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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


so reich gesegneten Gegend eine Wassergöttin verehrt wurde, war natürlich.“

Mit leisem Stoß fuhr der Kahn am Ufer an.

Das Fährgeld wurde nach der bestimmten Taxe berechnet und, da der Schiffer mit Anketten des Kahnes beschäftigt war, auf die Bank gezählt. Dann schlug die Gesellschaft den Fußweg ein, der am Ufer hinauf nach Jungbrunnen führte.

Hedwig blieb zurück. Sie konnte sich nicht satt sehen an dem schönen stillen Grund, den die Abendsonne mit rosigem Licht überhauchte. Sie mußte dem Lied lauschen, das eine aus dem Weizenfeld aufsteigende Lerche dem sinkenden Tagesgestirn nachsang; ihre Blicke wurden gefangen gehalten von dem alten festen Haus Aufdermauer, dessen Fenster aus ihren tiefen Nischen ihr zuzublinzeln schienen. Wie lauschig mochte es in den Erkern sein, die an den dicken Mauern hingen! Wie gastlich lud der steinerne Laubengang ein, der sich vor dem untersten Stockwerk in Rundbogen wölbte! Und wie heimelten die Taubenscharen sie an, welche die Dächer der Seitenflügel bedeckten, das vielstimmige Herdengeläut, das herab schallte!

„Das ist ja ein deutsches Haus, wie ein Herz sich es nur wünschen kann,“ sprach sie fast andächtig. „Wird das prachtvoller Weizen!“ fuhr sie fort, mit Kennerblick die Aehren prüfend. „Und wie duftet die Weinblüthe von den Terrassen herab! Gehört das Alles dem Herrn Aufdermauer?“ fragte sie den Fährmann.

„Alles höchst eigenes Gewächs,“ antwortete der Schiffer in vollkommen dialektfreiem Hochdeutsch.

„Der beneidenswerthe Mann!“ sagte Hedwig. „Hat er erwachsene Töchter?“

„Er ist nicht so glücklich,“ entgegnete lächelnd der Fährmann. „Wäre auch bei seinem Alter und ledigen Stand nicht möglich.“

„Ach, er ist noch jung und unverheirathet?“ erwiderte Hedwig, etwas erschrocken zurücktretend.

„Zu Befehl,“ gab der Schiffer mit einer tadellosen Verbeugung zur Antwort; „dreißig Jahr und fünf Monate alt und noch zu haben.“

Bestürzt und erröthend sah Hedwig dem kecken Mann ins Antlitz. Sie begegnete ein paar dunklen Augen von solcher Schärfe und Sicherheit, unter dem schwarzen Bart lachten zwei Reihen weißer Zähne mit solcher Schelmerei, daß sie in höchster Verlegenheit mit stummer Neigung des Köpfchens sich wendete und ihrer Gesellschaft folgte, vor Verwirrung den Kranz vergessend, den sie kaum noch so eifrig behauptet hatte.

Der Fährmann blieb, auf seine Ruderstange gestützt, stehen und sah ihr nach, wie sie leicht dahin schritt, wie die blauen Säume ihres Kleides über das bräunliche Gras des Fußweges glitten. Er stand noch lächelnd und sinnend, als das weiße Kleid längst hinter den Weinbergterrassen verschwunden war.

(Fortsetzung folgt.)




Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?

Von Sanitäts-Rath Dr. L. Fürst (Leipzig).


Glauben Sie, daß mein Kind auswächst?“0 „Hat es vielleicht Anlage zur Englischen Krankheit?“ – Wie oft habe ich diese und ähnliche Fragen beantworten müssen, ganz besonders in unserer Kinder-Poliklinik, welche seit dreißig Jahren ihres Bestehens unter ihren 22 000 kleinen Patienten aus den ärmeren Kreisen unserer Bevölkerung sehr viele knochenschwache, mißgestaltete Kranke zu behandeln hatte! Wie häufig ist aber auch in besser situirten Familien diese Frage an mich gestellt worden!

