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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Es stimmt alles ganz genau. Mama ist immer bewundert worden wegen ihres scharfen Verstandes, und den hat sie auch noch, wie Sie sich selbst überzeugen werden. Und vielleicht hat sie auch in dem Anderen Recht, und es liegt nicht an ihr, sondern an den Anderen, die das nicht einsehen können – oder wollen. Aber Mama glaubt, sie kann sie dazu zwingen, daß Papas Proceß revidirt werden müsse und dabei an den Tag kommen werde, daß er zu Unrecht verurtheilt ist und also gar nicht hätte zu sterben brauchen.“

Ich hatte wohl, als sie so sprach, unwillkürlich nach dem Arbeitstisch geblickt mit den hohen Stößen von Büchern, Papieren und Akten.

„Das ist nur ein kleiner Theil,“ sagte sie; „oben auf dem Boden sind noch ganze Körbe voll. Die arme Mama! Es wird ihr ja doch nichts helfen; sie macht sich damit nur immer unglücklicher, und wir sind schon glücklos genug.“

Sie strich sich wieder mit der Hand über die Stirn und fuhr, als ich schweigend voll inniger Theilnahme in ihr feines blasses Gesicht sah, das nicht lachen konnte, nun wieder in ihrem ruhigen Tone fort:

„Sehen Sie, das wollte ich Ihnen vorher sagen, obgleich Adalbert es nicht wollte. Adalbert ist sehr klug, aber immer hat er doch nicht Recht.“

„So vermuthlich auch nicht in dem, was er Ihnen von mir gesagt hat,“ warf ich ein.

„Lachen Sie immer, wenn es Ihnen so zu Muth ist,“ erwiderte sie, während es wieder in ihrer Oberlippe zuckte. „Ich höre so gern lachen und lachte manchmal gern selbst, zum Beispiel in diesem Falle, weil Sie trotz Ihrer Neugier so ehrbar thun. Und nun sollen Sie es hören, damit Sie auch nach der Seite Ruhe haben und nicht etwa wunder denken, was Adalbert von Ihnen gesagt hat. Er hat nichts gesagt, als: er ist ein Israelit, in dem kein Falsch ist.“

„Ich bin aber kein Israelit,“ rief ich eifrig.

„Ach, wenn ich doch jetzt lachen könnte!“ sagte sie.

Ich fühlte, daß ich über die Dummheit, die ich eben vorgebracht hatte und die mir alsbald klar geworden war, bis in die Stirn roth wurde; aber mir blieb keine Zeit, mich zu rechtfertigen. Auf dem Flur erschallte ein schneller Schritt; im nächsten Augenblicke kam Adalbert in das Zimmer.

(Fortsetzung folgt.) 


Die drei Schrecklichen von Venedig.

Von Schmidt-Weißenfels.

Seit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts war die Herrschaft der Nobili in der Republik Venedig mehr und mehr befestigt worden und schuf zu ihrem eigenen Schutze ein geheimes Gericht, welches Jahrhunderte lang die Bürger der großen Handelsrepublik mit Furcht und Schrecken erfüllte. Es war der berühmte „Rath der Drei“, welcher von dem „Rathe der Zehn“ gewählt wurde und dem die Aufgabe zufiel, über die Sicherheit des Staates zu wachen und jede Auflehnung gegen die bestehenden Gesetze im Keime zu ersticken. Mit weitgehenden Machtmitteln ausgestattet, bildete er bald, geheimnißvoll wie die Fehme wirkend, die oberste Staatsbehörde, über welcher der gewählte Doge nur in Scheinherrlichkeit thronte. Man wußte, daß diese furchtbare Behörde verfassungsmäßig bestand, aber nicht, wer dazu in geheimer Wahl der Zehn als Mitglied hervorgegangen war. Man erfuhr ihre Urtheile, aber dieselben trugen nur die Unterschrift des Sekretärs. Man sah die Leichen der öffentlich Enthaupteten oder Gehenkten vor dem Dogenpalast, aber über deren Proceß hatte man nichts gehört. Wie eine überirdische Gewalt schwebte sie über Allen in der venetianischen Republik. Selbst die einzelnen drei Staatsinquisitoren waren vor ihrer eigenen gemeinsamen Furchtbarkeit nicht gesichert; denn es gab noch einen ernannten Stellvertreter, den zwei Inquisitoren sich zugesellen konnten, um über den dritten zu richten, wenn es ihnen nöthig schien.

