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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

hatte, fleißig, aber älter und stiller und weniger mittheilsam, als er ihn sich vorgestellt. Sodann völlig neue prächtige Kostüme für den Kammerherrn und mich und mannigfachen reichen Stoff für die Damenkleider, der bereits zugeschnitten war und von der Kammerfrau der Frau von Vogtriz unter seiner Aufsicht nur noch zusammengeheftet zu werden brauchte. Es war wirklich viel mehr, als ich geglaubt, wenn es auch, wie mir Herr Weißfisch im Vertrauen mittheilte, dem Kammerherrn ein „schmähliches Geld“ gekostet.

Ich sollte zu spät erfahren, daß der Mann auch in meinen Angelegenheiten und auf meine Kosten viel mehr gethan hatte, als ich geglaubt oder für möglich gehalten.

(Fortsetzung folgt.)

Im deutschen Böhmerwalde.

Reiseskizzen von Karl Pröll.
I.

Das Lied von der „verlorenen Kirche“, deren Läuten nur manchmal aus dem tiefen Walde herüberdringt, ist dem deutschen Volksgeiste abgelauscht. In die unbegrenzte Sehnsucht mischt sich geheime Anklage, daß wir achtlos vergessen oder trägherzig preisgegeben, was uns am theuersten sein sollte. Diese Anklage erhält heute nationalsittliche Bedeutung. Während wir selbstgenügsam den deutschen Staat aufbauen, geht rings umher deutsches Volksthum verloren, erliegt dem Andrange fremden Wesens, das stets feindseliger einstürmt. So geschieht es in den russischen Ostseeprovinzen, den civilisatorischen Eroberungen des deutschen Ordens und der Schwertbrüder. So in den Vorländern der alten deutschen Ostmark, in Oesterreich. Wir können diesen Rassenkampf verfolgen in den fruchtbaren Ebenen Ungarns, im Gebiete der transsylvanischen Alpen, an den Südhängen der Centralkarpathen, zwischen den Karawanken und der Adria. Aber am gewaltthätigsten erfolgt der Angriff auf unsere Nationalität in Böhmen, wo der slawische Krater, welcher nach Jahrhunderten wieder thätig geworden, den ihn einschließenden deutschen Gürtel zu durchbrechen und zu zerstören sucht. Wohin wir über die jetzigen Reichsgrenzen hinausblicken, überall dieselben traurigen Thatsachen: unsere Kulturmarken weichen zurück, Stammesgenossen gerathen in harte Nothlagen.

Der deutsche Böhmerwald ist noch keine verlorene Kirche unserer Nationalität. Aber auch von dort klingt die Nothglocke zu uns herüber. Und wie Viele wissen etwas vom Böhmerwald, kennen das tannenstolze und fichtengrüne Berg-Heim, das in seinen einsamen Hochseen und schlichten Bewohnern sich bespiegelt, mit Wildgewässern uns unverstandene Grüße zuschickt. Dieses mit seltenen Naturreizen geschmückte Waldland, dieses Waldvolk, kernig deutsch wie nur irgend ein lebensvoller Zweig unserer Nation möchte ich den Lesern der „Gartenlaube“ ein wenig schildern. Vielleicht gelingt es mir, nicht nur ein flüchtiges Interesse zu erwecken, sondern Andere anzuspornen, dorthin ihren Wanderstab zu lenken. Sie werden dann Land und Volk lieben lernen und ein Verständniß für die Leiden des letzteren, für dessen schwere Kämpfe zur Behauptung der nationalen Existenz gewinnen.

Das Böhmerwaldgebiet umfaßt den südwestlichen hohen Grenzwall Böhmens und die von ihm nach Osten und Nordosten entsendeten Zweiggebirge oder Plateaulandschaften bis zum Uebergang in die Moldau-Ebene. Die Geographen lassen den Böhmerwald in der Gegend von Eger beginnen, wo er von dem Fichtelgebirge durch einen Einschnitt getrennt wird, und im Süden an das böhmisch-österreichische Gebirge anschließen.

