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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


der Frau Roden wegen einer Aufwärterin und baldiger Holzeinkäufe, und kamen schließlich ganz befriedigt in das erste Zimmer zurück, wo Lotte noch unbeweglich wie ein schwarzer Schatten am Fenster lehnte. Als ich leise meinen Arm um ihre Taille legte, wandte sie sich nicht; sie neigte nur ein wenig das Haupt, als erwidere sie einen Gruß, und als ich hinunter sah, erblickte ich Fritz Roden, das Gewehr über der Schulter, den Jagdhund auf den Fersen, und an der Jagdtasche einige Feldhühner. Er hatte den Hut schon wieder aufgesetzt, sah nicht rechts noch links, sondern ging dem Hofe zu.

„Bär!“ sagte Lotte halblaut.

(Fortsetzung folgt.)




Römische Cäsaren.

Von Johannes Scherr.
Caligula.
(Fortsetzung.)


2.

Das Gemälde, welches uns Sueton und Seneca von dem Nachfolger des Tiberius geliefert haben, ist vielleicht mehr Zerr- als Ebenbild. So zurückstoßend kann die Persönlichkeit des neuen Kaisers wohl nicht gewesen sein. Wenigstens nicht in der ersten Zeit seiner Herrschaft, wo doch seine Erscheinung und sein Gebaren zu seiner unermesslichen Popularität auch etwas beitragen mußten. Wenn wir die allzu grellen Farben, welche die genannten Gewährsmänner angewandt haben, etwas abtönen, so gewinnen wir dieses Bild: – Hochaufgeschossen, war Caligula ganz ungewöhnlich breit von Schultern und dick von Leib („corpore emormi“). Zur Massenhaftigkeit des Oberkörpers standen aber die dünnen Schenkel und Beine in einem kläglichen Mißverhältniß. Darum war sein Gang, obzwar er auf sehr langen und breiten Füßen lebte, schlotterig und schlenkerig. Die Haare waren ihm, etliche Borsten im Nacken ausgenommen, schon in Jünglingsjahren ausgegangen und diese Kahlheit machte die unschöne Form seines Schädels noch auffallender. Das Antlitz mit seiner schmutzigen Blässe, mit den tiefliegenden und starrblickenden Augen, mit dem harten und mürrischen Ausdruck und mit der häufigen Muskelverzerrung, welche den Epileptiker verrieth, – dieses Antlitz vermochte die Unebenheiten der Statur nicht auszugleichen. Kam nun, wie es der Fall war, zu allen diesen Reizen noch eine heisere, in den höheren Tönen kreischende Stimme, so muß die Liebe, welche das romische Volk dem Sohne des Germanicus entgegentrug, so recht blind gewesen sein und taub obendrein. Aber wann und wo hätte die Liebe oder der Haß der urtheilslosen Menge je nach Gründen gefragt? Zudem suchte sich ja der neue Kaiser dieser selbigen Menge genehm und angenehm zu machen, indem er sich bemühte, in seinem ganzen Thun und Lassen jeder Zoll Pöbel zu sein und einen süddeutsch-mundartlichen Ausdruck zu gebrauchen, als gar „gemeiner“ Herr sich aufzuführen.

Die Verhältnisse, unter welchen Caligula zur Herrschaft gelangte, hätten kaum günstiger sein können, als sie waren. Wir besitzen eine Schilderung derselben, die aus der Feder eines Zeitgenossen geflossen, aus der Feder des alexandrinischen Juden Philo. Das ist ein wahres Loblied auf die Regierung des Tiberius; denn nur der trefflichen Organisation und straffen Handhabung derselben waren Zustände zu verdanken, wie Caligula sie vorfand. „Das römische Reich,“ sagt Philo, „war ruhig und gut verwaltet, wohlgeordnet und festgefügt in allen seinen Theilen. Nord und Süd, Ost und West, Grieche und Barbar, Soldat und Bürger waren mitsammen vereint im Genuß eines gemeinsamen Friedens und Behagens. Ueberall im Reiche war Ueberfluß an aufgesparten Gold- und Silberschätzen, an gemünztem oder künstlerisch gearbeitetem Edelmetall. Eine gewaltige Streitmacht stand bereit, Fußvolk und Reiterei, Landheer und Flotte. Die finanziellen Hilfsquellen flossen in ununterbrochener Fülle. In allen Städten sah man nichts als Altäre und von weißgekleideten und bekränzten Priestern dargebrachte Opfer, überall Festversammlungen und Fröhlichkeiten, Pferde- und Wagenrennen, musische Wettkämpfe und Vergnügungen aller Art. Der Reiche trat nicht den Armen, der Starke nicht den Schwachen, der Herr nicht den Sklaven, der Gläubiger nicht den Schuldner zu Boden. Denn die Unabhängigkeit jeder Bevölkerungsschichte fand die ihr gebührende Achtung und, alles in allem genommen, konnte das von den Dichtern gepriesene saturnische Zeitalter nicht mehr für märchenhaft, sondern für in dieser gesegneten Zeit zur Wirklichkeit geworden gelten.“

