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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Das is mein Werkstatt,“ sagte er, „mein Keller, mein Stadel, mein Schupfen – und da draußen is der Stall. Ja – schier an ganzen Bauernhof hab’ ich da bei’nander!“

Nahe der hellen Oeffnung stand ein kleiner Tisch, der als Schnitzbank zu dienen schien und mit allerlei Werkzeugen und theils vollendeten, theils halb fertigen Schnitzereien bedeckt war. Daneben stand ein plump aus Brettern gefügter Schrank. In Ecken und Nischen waren Vorräthe von Schnitz- und Brennholz aufgespeichert. An einem in der Wand befestigten Zapfen hingen große Stücke frischen Fleisches, und darunter sah man ein blutiges Lammfell wie zum Trocknen über gekreuzte Stäbe gespannt.

Veverl schaute und schaute, und ihr Köpfchen hatte alle Gedanken voll zu thun, um diese ganze Natürlichkeit, die sich ihren Blicken bot, ins Uebernatürliche zu übersetzen. Und mit allem kam sie zurecht – nur mit den dicken Berggrasbüscheln, die in einer Ecke aufgeschichtet lagen, wußte sie nichts anzufangen. Aber die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten, denn vor jener Oeffnung draußen sah sie auf einem von mageren, mattfarbigen Moose bewachsenen Raume eine Ziege liegen.

Meckernd sprang das Thier in die Höhe, als die Beiden zu ihm hinaustraten aus den von dicht in einander geflochtenen dürren Latschenzweigen umhegten Raum. Es war das die Oberfläche einer mächtigen, überhängenden Felsplatte – und da wußte sich Veverl mit einem Male jenes unablässige Murmeln und Rauschen zu erklären. Weißschäumige Wellen rollten ihr zu Füßen rasch vorüber, um weiter abwärts zwischen steil gesenkten Wänden brausend zu verschwinden, als stürzten sie in bodenlose Tiefe. Ein Schauder überflog das Mädchen, während es die Augen über den Lauf der Wellen aufwärts gleiten ließ bis zu einem brodelnden Wasserkessel, in den aus dunkler Höhe rauschende Fluthen sich ergossen. Es war ein finsterer unheimlicher Anblick, der ihren Augen auf diesem Wege sich bot – überall Zeichen einer wilden Zerstörung und Verwüstung, überall verwaschenes, unterwühltes und zerrissenes Gestein, und in allen Fugen und Schrunden ein wirrer Wust von Unrath und zertrümmertem Holze. Und als sie von diesem finsteren Bilde die Augen zur Höhe hob, in unwillkürlicher Sehnsucht den lichten Himmel suchend, versperrten vorspringende Steinplatten und ineinandergreifende Felsgefüge ihren Augen den Ausblick, so daß sie trostlos wieder zurückkehren mußten zu dem unheimlich rauschenden Gewässer.

„Wie grausig, o wie grausig!“ seufzte Veverl schaudernd auf.

Und der an ihrer Seite stand, der nickte mit dem Kopfe und raunte vor sich hin: „Mein – wie halt der Höllbach is!“

Erbleichend taumelte Veverl zurück. „Jesus Maria – das is – der Höllbach?“ stotterte sie mit versagender Stimme und hob die zitternde Hand, um sich zu bekreuzigen.

Sie fühlte kaum, daß er mit kalter, bebender Hand die ihre faßte, daß er sie zurückführte zu ihrem Lager – sie achtete nur darauf, daß jenes grausige Bild aus ihren Blicken schwand, daß jenes Brausen und Tosen ferner klang und wieder zu sachtem Murmeln und Rauschen sich dämpfte.

Zitternd sank sie auf das Lager nieder und starrte mit angstvollen Augen ihren Edelweißkönig an, der ihr zu Füßen auf den Stuhl sich niederließ, die Arme auf die Kniee stützte und wie in tiefen Gedanken die Stirn in die beiden Hände legte.

Als er nach langer, stummer Weile sich wieder emporrichtete, frug er mit zögernden Worten. „Veverl - sag - weßwegen bist denn gar so arg derschrocken vor’m Höllbach?“

„Weil da an Unglück g’schehn is – a fürchtigs Unglück,“ hauchte es von Veverl’s Lippen, „das hat mei’m Jörgenvetter d’Haar’ grau g’macht und hat ei’m ’s Leben kost’, der’s Leben werth wär g’wesen. Du mußt es ja wissen - Du - der Alles weiß!“

„Ah ja! Wer sollt’s dann wissen, wenn ich’s net weiß!“

Veverl hatte kein Ohr für den seltsamen Ton dieser Worte. „Und Du – Du hättst d’ Macht g’habt, das Unglück zu verhüten – es is ja g’schehn in die Berg,“ so stammelte sie weiter in zitternder Hast, „weßwegen net hast es ’than – weßwegen net hast ihn g’rett’?^

„Schau – wann ich g’wußt hätt’, daß er Dich gar so dauert – wer weiß – ’leicht hätt’ ich’s ’than. Und wenn er jetzt leben thät’ – sag, Veverl – wärst ihm a bißl gut g’wesen?“

„Oh g’wiß – von ganzem Herzen gut! An einzigsmal g’rad hab ich ihn g’sehen – aber – in der Nacht halt – und so viel derschrocken bin ich g’wesen – aber allweil hab’ ich an ihn denken müssen. Und Alle, Alle sagen, daß er so brav is g’wesen und so rechtschaffen – und Keiner will’s glauben, daß er so ’was Fürchtig’s ang’stellt haben könnt’ – und daß er –“

„Daß er Menschenblut an seine Finger hat!“

Veverl erschrak bis in die Seele vor dem dumpfen, tonlosen Klange dieser Stimme.

