der Schienen und Schienenstühle (chairs), im Mai wurde der erste Spatenstich gemacht und im Juli die erste Schiene gelegt. Zur Anfertigung der einköpfigen Walzschienen hatte sich im ganzen Zollvereinsgebiete nur Remy bei Neuwied bereit erklärt; die gußeisernen Chairs, mittelst deren die Schienen auf Steinquadern zu ruhen kamen, lieferten die Hütten der Gebrüder Gemeiner in Hüttensteinach, die Personenwagen – Güterbeförderung fand auf der Ludwigsbahn niemals statt – fertigten Nürnberger und Fürther Meister mit alleiniger Ausnahme der aus England bezogenen gegossenen Räder und der Wagenachsen. Im Oktober kam die in Stephenson’s Werkstätten gebaute Lokomotive „Adler“ und auch ihr künftiger Führer, der wackere Wilson aus Newcastle, nach umständlicher Reise zu Schiff und Wagen glücklich in Nürnberg an. Dieser erste und kleinste Dampfwagen Deutschlands, gegen welchen unsere heutigen Zugmaschinen wie Riesen erscheinen würden, leistete nur die Kraft von 15 bis 20 Pferden, wog mit Wasser und Kohlen 61/2 Tonnen (6500 kg) und kostete mit Transport 17 000 Mark.

Nur dem eifrigsten Zusammenwirken von Denis und Scharrer war es zuzuschreiben, daß die Bahnweihe an dem voraus bestimmten Tage stattfinden konnte. Hatte die am Vorabend derselben abgehaltene Generalversammlung einen erfreulichen Beweis geliefert von dem die Gründer wie die Aktionäre beseelenden Geiste und der patriotischen Gesinnung, so legte der Jubel, das Staunen und die Begeisterung des in unermeßlichen Scharen zur feierlichen Eröffnung des Schienenweges am 7. December 1835 herbeiströmenden Volkes beim Vorüberfliegen des geschmückten Festzuges Zeugniß ab von dem richtigen Erfassen der segenspendenden Kraft des in so kleinem Raume eingeschlossenen Elementes. Zahlreich langten Glückwunsch-Schreiben ein von verschiedenen Eisenbahnkomités, von hohen und höchsten Herrschaften des In- und Auslandes; eine ganz besondere Anerkennung ward den Unternehmern beim Besuche des Landesherrn am 17. August 1836 zu Theil.

Der Fahrpreis in den mit Glasfenstern versehenen Wagen I. Klasse betrug die Hälfte gegenüber den bisherigen Eilwagenfahrten und den siebenten Theil gegenüber den Kutschenfahrten zwischen Nürnberg und Fürth. Gar bald vermehrte man die Dampffahrten und verminderte die Pferdefahrten, welch’ letztere im Jahre 1856 völlig eingestellt wurden. Trotz karger Besoldung erfüllte das Bahnpersonal, obenan Betriebsinspektor Löhner und Lokomotivführer Wilson, mit Treue und Hingebung seine Pflichten. Denis’ Kostenanschlag von 140 000 Gulden wurde aus unvorhergesehenen Ursachen überschritten, so daß das Aktienkapital auf 177 000 Gulden erhöht werden mußte. Immerhin bleibt dieser Schienenweg die wohlfeilste je in Europa gebaute Lokomotivbahn und ist die bestrentirende Eisenstraße Deutschlands auch heute noch, trotz der Mitbewerbung zweier parallel laufender Bahnen, der Staatsbahn Nürnberg–Bamberg und einer Straßen-Pferdebahn. Zum öfteren ertrug die Ludwigsbahn mehr als 20 Procent, nie aber weniger als 12 Procent Dividende. Die Gesellschaft hatte in dankbarer Erinnerung dem hochverdienten J. Scharrer nach seinem am 30. März 1844 erfolgten Tode im ersten deutschen Bahnhofe am „Plerrer“ zu Nürnberg ein Denkmal errichtet. Schlicht und einfach ist die von Meister Burgschmiet in Erz gegossene Büste; schlicht und einfach wie Scharrer im Leben war, den bei allen Thaten sein Wahlspruch leitete: „Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“

Man blicke nicht geringschätzend auf das kleine Stückchen Eisenbahn, das bald nach seiner Inbetriebsetzung einen unverkennbaren moralischen Einfluß auf alle geplanten gleichartigen Unternehmungen äußerte, die Kleingläubigen bekehrte und alle Witzeleien verstummen machte.

