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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
2. 0Bilder aus dem Affenleben.
I.0 Die Affenfamilie.

Scheich Kemál el Din Demiri, ein gelehrter Araber, welcher um das Jahr 1405 unserer Zeitrechnung zu Damaskus starb, erzählt in dem von ihm verfaßten Buche „Heiát el Heiwán“ oder „Leben der Thiere“, auf einen Ausspruch des Propheten sich stützend, folgende wundersame Geschichte:

„Lange bevor Mohamed, der Prophet und Gesandte Gottes des Allbarmherzigen, des Glaubens Licht entzündet hatte, viel früher noch, ehe Issa oder Jesus von Nazareth gelebt und gelehrt, bewohnte die Stadt Aila am Rothen Meere eine zahlreiche Bevölkerung jüdischen Glaubens. Sie aber bestand aus Sündern und Ungerechten vor dem Auge des Herrn, denn sie entheiligte fortdauernd den geweiheten Tag des Allerbarmers, den Sabbath. Vergeblich warnten fromme und weise Männer die sündigen Bewohner der gottlosen Stadt. Diese frevelten nach wie vor an dem Gebote des Höchsten. Da verließen die Warner die Stätte des Unheils, schüttelten den Staub von ihren Füßen und beschlossen, anderswo Elohim zu dienen. Heimweh aber und Sehnsucht nach ihren Angehörigen trieb sie nach Verlauf dreier Tage zurück nach Aila. Hier bot sich ihnen ein wunderbarer Anblick. Die Thore der Stadt waren verschlossen, die Zinnen der Mauern jedoch unbesetzt, so daß jenen unverwehrt blieb, die Mauern zu übersteigen. Aber auch die Straßen und Plätze der unglückseligen Stadt waren menschenleer. Da, wo sonst das lebendige Getriebe gewogt und gefluthet, wo Käufer und Verkäufer, Priester und Beamte, Handwerker und Fischer in buntem Gewimmel sich bewegt, saßen und hockten, liefen und kletterten riesige Paviane, und aus den Erkern und Fenstern, von den Söllern und Dächern, woselbst einst dunkeläugige Frauen geweilt, blickten Pavianinnen auf die Straßen hernieder. Und alle, die riesigen Affen wie die schmucken Aeffinnen, waren traurig und bestürzt, schaueten trübselig auf die heimgekehrten Pilger, schmiegten sich bittend und flehend an sie und stöhnten klagend. Staunend und grübelnd betrachteten die frommen Waller das unheimliche Wunder, bis einem von ihnen der trostlose Gedanke kam, daß Paviane und Pavianinnen vielleicht gar ihre früheren, nunmehr zu Thieren herabgesetzten Verwandten sein möchten. Um sich zu vergewissern, ging der weise Mann stracks zu seinem Hause. In der Thür desselben saß ebenfalls ein Pavian; der aber senkte beim Erscheinen des Gerechten schmerz- und schamvoll die Augen zu Boden. ,Sage mir, bei Allah dem Allbarmherzigen, o Pavian,‘ so frug der Weise den Affen, ,bist Du mein Schwiegersohn Ibrahim?‘ Und traurig antwortete der Pavian: ,Ewa, ewa,‘ – ja ich bin es. Da schwand dem Frommen jeglicher Zweifel, und er erkannte bekümmerten Herzens, daß ein schweres Strafgericht Gottes gewaltet, daß die ruchlosen Sabbathschänder aus Menschen zu Affen gewandelt worden waren.“

Scheich Kemál el Din wagt zwar an diesem Wunder nicht zu zweifeln, kann aber, als denkender Mann, nicht umhin, die Meinung auszusprechen, daß vielleicht doch früher als Juden Paviane gelebt haben dürfen.

Wir unsererseits schließen uns, so hübsch erdacht und erzählt jene Geschichte auch ist, dieser Auffassung um so eher an, als die Affen, mit denen es die frommen Eiferer Ailas zu thun gehabt haben konnten, alte gute Bekannte von uns sind. Denn in Arabien hausen einzig und allein Mantelpaviane; einen derselben, den Hamadryas, aber finden wir bereits auf sehr alten ägyptischen Denkmälern vortrefflich abgebildet, und die Haartracht der Mantelpaviane ist es, welche den alten Aegyptern so auffallend erschien, daß sie dieselbe als Vorbild wählten und ihren Sphinxen gaben, ebenso wie sie heutigen Tages noch als Muster für den Haarputz den dunklen Schönen Ostsudans dient. Der Mantelpavian nämlich spielt in der altägyptischen Götterlehre eine sehr bedeutsame Rolle, wie wir dies unter Anderem aus dem Werke des Hieroglyphenerklärers Horapollen erfahren. Diesem zufolge wurde der Affe in den Tempeln gehalten und nach seinem Tode einbalsamirt. Er galt als Erfinder der Schrift und daher ebenso wohl als ein dem Urheber aller Wissenschaft, Thoth oder Merkur, geheiligtes Wesen, wie als naher Verwandter der ägyptischen Priester, wurde auch bei seinem feierlichen Einzuge in das Heiligthum jedesmal einer Prüfung unterworfen, indem ihm der Oberpriester Schreibtafel, Tinte und Feder in die Hand drückte und ihn aufforderte zu schreiben, damit man erkennen möge, ob er der Aufnahme würdig sei oder nicht; von ihm behauptete man, daß er in geheimnißvoller Beziehung zum Monde stehe, beziehentlich, daß letzterer einen ungewöhnlichen Einfluß auf ihn übe; ihm schrieb man endlich die Fähigkeit zu, die Zeit in so ersichtlicher Weise einzutheilen, daß Trismegistus, „der dreimal erhabene“ Thoth, nach dem Beispiele und Vorbilde seines Thuns Wasseruhren angefertigt haben soll, welche wie er Tag und Nacht in je zwölf gleiche Abschnitte theilten. Somit danken mittelbar auch wir diesem Affen nicht allein die Schrift, sondern ebenso unsere Eintheilung der Zeit.