„Gelt? Jetzt verschlagt’s Dir d’ Red?! Aber schau – wenn D’ wissen thätst, wie Alles ’kommen is, leicht thätst von der Sach’ a bißl besser denken als wie ’s G’richt, wo s’ hinter ihm herg’hetzt haben. Freilich – ’s G’richt därf net fragen: warum? – das kann bloß fragen: was? Aber Du – han Veverl, sag’, wer is Dir ’s Liebste g’wesen in Dei’m ganzen Leben?“

„Mein Vaterl selig.“

„Und jetzt denk’ Dir, es wär’ Einer ’kommen, der Dein liebs Vaterl um sein’ Ruh’ ’bracht hätt’, um sein Glück und sein Leben –“

„Ich hätt’s net g’litten,“ fuhr Veverl mit bebenden Worten auf, „na – na – ich hätt’s net g’litten – ich hätt’ ihn ’packt, den wilden Kerl –“

„No schau – und gar viel anders hat’s der Ferdl auch net g’macht. Was Dir Dein Vaterl war, das is dem Ferdl d’ Hanni g’wesen – sein Auf und Nieder, sein Alles! Und so viel g’freut noch hat er sich, wie s’ ihn einb’rufen haben nach München zum Militär, weil d’ Hanni drin war in der Stadt. No – und er hat s’ auch oft g’nug g’sehen – aber allweil schon hat er sich a bißl Sorgen g’macht, weil s’ so viel traurig d’rein g’schaut hat. ’s Heimweh, hat er halt g’meint, ’s Heimweh hätt’ s’ an’packt – mein, auf ’was anders hätt’ er gar kein Denker net g’habt! Und da hat er noch sei’m Brudern g’schrieben, ob’s net g’scheiter wär’, sie thäten d’ Hanni heim – sie selber freilich hat nie nix wissen wollen, wann er davon mit ihr g’redt hat. Ja – und so kriegt er z’ Mittag amal an Brief vom Jörg, daß d’ Mariann’ kommt am andern Tag und d’ Hanni heimholt. Da is er gleich zur Hanni g’laufen und – freilich hat er g’sehen wie s’ derschrocken is, aber er hat sich ’denkt: vor lauter Freud’. Am andern Morgen find’t er auch ganz richtig d’ Mariann’ auf’m Bahnhof – und dene zwei ihr erster Weg, natürlich, is zur Hanni g’wesen. Die Hanni wär’ schon fort’gangen, haben s’ dort derfahren, und hätt’ d’ Richtnug nach dem Ferdl seiner Kasern’ zu g’nommen. Da sind s’ halt jetzt der Hanni nach – und – und wie’s zur Thorwach’ hinkommen, wird dem Ferdl a Brief übergeben – a bildsaubers Fräulein hätt’ ihn da’lassen, hat der Posten g’sagt, und wär’ nachher gegen d’ Isar ’nunter’gangen. Der Ferdl macht den Brief auf und denkt sich noch allweil nix – kaum aber fangt er’s Lesen an, da hat sich Alles ’dreht um ihn und es is ihm g’wesen, als falleten d’ Häuser über ihn her und der Himmel und Alles. Und d’ Mariann’ hat er beim Arm ’packt – ‚komm, um Tausendgotteswill, komm,‘ so hat er g’rad ’nausg’schrieen, ,’leicht is noch net z’ spat, ’leicht holen wir s’ noch ein‘ – und fortg’rennt sind s’ mit einander. Aber lang schon z’ spat is g’wesen! Dann wie s’ ’nunterkommen gegen d’ Isar, da sehen s’ schon a ganz’ a Menge Leut’ bei ’nander stehn und – Veverl, Veverl, wie soll ich Dir sagen, was das für an Anblick war, wie s’ so dag’legen is, die arme, arme Hanni, auf ’m Boden, blaß und stad – und ’s Wasser is von ihr g’ronnen – und kein Rührer nimmer hat s’ Dir ’than!“

Veverl sah die Thränen nicht, die ihrem Alfen aus den starren Augen niederrannen in den Bart, sie saß gebeugt und schluchzte leise in die vorgehaltenen Hände.

„Gelt, Veverl, Du weißt es schon noch, wie Dir selbigsmal g’wesen is, wo Dein Vaterl so dag’legen is vor Dir – und da wirst Dir auch denken können, wie’s dem Ferdl war! Du aber, Du hast weinen können und beten zum lieben Herrgott – dem Ferdl aber hat kein Zährl den Brand in seine Augen kühlt, und nix anders net hat er sich denken können als wie das Einzige: Mein’ Hanni is dahin – und der s’ betrogen hat um ihr Ruh’ und ihr Glück, der s’ ’neinzogen hat in d’ Schand’, ins Wasser und ins ewige Verderben, der lebt – der lebt! Und da is über ihn ’was kommen, wie Feuer ins G’hirn, wie Nesseln ins Blut – an kein’ Mariann’ nimmer hat er ’denkt und an gar nix mehr, g’rad fort’trieben hat’s ihn, hin zu Dem, der d’ Hanni auf sei’m G’wissen hat. Wie’s ihm g’wesen is von dem Augenblick an, wo er d’ Hanni aus ’m Gesicht ’kriegt hat, was er sich ’denkt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_828.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2023)