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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Fäuste wider die Stirn, „ja dummer Bauernkerl, verstehst es denn net, das is ja gleich auf gleich!“

„Vaterl, Vaterl!“ schluchzte das kleine Liesei und streckte mit ängstlicher Gebärde die Aermchen zu Jörg empor. Für einen Augenblick drückte Jörg die Fäuste über seine brennenden Lider, dann riß er den Knaben an sich, der mit trutzigen Blicken die Gestalt des Gastes maß, und schlang den zitternden Arm um den Flachskopf des schluchzenden Dirnleins.

„Sei stad, Deanei, mein lieb’s – sei stad und mußt net weinen!“ stammelte er. „A blinder Bruder bin ich g’wesen, aber Dir will ich a Vater sein mit offene Augen!“ Und zu Luitpold sich wendend, fuhr er mit harter Stimme fort. „Ah – ja – eins hab’ ich vergessen – und ich will net ung’recht sein. Der gnädige Herr Graf hat sich ja so viel Müh g’macht, mei’m Ferdl sein’ guten Namen wieder z’ geben – im Augenblick erst hab’ ich’s derfahren! A recht a gute, gnädige Lug’! Freilich, lang g’nug hat’s ’braucht – und wissen kann man auch net, weßwegen eigentlich der Herr Graf so gnädig war! D’ Leut’ halt! Net wahr? D’ Leut’! Die wann sich denken müßten: das hat der Ferdl ’than, der Bruder von dem armen Deandl, wo sich hat ins Wasser stürzen müssen – da konnten sie sich leicht auch denken, es is ’was g’schehen, wo dem Bruder a Recht ’geben hat, daß er d’ Hand aufhebt gegen den, der – der – Und freilich, so was wär’ gar an arger ‚Schmerz‘ für so an nobligen Herrn, wenn d’ Leut’ sich so ’was denken müßten von ihm. Aber no – die Lug’ is g’sagt, und ich muß dem gnädigen Herrn Grafen auch noch danken dafür von ganzem Herzen. ’leicht denkt sich Keiner net, wozu man’s brauchen kann – und – schriftlich hab’ ich s’ ja auch für alle Fäll’!“ Tiefathmend schwieg er und sank erschöpft auf die Holzbank nieder.

Luitpold stand regungslos, mit todtenblassem Gesichte und flammenden Augen.

„Halb nur versteh ich, was Ihr sprecht,“ sagte er, und die Worte lösten sich schwer und stockend von seinen Lippen, „aber was ich verstehe, das ist eine Sprache, die ich nicht länger anhören darf, wenn ich nicht vor mir selbst erröthen will. Meine plötzliche Ankunft, mein unerwarteter Anblick mag Euch so über alles Maß erregt haben. Ihr seid ungerecht! Aber ich zürne Euch nicht – ich sehe nur, daß in dieser Stunde eine Verständigung zwischen uns unmöglich ist. Ihr würdet mir nicht glauben, wenn ich Euch sagen wollte, daß ich erst vor wenigen Tagen von dem entsetzlichen Ende vernommen habe, das der Bruder meiner Johanna gefunden. Ich bin gekommen, weil mein Herz mich zu Euch getrieben hat, um zu trösten und Trost zu empfangen. Was geschehen ist, Jörg, das ist geschehen und unabänderlich. Wen es härter getroffen, Euch oder mich, das mag nur Einer entscheiden, der in unsere Herzen sieht. Aber ich weiß, die Stunde wird nicht ausbleiben, die Euch sagen wird, daß ich mehr Euer Mitgefühl verdiene als Euern Groll.“

Luitpold schwieg, als vermöchte er nicht weiter zu sprechen. Mit feuchten Augen starrte er die beiden Kinder an – dann wieder klang es mit leisen, zitternden Worten von seinen Lippen.

„Ihr, Jörg, Ihr habt nur ein Theil von dem verloren, was Euer Herz besaß – mir ist mit Johanna mein Alles gestorben!“

Es war ein Ton in diesen Worten, von dem sich Jörg in innerster Seele betroffen fühlte, das sah man seinem Gesichte an, auf welchem jählings alle Zeichen des Grolles und der Leidenschaft wie ausgelöscht erschienen. Banges Staunen sprach aus seinen Augen, ein Zucken und Zittern kam in seine Züge – dann plötzlich sprang er auf und streckte, überwältigt von tiefer Bewegung, dem jungen Manne die beiden Hände entgegen.

Luitpold sah es nicht mehr; hastig hatte er sich abgewandt, als hätte er die Thränen verbergen wollen, von denen seine Augen überflossen. Und ehe Jörg ein Wort über die Lippen zu bringen wußte, schloß sich hinter seinem Gaste die Thür.

Gidi hatte seinen Herrn im Hof erwartet, wortlos schritt er mit ihm die Straße dahin. Luitpold mit scheuen besorgten Blicken von der Seite betrachtend, dann fing er schüchtern zu reden an, von den Auerhähnen, die heuer so ein „g’sundes Frühjahr“ gehabt hätten, von einem „Kapitalhirsch“, der nahe bei der Jagdhütte seinen Stand hielte, und von drei „Fetzengamsböck“, die droben auf der Höllenleithe so „g’fangig“ stünden. So redete er zu und wurde immer eifriger und lauter, als hätte er gar kein Auge dafür, daß sein Herr auf seine Worte kaum zu hören schien.

