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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 12.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)

Seine Liebe, erzählte Schlagododro, sei nicht das Werk eines Augenblicks – im Gegentheil, Maria habe ihn in den ersten Tagen ganz kalt gelassen, als wäre sie ein Marmorbild, bis er einmal jenes leise Zucken der Oberlippe bemerkte, welches, wie ich ihm gesagt, bei ihr das Lachen bedeute. Das habe ihm durchs Herz geschnitten – ihm, der so gern in ein schallendes Gelächter ausbreche – daß jemand – und noch dazu ein Mädchen – nicht sollte lachen können; und er habe nun genauer nach der Geschichte jenes Unglücks geforscht, welches dem armen Kinde Zeit seines Lebens das Lachen geraubt und vergällt habe. Er habe jetzt von Onkel Egbert alles erfahren. Herr von Werin sei ein ungewöhnlich tüchtiger Officier gewesen und auch nicht einmal händelsüchtig, aber von einem unbeugsamen Rechtlichkeitssinn, den er dann freilich in der schroffsten Form zum Ausdruck brachte, um so schroffer, je höher der Vorgesetzte war, mit dem er in Konflikt gerieth. Als sich mit dem dritten Regimentskommandeur dieselbe Geschichte wiederholte, sei er, der damals bereits Hauptmann war, mit dem Titel Major verabschiedet worden – ein Beweis, daß er abermals in der Sache Recht gehabt und es nur in der Form verfehlt habe. Schon damals – es war im Jahre 1864 gewesen, und der Unglückliche mußte zu Hause bleiben, während seine Kameraden zum ersten Male nach langen Friedensjahren wieder ins Feld zogen – habe er auf dem Punkte gestanden, sich das Leben zu nehmen; nur der Gedanke an seine Familie habe ihn zurückgehalten und in den Civildienst, der unter diesen Umständen in seinen Augen eine Schande war, treten lassen. Hier gerieth er, der von dem Steuerfache notorisch nichts verstand, ganz in die Hände eines Unterbeamten, der ihm als ein kenntnißreicher und zuverlässiger Mann officiell empfohlen war. Das Erstere war der Mann sicher, das Letztere mochte er bis dahin gewesen sein; nun konnte er der Versuchung, sich die Geschäftsunkenntniß des Vorgesetzten zu Nutzen zu machen, nicht widerstehen. Aber der Mann verstand sein neues Gewerbe schlecht. Verhältnißmäßig geringfügige Gratifikationen waren alles, was ihm seine Durchstechereien eingetragen hatten, die erst nach seinem Tode bei einer endlich einmal sorgfältiger angestellten Revision herauskamen. Dennoch war der Fiskus um viele Tausende betrogen. Waren sie alle als nichtbezahlte Steuern in die Tasche der Defraudanten geflossen? Man nahm es nicht an, um so weniger, als Herr von Werin notorisch niemals ein guter Haushalter gewesen war und also wohl zweifellos, seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen aufzuhelfen, mit dem Revisor unter einer Decke gesteckt hatte. Eine lange, peinliche, für Herr von Werin tief schmachvolle Untersuchung folgte, an deren endlichem Schluß sich herausstellte – worauf, wie Schlagododro sagte,

Schneewittchen.
Nach dem Oelgemälde von Johannes Gabriel Jentzsch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_201.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)