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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wie er zu verstehen gab, weil der Bruder nun doch gegangen sei, ohne seine Rückkehr abzuwarten.

„Es ist nicht das," raunte mir Schlagododro zu. „Papa hat eine schlechte Partie mit Deinem verdammten J. J. gemacht, der alle Trümpfe in der Hand hatte. Daß ihm dafür die Höllenpein in sein klappriges Gebein fahre! Und denke Dir, der Kerl hatte die Frechheit, auf die alte Geschichte in der Klasse zurückzukommen! Warum er gegen Papa größere Rücksicht üben solle, als Astolf gegen seinen Emil zu üben für gut befunden? Kannst Du Dir eine solche Niedertracht vorstellen? Nun, Papa hat ihm schön darauf gedient; das kannst Du glauben; aber wüthend ist er darum doch auf Astolf, der übrigens auch auf der „Presse“ ein schauderhaftes Geld verbummelt hat, das der Alte in diesem Augenblicke sehr nöthig brauchte. Ich fürchte, die Beiden gerathen noch heute Abend an einander.“

Das sollte sich denn auch bewahrheiten beim Souper, dem heute zum ersten Male der Major, und wieder, wie schon seit mehreren Tagen, der kranke Kammerherr fehlte, welcher sonst das Wort führte und etwa auftauchenden heftigeren Differenzen durch seine geistreichen Scherze die Spitze abzubrechen wußte. Es war dafür freilich eine größere Anzahl anderer Gäste zugegen, meistens jüngere Herren, Freunde von Astolf, welche dieser von seinem Kommen benachrichtigt haben mochte, sämmtlich Reserve-Officiere, wie ich zu verstehen glaubte, Gutsbesitzer und Gutsbesitzersöhne, die dem Champagner reichlich zusprachen und auf gute Kameradschaft mit ihm anstießen. Der Krieg sei ja leider noch nicht gewiß; Majestät scheine noch zu schwanken; aber Bismarck werde jetzt, wie 66, die Sache schon durchdrücken. Herr von Vogtriz hatte schweigsam und nur manchmal ungeduldig an den breiten Bart greifend zugehört. Nun brach es los: Jawohl Bismarck! er habe die Suppe eingebrockt, möchte er sie doch allein auszuessen haben! Jawohl Krieg! Das sage sich so leicht und möge ja auch ein prächtiges Ding sein, für junge Herren besonders – er meine natürlich keinen Anwesenden! – mit einem tüchtigen Pack Schulden auf dem Rücken, die dann hübsch zu Hause bei dem Herrn Papa blieben, der sie bezahlen möge, wenn er könne! Jawohl bezahlen! Bezahlen, wenn so schon an Grund- und Gebäudesteuern ein unerschwingliches zu leisten sei. Erst solle einmal der Herr Kanzler der schreienden Noth der Landwirthe steuern durch vernünftige Kornzölle und dadurch, daß er den Staatssäckel für die Kommunen öffne, die, ebenso wie die Privaten, sich nicht mehr zu rathen und zu helfen wüßten, außer durch Schuldenmachen bei den Juden, was denn freilich eine famose Sorte von Hilfe sei! Jawohl Schlachten schlagen, Festungen erobern, wenn kein Geld im Lande, außer in den jüdischen Geldschränken! Das seien die wahren feindlichen Festungen, die erst gebrochen werden müßten, bevor man an Krieg denken dürfe mit den Franzosen, die hundertmal reicher seien, als wir, und reich bleiben würden nach hundert verlorenen Schlachten, aus denen wir als Sieger hervorgingen genau so arm, vielmehr ärmer als vorher!

So donnerte Herr von Vogtriz in der verstummten Gesellschaft, von der Einer den Andern verwundert ansah, während Astolf abwechselnd bleich und roth wurde; Schlagododro, anstatt aufzufahren und für seinen Helden ins Feld zu rücken, sich begnügte, an den Lippen zu nagen, wozu er fürchterlich mit den Augen rollte, und ich, als ich all die bleichen Gespenster um die Tafelrunde musterte, an das Mahl auf Belsazar’s Königsburg denken mußte und an die Geisterhand auf der Wand mit ihrem Mene Tekel Upharsin.