Zwei von ihnen fungirten während eines Jahres und trugen eine schwarze Talarkleidung; der dritte Inquisitor war in rother Tracht und gehörte als specieller Rath des Dogen dieser Behörde nur acht Monate lang an. Keine Regel band sie bei ihrem Verfahren, als nur die Uebereinstimmung ihres Urtheils; die Mittel der Erforschung eines Verbrechens, die Beschaffung von Zeugen, die Anwendung der Folter, um Geständnisse zu erpressen, die Wahl der Strafen, die geheime oder öffentliche Ausführung derselben, Alles war ihnen in völlig unverantwortlichem Absolutismus überlassen. Spione in allen Schichten der Bevölkerung, bis in den Rath der Vierzig und des Dogen hinauf, standen in ihrem Dienst; geheime Agenten waren überall, in Stadt und Provinzen, für sie thätig; jeden Augenblick auch geheime, unbekannte Henker oder gedungene Mordgesellen, die Bravi, bereit, ihre Befehle oder Winke zu vollstrecken. Offenbar aber hat Venedig dadurch den festen Bestand seines aristokratischen Regiments so lange zu erhalten vermocht und es auch mehr dem Ehrgeiz und der Leichtfertigkeit des heimischen Adels gefährlich, als dem buon populino, dem harmlosen Volke, drückend gemacht.

Einer von den Ersten mit, welcher diesem Gericht der drei Schrecklichen, ehe sie noch Staatsinquisitoren hießen, zum Opfer fiel, war der sechsundsiebzigjährige Doge Marino Falieri. Zunächst angestachelt durch die Frechheit Michael Steno’s, eines jener drei Richter, gegen sein junges und schönes Weib, verschwor er sich mit einigen Leuten aus den niedrigsten Volksklassen zur Rache an einer Aristokratie, deren Hochmuth und tyrannische Macht ihm längst tief in der Seele verhaßt waren. Die Nacht des 15. April 1355 war zur Niedermetzelung der Vornehmsten Venedigs, wie sie im Rath der Vierzig und Zehn allein zu sitzen berechtigt waren, bestimmt, und diese That sollte durch die Umwandlung der Verfassung im Interesse des Volkes gekrönt werden. Aber am Tage vorher erhielten die Räthe durch ihre Spione Kenntniß von diesem Komplott. Die Theilnehmer aus dem Volke wurden sofort gehängt; um über den Dogen zu richten, gesellten sich die Richter noch eine Anzahl der angesehensten Adeligen zu. Am 17. April wurde Falieri im Hofe des Dogenpalastes enthauptet. So zeigte das Gericht an einem schrecklichen Beispiel schneller Justiz, daß ihr auch die höchste Person des Staates verfallen sein kann. Uebrigens hütete man sich seitdem im Rath, Dogen zu wählen, die noch eine junge Frau hatten.

Einem anderen Dogen, Franzisco Foscari, geschah es, daß ihm der Sekretär der Drei in gebührender Ehrfurcht auf den Knieen das Dekret überreichte, das seinen Sohn zum Tode wegen Staatsgefährlichkeit verurtheiltc, und er konnte die Vollstreckung nicht hindern.

Ein junger Nobile, Giovanni Moncenigo, ließ sich in seinem Leichtsinn hinreißen, bei einer Opernvorstellung in Venedig zwei Pistolenschüsse auf die Brüder Foscarini abzufeuern, die sie verwundeten. Er entfloh augenblicks. Vergebens versuchte man wegen der Jugend des erst zweiundzwanzigjährigen Mannes, wegen der Verdienste seines Geschlechts, welches auch vier Dogen gegeben hatte, den Rath der Drei gnädig zu stimmen. Sein junges Weib flehte für ihn, die Foscarini’s selber verwendeten sich hochherzig. Der Rath blieb unerbittlich, und sein Spruch machte die venetianische Aristokratie zittern. Denn Moncenigo wurde seines Adels für verlustig und in contumaciam zum Tode verurtheilt, seine Güter, auch die noch zu erhaltenden, wurden für konfiscirt erklärt, ebenso für nichtig alle Verträge, die er während der letzten sechs Monate eingegangen und zu denen auch wohl der seiner Heirath gehörte. Eine bedeutende Belohnung und Straflosigkeit für jedwede Art von Verbrechen, sei es für sich, sei es für eine andere Person, verhieß man demjenigen, der ihn todt oder lebendig einliefere. Alle Gemeinden in den Provinzen erhielten Befehl, auf ihn zu fahnden und ihre Macht zu seiner Verhaftung, wenn er auf ihrem Gebiet betroffen werde, bei Galeerenstrafe für die Vorsteher, aufzubieten. Kein Unterthan der Republik, kein Verwandter des Verurtheilten durfte ihn sehen, ihn sprechen, ihm schreiben, irgend eine Verbindung mit ihm unterhalten, irgend einen Beistand ihm leisten, wenn er sich nicht der Einziehung seines Vermögens und zehnjähriger Galeerenstrafe mit Ketten an den Füßen ausgesetzt wissen wollte. Einer Geldbuße von zweitausend Dukaten verfiel, wer zu seinen Gunsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_120.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2024)