Sie hatten die Straßenkreuzung vor der Kirche erreicht, als Luitpold die Schritte verhielt.

„Geh’ nur, Gidi, geh’!“ sagte er. „Zu Hause treffen wir uns wieder.“

Gidi aber ging nicht. Wie angewurzelt stand er und folgte mit traurigen Blicken seinem jungen Herrn. Er sah ihn den Friedhof betreten, die Reihen der Hügel und Kreuze wie suchend durchwandern und endlich vor einem Grabe stille stehen und das Gesicht in beide Hände bergen.

Als Luitpold die Straße wieder betrat, meinte Gidi, das hätte eine Ewigkeit gedauert. „Müssen’s S’ net harb sein, Herr Graf, daß ich g’wart’t hab’,“ stammelte er, „ich hab’ mir halt ’denkt –“ und da wußte er mit einem Male gar nicht, was er denn eigentlich gedacht hatte.

Luitpold reichte ihm die Hand. „Gidi – wir wollen zu Berge steigen. Ich muß hinauf – hinauf! Die Luft hier unten erdrückt mich!“

Da schnalzte Gidi mit den Fingern und hätte am liebsten einen Juhschrei gethan.

Zwei Stunden später brachen sie auf. Als sie über den Wiesenhang dem Walde zustiegen, sah Gidi über die Straße, die zur Bahnstation führt, eine offene Kutsche dahinrasen, daß der Staub in dicken Wolken hoch empor wirbelte.

„Wo mag denn der jetzt hinfahren?“ frug er sich, als er in der Kutsche den Finkenbauer zu erkennen meinte.


Drei Nächte und zwei Tage war Veverl schon vom Finkenhofe ferne. „Na – so a weite Wallfahrt!“ schmollte das Liesei unablässig, und immer wieder rechnete sie dem Pepperl an den Fingerchen vor, welch’ eine „fürchtig“ lange Zeit verstrichen wäre, seit die Veverlbas den Hof verlassen hatte.

Und diese lange, lange Zeit, wie kurz war sie dem fernen Mädchen selbst erschienen!

In dieser immergleichen, von flackerndem Fackelschein erhellten Nacht, in der sie weilte, hatte Veverl alles Gefühl für die verstreichende Zeit verloren. Draußen über den Felsen brach der dritte Tag schon an, und Veverl wähnte die erste Nacht noch nicht vergangen. Bei Allem, was sie sah und hörte, was sie dachte und fühlte, waren ihr die Stunden wie Minuten verflogen. Sie konnte sich nicht einmal darüber wundern, daß sie so häufig zu essen und zu trinken bekam und immer wieder zu schlafen vermochte, – sie schrieb das kurzweg auf Rechnung der „zaubermaßigen“ Behandlung, in der sie sich mit ihrem kranken Fuße zu befinden wähnte. So mußte sie auch glauben, daß die Besserung, die ihr Fuß in diesen Tagen und Nächten zeigte, der Erfolg von wenigen Stunden wäre. Das erfüllte sie aber durchaus nicht mit irgend welchem staunenden Respekte vor der Heilkunst ihres Alfen, es war dies in ihren Augen nur die selbstverständliche Bestätigung für eine jener wundersamen Anschauungen, die sie von ihrem wunderlichen Vater überkommen und während ihres einsamen, idyllischen und träumerischen Lebens im Waldhause genährt und großgezogen hatte, an die sie glaubte wie an den lieben Herrgott im Himmel droben. Ihre Seele glich dem See im Märchen, um welchen Kobolde, Wichtlein und Zwerge ihre Spiele treiben, in welchem Nixen und Schwanjungfrauen auf- und niedertauchen und goldene und silberne Fischlein schwimmen, um dessen weiße Rosen die luftigen Elfen ihren Reigen schlingen, während hoch darüber hin im Blumenwagen die Feeen schweben, indeß der Himmel mit seinen ewigen Sternen in der Fluth sich spiegelt, die so lauter und keusch ist wie der Quell, der aus Felsen springt – und so liegt der See in seiner geheimnißvollen Stille, bis das bärtige Sonntagskind an seine Ufer tritt, den Zauber bricht und die in den See gebannte Maid gewinnt für ein Leben in Glück und Sonne – „in Glück und Licht“, wie Veverl den Edelweißkönig in ihrem seltsamen Traume hatte sagen hören.

Als sie damals aus dem Schlafe erwacht war, der an den „Traum“ sich angesponnen, hatte sie sich an Alles genau erinnert, was sie geträumt zu haben glaubte – und da hatte sie um ihrer „geträumten Keckheit“ willen kaum den Muth gefunden, ihrem Edelweißkönig ins Gesicht zu schauen. Es war aber auch fast so anzusehen, als hätte der Alf in Wirklichkeit verspürt, was sie ihm in ihrem Traume Liebes erwiesen, ein so freundliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_826.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2023)