Es ist beachtenswerth, daß die alten Aegypter wohl ihre und des Affen Verwandtschaft für wahrscheinlich erachten, nicht aber ihre Abstammung von dem Affen als möglich erscheinen lassen. Einer derartigen Auffassung des Verwandtschaftsgrades zwischen Mensch und Affe begegnen wir zuerst bei den Indern. Unter ihnen herrscht seit uralter Zeit und noch heutigen Tages der Glaube, daß wenigstens einige Königsfamilien von einem in Indien heilig gehaltenen, in gewissem Sinne sogar als Gottheit angesehenen Schlankaffen, dem Hulman abstammen, und daß die Seelen abgeschiedener Könige in den Leib dieses Affen zurückkehren. Eine der regierenden Familien rühmt sich dieser Abkunft durch die in ihren Titel aufgenommene Ehrbezeichnung „geschwänzte Rana“ in besonders hervorragender Weise.

Aehnliche Ansichten, wie die Inder sie hegen, sind in neuerer Zeit bekanntlich auch unter uns geltend gemacht worden, und die Affenfrage, wie ich kurz, jedoch wohl allgemein verständlich, mich ausdrücken will, hat deßhalb viel Staub aufgewirbelt. Wissenschaftliche, für die Allgemeinheit zunächst bedeutungslose Erörterungen haben ebenso heiligen Zorn zu lodernden Flammen entfacht, wie ernstere Forscher in zwei verschiedene Lager getheilt und zu eifriger Verfechtung des Für und Wider begeistert. Wissenschaftlicher Forschung gänzlich fernstehende Elemente haben den Kampf aufgenommen, ohne zu wissen oder auch nur zu ahnen, um welches Ziel er eigentlich geführt wird, ihn sogar in Schichten getragen, in denen er nur Unheil stiften kann, und dadurch Verwirrung geschaffen, welche sich schwerlich so leicht lösen dürfte. Ueber die Affen zu reden ist nach alldem ein bedenkliches Unterfangen geworden, weil man, sie behandelnd, fortwährend Gefahr läuft, entweder den geträumten Urahn hwrabzusetzen, oder durch ihn den vermeintlichen Nachkommen zu beleidigen – ganz abgesehen von unausbleiblichen Schmähungen erbärmlichster Art, mit denen ungesittete, blindwüthend gegen das Zeitbewußtsein kämpfende Eiferer Jeden überschütten, welcher das Wort Affe auszusprechen wagt. Gleichwohl wird die Affenfrage zunächst noch nicht von der Tagesordnung verschwinden; denn diese Thiere, welche offenbar unsere nächsten Verwandten im Thierreiche darstellen, sind viel zu sehr unserer Theilnahme werth, als daß wir uns durch Hemmnisse, wie erwähnt, abhalten lassen sollten, sie und ihr Leben fernerhin zu erforschen, mit uns selbst und unserem Thun und Treiben zu vergleichen und damit nicht allein ihre Kunde, sondern auch die des Menschen zu fördern.

Ein Beitrag hierzu soll das Folgende sein.

Mit kurzen, gedrängten Worten ein allgemeines Lebensbild – und auf ein solches will ich mich beschränken – der so verschiedenartigen Thiere zu geben, ist schwierig. Sie bewohnen in etwa vier-, jedenfalls erheblich mehr als dreihundert Arten alle Erdtheile, mit alleiniger Ausnahme Australiens, insbesondere die Länder zwischen den Wendekreisen. In Amerika erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet vom 28. Grade südlicher Breite bis zum Antillenmeere; in Afrika reicht es vom 35. Grade bis zur Meerenge von Gibraltar, in Asien von den Sunda- bis zu den japanischen Inseln; in Europa beschränkt sich ihr Vorkommen auf den Felsen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_208.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2024)