Solche Herrlichkeit währte von dem ersten Tage der Kaiserschaft Caligula’s an noch ganze sieben Monate, länger nicht. Gerade so lange nämlich währte es, bis die wildwahnwitzigen Züge des wahren Caligula die Maske des gemachten, gekünstelten und geheuchelten durchschlugen.

Zuvörderst gleißte die Maske gar holdselig. Der Mund des neuen Herrschers trof von Honig. Er sei nichts als das Kind und Mündelkind des Senats, ließ er sich vernehmen; er sei nur dazu da, die Mühen und Sorgen der Regierung mit den versammelten Vätern zu theilen, und er wolle in allem und jedem von ihrer erprobten Weisheit sich leiten lassen. Weiterhin, wie bemühend es für ihn sei, der letzten Willensmeinung des verstorbenen Kaisers in betreff des jungen Tiberius Gemellus leider nicht stattgeben zu können. Aber sein theurer Vetter wäre eben noch viel zu zarten Alters, um die Bürde des Regiments mit ihm, Caligula, theilen zu können. Der theure Vetter hätte noch Vormünder, Lehrer und Leiter nöthig und er selbst wollte ihm alles dieses, ja geradezu Vater sein. In der That, er war dem armen Jungen Vater, so ein Kater-Vater, welcher seine Sprösslinge vor lauter Liebe auffrißt.

Sinnlose Verschwendung verschafft bekanntlich bei der Menge Kredit. Wer „es recht nobel gibt“ – gleichviel, woher die Mittel dazu kommen – der imponirt dem großen Haufen. Caligula erfuhr das auch und die Mittel zur Vergeudung hatte ihm ja sein sparsamer Vorgänger bereitgestellt, welcher einen Staatsschatz von 500 Millionen Mark hinterließ, eine für dazumal, allwo es noch kein Papierschwindelgeld gab, ungeheure Summe. Binnen sehr kurzer Zeit wußte der „freigebige“ Gajus, der „großmüthige“ Gajus damit fertigzuwerden. Er warf das Geld mit vollen Händen aus, an die Gardesoldaten und Legionäre, an die Beamten und Bürger, an die Vornehmen und Geringen, an Gemeinden und Personen, an alle Welt. „Welch ein Kaiser! So einen müssen wir haben. Heil dem Gajus Cäsar!“ jubelte das gesammte Bettelpack in der Hauptstadt und in den Provinzen.

Und wie „liberal“ der neue Besen kehrte, will sagen der neue Kaiser regierte! Er gab eine große Amnestie: die Staatsgefängnisse leerten sich und die Verbannten kehrten aus dem Exil zurück. Das Geschäft der Angeber und Falschzeugen rentirte nicht mehr. Hätte es im damaligen Rom schon eine „Presse“ gegeben, so würde sich Caligula auch als ein Freund der Preßfreiheit aufgespielt haben. Einstweilen mußte er sich damit begnügen, den Wiederverkauf verboten gewesener Schriften zu gestatten. Weiterhin bemühte er sich um die Sicherung der richterlichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit und wollte, daß die Bürger Einsicht in den Staatshaushalt bekämen, zu welchem Zwecke er die Veroffentlichung des Budget anordnete. Endlich that er sich auch als Eiferer für die guten Sitten auf, indem er notorische Lasterbuben und ihre gewissenlosen Helfershelfer und Werkzeuge aus der Hauptstadt verweisen ließ. Seine eigenen Sitten freilich, die ließen nicht viel, aber alles zu wünschen übrig. Seine Wüstlingsnatur war zu brutal, um eine Verschleierung ertragen zu können. Sein Verhältniß mit der Frau des Gardegenerals Macro, sein Verhalten zu seinen drei Schwestern, namentlich das zur Drusilla, der zweitältesten derselben, forderten die Kritik heraus. Aber sie schwieg vorderhand. Einem so trefflichen, so liberalen Fürsten mußte man seine kleinen Zerstreuungen nachsehen, ja sogar seine großen. Als die Verordnung erging, daß der dem Kaiser zu leistende Treueid der Unterthanen die Formel enthalten sollte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_034.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)