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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

erinnerte! – noch derselbe bei aller Milde volle, sonore – ich hätte ihm nur immer so zuhören mögen, als plötzlich die Thür aufging und Adalbert hereintrat. ich erschrak ein wenig, da ich wußte, welchen großen Einfluß er auf Maria hatte, und gar nicht sicher war, daß er das Projekt gut heißen werde. That er es aber nicht, so trat Maria ganz sicher, trotz ihrer eben gegebenen Zusage, unter irgend einem Vorwande nachträglich zurück. Doch wurde ich über diesen Punkt bald beruhigt. Mit großer Zuvorkommenheit, wenngleich mit jener reservirten Haltung, welche er fremden Leuten gegenüber stets beobachtete, versicherte er, daß er Maria von Herzen eine Erholung gönne, deren sie sehr bedürfe, und die auch ihm zugute kommen werde, da er während der Abwesenheit der Schwester und des Freundes, dieser ewigen Störenfriede, doppelt fleißig zu arbeiten gedenke. Ich lachte, der Major lächelte, und selbst Maria’s Oberlippe zuckte, als Frau von Werin, die während dieses Intermezzo nachdenklich und augenscheinlich dessen, was um sie her gesprochen wurde, nicht achtend, dagestanden hatte, plötzlich den Kopf hob und den Major bat, ihr in das Nebenzimmer zu folgen, da sie ihm eine Mittheilung zu machen wünsche, die ihn interessiren werde. Sie ging voran, der Major folgte ihr auf dem Fuße, wir Zurückbleibenden sahen uns bestürzt an. Der Ausdruck ihrer Miene, vor allem ihrer Augen war derselbe gewesen, der mir von jenem ersten Abend in peinlichster Erinnerung geblieben war, und den die Geschwister von mehr als einer Gelegenheit her nur zu gut kannten.

„Ich denke, da intervenire ich,“ sagte der allzeit schnell gefaßte Adalbert, bereits mit einer Bewegung nach der Thür, welche sich hinter den Beiden geschlossen hatte; aber Maria ergriff ihn bei der Hand.

„Bleib’,“ flüsterte sie, „es ist zu spät.“

„Nur, wenn wir noch länger zögern.“

„Es ist zu spät,“ wiederholte Maria, seine Hand loslassend und nach dem Nebenzimmer deutend, aus dem man jetzt die Stimme der Mutter vernahm, leise zwar, so daß wir die Worte nicht verstehen konnten, aber eindringlich und in jenem herzbeklemmend rapiden Tempo, das ihre immer schnelle Rede in diesen verhängnißvollen Momenten annahm.

Maria hatte Recht: es war zu spät.

So standen wir Drei in dem halbdunklen Gemach regungslos, Adalbert düsteren Blickes vor sich hinstarrend, während die feine gerade Falte zwischen seinen scharf geschwungenen Brauen tiefer eingeschnitten war; Maria, auf deren zarten Wangen flammende Röthe und tiefe Blässe jäh wechselten, mit gesenkten Augen, ich verstohlen jetzt sie, jetzt den Bruder beobachtend, das Herz voll innigen Mitgefühls mit der Qual der lieben Beiden.

„Es ist ein Trost,“ flüsterte Maria, „er ist ein edler Mann.“

Ich stimmte ihr, lebhaft nickend, zu; um Adalbert’s Lippen zuckte ein spöttisch abweisendes Lächeln.

Er schien mir eine bittere Bemerkung folgen lassen zu wollen, aber bereits wurde die Thür wieder geöffnet, und der Major trat herein ohne Frau von Werin. Die Haltung, in welcher er uns traf, die gespannten Blicke, mit denen wir im ersten Moment unwillkürlich in sein Gesicht spähten, sagten ihm sofort, daß wir Mitwisser der grausamen Thatsache waren, deren Vorhandensein er soeben erst schaudernd erfahren hatte. Aber es hätte dessen für den zartfühlenden Mann sicher nicht bedurft, sein Benehmen gegen uns in diesem kritischen Augenblicke zu regeln. Mit einer Miene, die nicht ernst genug war, um uns zu erschrecken, und nicht so lächelnd, daß wir sie hätten für gezwungen halten können, sagte er, sich dabei an Adalbert wendend: „Ihre Frau Mutter hat mich auf einen Umstand hingewiesen, von dem sie fürchtet, daß er störend in unsere Ferienprojekte eingreifen könne. Ich hoffe, es werde nicht geschehen, obgleich ich den Ueberblick Ihrer Frau Mutter über unsere politische Lage – um die handelt es sich – bewundern muß. Also nur Muth, meine jungen Herrschaften, und auf Wiedersehen am Sonnabend!“

Er hatte uns bei diesen letzten Worten, einem nach dem anderen, die Hand gereicht, zuletzt Maria.