Erst seit dem vortrefflich gelungenen Versuche des Dampftransportes zwischen Nürnberg und Fürth stammen die fruchtbringenden Anstrengungen verkehrsreicher Städte, um in den Besitz von Eisenbahnen zu kommen. Doch vergingen noch Jahre, bis die Maschen eines zusammenhängenden Netzes von Eisenstraßen geknüpft und dadurch der industriellen Wiedergeburt die kräftigsten Stützpunkte verliehen waren. Die Riesenfortschritte der deutschen Dampfeisenbahnen hinsichtlich ihrer räumlichen Ausdehnung und inneren Entwickelung sind mehr bekannt und mehr beachtet, als deren Anfänge. Deutschland steht heute, was die absolute Länge seiner Schienenwege – in diesem Augenblicke mehr als 36 200 Kilometer – betrifft, allen Ländern Europas weit voran; das auf sie verwendete Anlagekapital hat das hübsche Sümmchen von 9 Milliarden Mark bereits überschritten. Wenn wir heute, die wir schon ein halbes Jahrhundert all der Segnungen des geflügelten Rades theilhaftig geworden sind, die wir bequem und sicher von der Eilkraft des Dampfes durch Schluchten und Berge, über Thäler und Ströme getragen werden, uns im Geiste zurückversetzen in jene Zeit, als Nürnbergs Söhne von Unternehmungsgeist und Thatkraft beseelt das eiserne Band um zwei regsame Städte zu legen sich anschickten, da muß freudiger Stolz über das Vollbrachte uns erfüllen. Ehren wir aber auch mit dankbarem Angedenken die Thaten unserer Vorfahren und wünschen wir der Ludwigs-Eisenbahn, der kleinsten unter ihren Schwestern, die sich jedoch rühmen kann, Deutschlands erste Lokomotivbahn zu sein, auch für die Zukunft Blühen und Gedeihen!


Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.
(Fortsetzung.)

Wie der Wagenschlag so jählings aufgerissen worden war, hatte Bianca mit flüchtigem Blick nur grünes Gesträuch und blinkenden Sonnenschein wahrgenommen. War’s ein Stückchen Prater? Gleichviel! Erst morgen um diese Zeit wollte sie sich erkundigen, wo sie sich befänden.

Edgar bestürmte sie mit Fragen, die sie nicht recht hörte; er bedeckte ihre Handschuhe mit Küssen, die sie nicht recht fühlte.

Erst, als er sich in Stimmung zeigte, nach und nach etwas mehr als die Handschuhe zu küssen, munterte sie sich auf und sah ihn so vorwurfsvoll bittend an, daß er nur noch einmal heftig ihre Fingerspitzen drückte und dann so weit als möglich von ihr abrückte.

Also in die Ecke des Wagens gedrückt, sah er sie nachdenklich an, wie schön sie war! Schöner als je in der Verwirrung und Erregung des unwiederbringlichen Augenblicks! Und sie war sein! Die Entscheidung war gefallen, früher, vollkommener, rückhaltloser, als er je zu hoffen gewagt hatte. Nun konnt’ er leicht Geduld haben, sie wird ja doch seine Sehnsucht krönen. Die Zurückhaltung, die Verzögerung verlieh dem sicheren Besitz, der ihm bevorstand, nur höheren Reiz.

Wie berauschend fühlten sich diese Minuten voll erhöhten Lebensgefühls, voll verdreifachter Glückseligkeit!

Sie sprachen mit einander. Erst recht verliebtes Zeug; sie dankte ihm für seine opferbereite Freundschaft; er dankte ihr für ihr rückhaltloses Vertrauen, für die Wonne, mit ihr in die weite Welt rollen zu dürfen, für das ganze beseligende Abenteuer; jeder in seiner Art sich das Thun des Anderen zurechtlegend und in der Zukunft nur das sehend, was er sich wünschte.

Mitten in dieser Gefühlsschwelgerei wurden sie durch ein plotzliches Stillstehen des Wagens erschreckt.

„Was bedeutet das? Werden wir angehalten?“ rief Bianca todtenblaß. Sie machte Miene, aus dem Wagen zu springen. Aber noch ehe sie die Hand auf den Drücker gelegt, hatte sich Edgar schon beruhigt und bedeutete leise die Geängstigte: „Wir fahren wohl durch die Linie.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_799.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)