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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 14.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Lora-Nixe.

Novelle von Stefanie Keyser.

Ueber den waldigen Hainberg, welcher das Bad Jungbrunnen vor den rauhen Ostwinden schützt, wandelte an einem Sommernachmittag des Jahres 185* eine kleine Gesellschaft eleganter Herren und Damen. Nur selten verstiegen sich die Badegäste bis hier herauf. Die Pfade hatten manches von ihrer Naturwüchsigkeit bewahrt. Brombeerranken hingen sich an die langen, weit gebauschten Sommerkleider der Damen, Baumwurzeln stemmten sich den Lackstiefeln der Herren entgegen, als wolle der Wald den feinen Leuten zeigen, daß er sich gar nichts aus ihrer Naturschwärmerei mache.

Endlich lichteten sich die Bäume. Die sonnige Landschaft glänzte zwischen ihnen herauf.

„Von hier aus hat man den schönsten Blick auf Jungbrunnen,“ sagte ein älterer Herr, mit einer Ordensrose im Knopfloch, und trat, geschäftig voran gehend, auf einen Vorsprung hinaus, den ein breiter Ahorn beschattete.

Drunten im Thal lag das Bad mit seinen langen Reihen weißer Häuser, den zerstreuten Villen, dem Alles überragenden Kurhaus, den schnurgeraden Alleen und eckigen Steinbalustraden, in welchen die Lora, wie in einen Schnürleib eingepreßt, ihre raschen Wellen dahin trieb,

„Ich besaß als Kind ein derartiges Etablissement in einer Schachtel,“ bemerkte ein anderer Herr, dessen feiner Sommeranzug von gewählter Einfachheit mit seiner vornehmen Haltung ebenso in Einklang stand wie der Ausdruck seines scharf geschnittenen Gesichtes mit dem kühlen spöttischen Ton seiner Stimme. „Gerade so grell, bunt und hölzern wie diese gerühmte Ansicht nahm sich mein Spielzeug aus.“

Ein junges Mädchen wandte das von braunen Flechten umwundene Köpfchen, welches ein mit Kornblumen garnirter runder Strohhut schützte, ihm zu. Aber ihre Lippen, die sich zu einer Antwort geöffnet hatten, beschränkten sich auf ein heiteres Lächeln, als sie sah, daß eine Birke ihr zartes Gezweig in die Schnur geschlungen hatte, an welcher das Monocle des Herrn hing, und dieses ihm von dem Auge hinweg schnellte.

Die Gesellschaft schritt durch das feine Gras des Bergkammes weiter.

Bald öffnete sich an der andern Seite abermals ein Blick in die Tiefe. Inmitten grüner Wiesen und wogender Getreidefelder lagen ebenfalls weiße Häuser in regelmäßigen Reihen.

„Eine Spielschachtel geringerer Qualität,“ sprach der Herr, der sein Glas von der Birke zurück erobert und wieder vor das Auge gedrückt hatte.

„Von Ihrem Standpunkt aus, Herr von Ravensburgk, mögen Sie Recht haben; es ist die Herrnhutergemeinde Himmelgarten,“ erklärte der alte Herr. Er war der Regierungspräsident des Bezirkes.

Ein Zukunftsmusiker.0 Nach dem Oelgemälde von F. Streitt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_237.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2021)