„Meine Ellinor wird überglücklich sein; sie darf Sie doch noch vorher besuchen? Ihr jungen Damen werdet noch so manches zu besprechen haben. Und nicht wahr, gnädiges Fräulein, keine Toilettenkünste, deren Sie nicht bedürfen, und durch die Sie mich beschämen würden, der ich mit Ihrer Erlaubniß in einem Räubercivil zu erscheinen gedenke.“

Er verbeugte sich in der Thür noch einmal gegen uns alle. Ich hatte das Gefühl, daß, wie bei seinem Eintreten sein erster, so jetzt, als er ging, sein letzter Blick auf mir ruhte mit einem Ausdruck, den ich mir nicht zu erklären vermochte.

(Fortsetzung folgt.)

Briefliche Kuren.[1]

Als Warnung mitgetheilt von einem langjährigen praktischen Arzte.

Die Frage, was von brieflichen Kuren zu halten sei, muß auf das Absprechendste beantwortet werden. denn mit geringen Ausnahmen lernt man in dieser Beziehung nur Trauriges und geradezu Verderbliches kennen. Viele Kranke kommen erst in die Hände gebildeter Aerzte, nachdem sie mit brieflichen Kuren und anderen Pfuschereien den letzten Sparpfennig ohne den geringsten Nutzen verschwendet haben. Die Meisten von ihnen flüchten sich zwar gerade, um zu sparen, zu brieflichen Kuren, werden aber gewöhnlich bitter getäuscht. Wieder Andere waren zur Zeit ihrer Erkrankung nicht in der Lage, ohne große Umstände den weitentfernten Arzt zu sich zu rufen, und bei einem großen Theile war es falsche Scham über ihre Krankheit, oder die Sorge, daß von den Angehörigen ihr bisher verheimlichtes Leiden erkannt würde, wenn sie sich einem bekannten Arzte anvertrauen würden. Dieselben vergessen, daß jeder anständige Arzt das Geheimniß seines Amtes zu bewahren weiß.

Denke ich an Alles zurück, was ich in meiner dreißigjährigen praktischen Thätigkeit in dieser Angelegenheit erfahren habe, so fand ich sehr wenige Kranke, welche mit ihren brieflichen Kuren zufrieden waren. Es waren nur einige wenige, wo es sich um deutlich in die Augen fallende Krankheiten handelte, oder um die Beschreibung einer typischen Kur, und dieses fiel gewöhnlich nur dann zum Vortheile aus, wenn ein Arzt, der den Kranken selbst untersucht hatte, die Korrespondenz besorgte.

Recht traurige Folgen sah ich hingegen, wenn Kranke, ohne sich ärztlich untersuchen zu lassen, briefliche Kuren unternahmen, etwa weil sie an dieser oder jener Krankheit zu leiden glaubten Man muß wissen, welche Macht die Einbildungskraft auf die Menschen ausübt, um die Schädlichkeit solcher Kuren zu beurtheilen. Viele hielten sich für herzleidend oder leberleidend und nahmen monatelang die schädlichsten Mittel, welche ihnen brieflich verschrieben wurden.

Oft habe ich mich überzeugt, daß solche eingebildete Kranke weder herz- noch leberkrank waren und daß ihnen die erhaltenen Arzeneien auch nicht geholfen hätten, wenn sie an ähnlichen Leiden erkrankt gewesen wären. Entweder wurden die armen Kranken mit recht drastischen Abführmitteln bedient, die auf ihre eingebildete Stimmung einen tiefen Eindruck machten, aber nur schaden konnten, oder die Kurpfuscher waren schlau genug und gaben ganz wirkungslose Zucker- und Aschenpulver etc., womit nichts verdorben werden konnte. In vielen Fällen macht ja die gütige Mutter Natur früher oder später doch gesund, und der gutmüthige Kranke dankt dies dann seinen unschuldigen Mitteln. Dutzende von Kranken fand ich, welche steif und fest behaupteten, einen kranken verschleimten Magen zu haben, und überall nach Magenmitteln herumschrieben, während ihr Leiden in den Lungen oder woanders begründet war; die Appetitlosigkeit, welche aber fast alle ernsten Krankheiten begleitet, hatte sie auf die falsche Magendiagnose gebracht, und sie hatten sich nun mit brieflich verschriebenen Arzeneien sehr geschwächt und geschadet, während sie der Stärkung so sehr bedurft hätten.

  1. Der Umstand, daß bei uns täglich Briefe einlaufen, in welchen wir oder unsere ärztlichen Mitarbeiter um Heilmittel gegen diese oder jene Krankheit ersucht werden, veranlaßte uns, einen der hervorragendsten Aerzte Deutschlands um ein Urtheil über den Werth der brieflichen Kuren zu bitten. Wir erhielten als Antwort den obenstehenden Artikel, den wir mit dem Wunsch abdrucken, daß er einen weitverbreiteten Wahn zerstören und Tausende vor Unheil behüten möge. Die Redaktion. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_138.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2024)