Ja, es war ein schlimmer Tag gewesen, dem ein schlimmerer folgen würde. Für mich. Ich war entschlossen, daß mich der Abend nicht mehr auf Schloß Nonnendorf finden sollte. Aber wie den triftigen Grund finden, ohne den nicht fortzugehen ich Maria versprochen hatte? Hätte ich’s doch nicht versprochen! War es denn nicht Grund genug, daß ich es nicht mehr ertragen konnte? Verbringt man, wenn man siebzehn Jahre alt ist, ohne Grund schlaflos die Nacht und starrt mit brennenden Augen nach dem Mondenstreifen, der langsam, langsam weiter rückt an der Wand, als schriebe er auch mir ein Mene Tekel! Nur daß ich es entziffern kann und es einfach lautet: Trolle Dich von hinnen! Du hast mit diesen Menschen nichts zu schaffen!

Ach, wohin war die Rührung, wohin die Beschämung, mit der ich den Worten des Majors gelauscht? Ich schämte mich, daß ich gerührt gewesen war! schämte mich des Kusses, den ich auf seine Hand gedrückt! Wenn er die Astolf Vogtriz und die Axel Blewitz und alle die andern Itz und Witz von gestern Abend hinter sich hatte mit ihren verrotteten Ideen und ihren frechen adligen Hochmuthsgesichtern – dann Kampf mit ihm und ihnen auf Leben und Tod!

(Fortsetzung folgt.)




Schuljahr und Ostern.

Ein Vorschlag zur Reform der Ferienordnung unserer Schulen.
Von Dr. Georg Winter.


Schon seit langer Zeit ist in Deutschland namentlich von pädagogischer Seite auf die großen Mißstände hingewiesen worden, welche unserem Unterrichte daraus erwachsen, daß das Schuljahr mit einem zeitlich so sehr schwankenden Termine, wie es das Osterfest ist, beginne. Bei dem großen Interesse, welches in unserem Vaterlande in den weitesten Kreisen für alle das Schulwesen angehenden Dinge herrscht, hätte man annehmen sollen, daß diese wiederholt aufgeworfene Frage alsbald auch einer befriedigenden Lösung entgegen geführt werden würde. Aber trotz aller berechtigten Klagen ist noch immer Alles beim Alten geblieben. Vielleicht aber ist das gegenwärtige Jahr der geeignete Zeitpunkt, den Stein von Neuem ins Rollen zu bringen und die leitenden Kreise unserer Schulverwaltung nochmals zur Abhilfe anzuregen.

Das Osterfest fällt in diesem Jahre auf den denkbar spätesten Termin, den 25. April, und dadurch erscheint die Ungleichheit der beiden Abschnitte, in welche unser Schuljahr nach diesem Feste getheilt wird, in besonders scharfem Lichte. Das Sommerhalbjahr wird diesmal in einer Weise verkürzt, die es in höchstem Maße fraglich erscheinen läßt, ob es möglich ist, in diesem kurzen Zeitraume den Lehrkursus, der im Sommer im Wesentlichen derselbe ist wie im Winter, überhaupt zu bewältigen. Der Unterricht wird diesmal erst Anfang Mai beginnen können, umfaßt also im Ganzen nur fünf Monate, von denen anderthalb durch Ferien in Anspruch genommen werden, so daß als Lehr- und Lernzeit selbst nur dreieinhalb Monate übrig bleiben, während das Winterhalbjahr volle sechs Monate umfaßt hat. Dazu kommt noch, daß in den heißeren Monaten von vorn herein die Lernlust und Lernfähigkeit erheblich geringer ist, als im Winter. Noch schlimmer ist die Sache an unseren Hochschulen, deren Sommersemester schon in den ersten Tagen des August schließt, so daß für die Vorlesungen kaum drei Monate verfügbar bleiben. Mit einem Worte, wir stehen hier vor einem Uebelstande, der dringend Abhilfe erheischt.

Für diese Abhilfe sind nun die verschiedensten Wege in Vorschlag gebracht worden, allgemein aber wird an der Unterscheidung eines Sommer- und Winterhalbjahrs festgehalten. Die Einen – und deren sind gar nicht so wenige, als man glaubt – schlagen geradezu vor, das Osterfest selbst aus einem so sehr beweglichen, wie es gegenwärtig ist, zu einem mehr fixirten zu gestalten, indem man dasselbe statt auf den ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond etwa auf den ersten Sonntag im April ansetzen könne. Dadurch würde in der That die Grenzlinie bei Weitem enger gezogen werden; anstatt fünf Wochen würde sie nur eine umfassen; im Wesentlichen könnte dann der 1. April als Anfang des Schuljahrs festgesetzt werden. Daß vom religiös-kirchlichen Standpunkte aus hiergegen im Ganzen wenig einzuwenden wäre, haben einsichtige Theologen wiederholt offen zugestanden. Haben doch in früheren Jahrhunderten oft auf officiellen Kirchenversammlungen Debatten

über diese Fixirung des Osterfestes stattgefunden, in denen viel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_223.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2020)