Landesüblich gilt die Bezeichnung „Böhmerwald“ nur für den Theil, welcher südlich von der Einkerbung bei Furth sich erstreckt, während der nördliche Abschnitt „Böhmischer Wald“ genannt wird. Vorgelagert ist dem Böhmerwald nach Westen der Bayerische Wald gleichsam ein Zwillingsgebirge, das dem ersteren an Höhe und Massenentfaltung nicht nachsteht. Der Hauptkamm des Böhmerwaldes, welcher so ziemlich die politische Grenze zwischen Bayern und Böhmen einhält, scheidet auch die Stromgebiete der Donau und Elbe. Böhmerwald und Bayerischer Wald sind noch heute ein zusammenhängender ungeheurer Forst, der durch die Menschensiedlungen nur wenig eingeengt wird. Sie bilden gleichsam einen grünen Golfstrom inmitten Europas, welcher die Temperatur- und Feuchtigkeitsverhaltnisse der anliegenden Länder wesentlich bedingt. Das Gebiet eines jeden derselben übersteigt hundert Quadratmeilen. Der Böhmerwald zählt gegen eine Viertelmillion bis in die neueste Zeit fast durchaus deutsche Bewohner. Charakter, Sitten und Gebräuche, Trachten und äußere Erscheinung der Bevölkerung gleichen im Wesentlichen jenen Ausgestaltungen der Lebensart, welche wir bei den angrenzenden Oberösterreichern und Niederbayern vorfinden. Nicht allein der deutsche Geist und die Muttersprache spotten hier der trennenden Schranken, auch die Stammeseigenthümlichkeiten und der Dialekt wiederholen sich. Nur in wirthschaftlicher und socialer Hinsicht entdeckt man bemerkenswerthe Unterschiede. Statt der wohlhabenden oberösterreichischen Bauern und der unabhängigen bayerischen Eigenbesitzer treffen wir im Böhmerwalde die Pächter und Hintersassen ausgedehnter Latifundien; denn hier ist das Reich der fideikommissarischen Herrschaft, welche am mächtigsten und weitgreifendsten in dem Majoratserbe der Fürsten von Schwarzenberg sich entfaltet hat. Der größte Theil des Grund und Bodens im südlichen Böhmerwalde gehört ausschließlich dieser vor zweihnndert Jahren aus Unterfranken gekommenen Adelsfamilie, welche heute, ihres deutschen Ursprunges vergessend, für tschechische Nationalinteressen wirkt. Die Bevölkerung fristet unter dem Drucke der Abhängigkeit ihr bescheidenes Dasein, ausgeschlossen vom großen Kulturverkehre, umlagert von den Tschechen, welche sie allmählich aussaugen wollen. Selbst die kleinen Städte und Märkte leiden unter diesem wirthschaftlichen Druck, welcher eine segensreiche Entwicklung von Handel und Industrie hemmt. Im Norden des Böhmerwaldes, im Gebiete der „kunischen Freibauern“ werden die Zustände etwas besser.

Als politische Warte des Böhmerwaldes ist die Kreisstadt Budweis zu betrachten, 120 Kilometer südlich von Prag, am Zusammenflusse der Moldau und Maltsch. Sie zählt gegen 25000 Einwohner. In Mitte des Hauptplatzes oder „Ringes“, welchen eine der Skizzen des beifolgenden Bildes darstellt, befindet sich ein großer Brunnen mit der mehr massigen, als künstlerisch durchgebildeten Figur des Simson, der ein Raubthier zwischen seinen Fäusten erdrückt. Auch die Deutschen in Budweis haben alle Ursache, sich die angestammte Kraft zu bewahren, denn bereits ist fast die Hälfte der Bevölkerung tschechisch geworden. Noch ist aber die Stadtvertretung deutsch, und die wohlhabenden und gebildeten Klassen halten fest zu ihr.

Das zwei Jahrhunderte alte Rathhaus, welches mit seinem breitspurigen Rococo eine gute Massenwirkung erzielt und durch Thürmchen, wappenartige Freskomalereien, gothische Wasserspeier eine belebte Façade erhält, wird heute von kaiserlichen Behörden eingenommen, während der Gemeinderath in dem anliegenden Gebäude tagt. Hier zeigt man den Fremden das städtische Museum, welches größtentheils aus Schenkungen von Mitbürgern hervorgegangen ist und vieles Interessante bietet, auch seine orientalischen und ostasiatischen Sammlungen jetzt mit einheimischen Erzeugnissen des Böhmerwaldes ergänzen soll. Denn Budweis ist der kommerzielle und nationale Mittelpunkt dieses Gebietes, obwohl es von den letzten Abfällen des Gebirges einige Stunden entfernt liegt und sich auf einer deutschen Sprachinsel befindet, die sich ungefähr eine Meile um die Stadt herum abgrenzt. Diese ist der Stapelplatz der Holz-Flößerei und -Schwemmerei des Böhmerwaldes. Zahlreiche Fabriken, darunter die berühmte Bleistiftfabrik von Hartmuth, einem ebenbürtigen Nebenbuhler der Nürnberger Faber, die fiskalische Tabakfabrik, die Schwarzenbergsche Zuckerfabrik, haben zur Hebung des Reichthums, aber auch zur Heranziehung slawischer Arbeiter mitgewirkt. In Folge der böhmischen Sprachenverordnung von 1880, welche verlangt, daß jeder Staatsdiener in diesem Kronlande des Tschechischen mächtig sei, werden die deutschen Beamten rasch verdrängt, und an ihre Stelle nisten sich Gegner des Deutschthums in die politischen, Verwaltungs-, Finanz u. s. w. Behörden, in die Gerichte etc. ein. Die täglich wachsende Gefahr hat schließlich die Deutschen veranlaßt, ihre zerstreuten Kräfte zu sammeln. Sie gründeten auf Anregung des verdienstvollen Publicisten Franz Höllrigl

im Jahre 1884 einen Böhmerwaldbund, dessen natürlicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_206.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2024)