Gewöhnlich wird damit die etwas originelle Bitte verknüpft, das Kind „einmal ordentlich zu untersuchen“, als ob es bisher nie oder nie gründlich untersucht worden wäre. Das Resultat ist manchmal ein recht erfreuliches, so daß man der sehr aufmerksamen, besorgten Mutter ihre Bedenken zu beseitigen vermag. In der größeren Zahl von Fällen aber ist es sehr betrübend. Man steht einem schon ausgebildeten Knochenleiden gegenüber und kann leider oft nur feststellen, daß bereits Formveränderungen eingetreten sind, die sich nicht oder nur schwer und unvollkommen wieder ausgleichen lassen. Bisweilen vermag man es kaum zu begreifen, daß die Eltern es bis zu solchen Entstellungen haben kommen lassen und nun erst – zu spät – an ärztliche Hilfe denken. Und wenn man auf ein Wort des Vorwurfs, daß ein manchmal ganz hübsches Kind für immer entstellt und verkrüppelt ist, die alberne Auskunft erhält: „Ich dachte, das müsse so sein“ oder „Eine Bekannte sagte mir, das verlöre sich wieder“, so möchte man in den Ausruf, den Huß auf dem Scheiterhaufen gethan haben soll, einstimmen: O heilige Einfalt!

Und unwillkürlich sagt man sich: Wie viele Kinder könnten einen gesunden und schönen Knochenbau behalten, wenn sie von Anfang an nach vernünftigen Grundsätzen aufgezogen würden! Und wie leicht, wie lohnend würde dies sein! Wie viel Siechthum und Leid würde erspart bleiben können durch die Beobachtung einfacher Lebensregeln! Welche Menge von Arbeitsleistung und nützlicher Thätigkeit könnte dem Vaterlande erhalten, welche Summen, die zur Krankenpflege und zur Unterstützung Erwerbsunfähiger aufgebracht werden müssen, würden in viel fruchtbarerer Weise für das Volkswohl verwendbar werden!

Und was kann man dem Kinde überhaupt fürs Leben Besseres bieten, als Gesundheit? Was Schöneres, als einen schlanken, ebenmäßigen Wuchs? Wie sich der Gärtner und der Forstmann über ein schön gewachsenes Bäumchen freut, so weilt unser Auge mit Wohlbehagen auf einer edelgeformten, kräftigen und normalen Gestalt. Zunächst ist es eine ästhetische Befriedigung, die wir beim Anblicke eines gut gewachsenen Körpers empfinden. Sodann aber sagen wir uns, daß der Knochenbau, der Träger des Körpers, es ist, welcher uns Halt und Stütze gewährt, unsern Muskelbewegungen zum Ansatze dient, die edelsten Organe als schützende Kapsel umgiebt.

Selbst die einfachste Mutter fühlt dies instinktiv heraus; daher, wenn sie fürsorglich ist, ihre Beachtung von Unregelmäßigkeiten des Knochenbaues. Daher ihre häufige Frage: „Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?“

Diese Frage fällt mit der nicht weniger wichtigen zusammen: „Wie schützt man das Kind vor Knochenleiden?“ Sie deutet schon darauf hin, daß die Kindheit es ist, in welcher wohl die meisten Knochenleiden ihren Ursprung haben.

Wir sehen, wie in manchen Ländern und Gegenden die Knochenleiden ausnehmend häufig sind, wie sie in der Stadt zahlreicher sind, als auf dem Lande, in dichtbewohnten Arbeitervierteln auf Schritt und Tritt anzutreffen, in den Straßen der oberen Zehntausend selten sind. Armuth stellt ihr Hauptkontingent, manche Berufsarten leisten offenbar der Entstehung von Knochenleiden Vorschub – allein alles Dies tritt gegen die eine Thatsache zurück, daß die physische Erziehung im Kindesalter den Grund zu guter oder schlechter Beschaffenheit des Knochenbaues legt. Ja, „was man von der Minute ausgeschlagen, giebt keine Ewigkeit zurück“; dies Dichterwort kann man auf Leiden anwenden, die in den Jahren der Entwickelung aus unscheinbaren Anfängen entstehen, um alsdann, nach Fixirung ihrer Mißform, nie wieder völlig zu verschwinden, sondern den Menschen durch sein ganzes Leben, wie sein Schatten, zu begleiten.

Sehen wir von einigen wenigen, in den späteren Lebensjahren oder im Alter auftretenden Knochenkrankheiten ab, so bringen die Kinderjahre in überwiegender Häufigkeit Knochenleiden mit sich. Daraus muß sich für Jeden der erste, wichtigste Grundsatz ergeben, daß nur die Kindheit, in der sich der Knochen anlegt und ausbildet, die rechte Zeit zur Verhütung von Skelet-Erkrankungen ist.

Es handelt sich nun im Wesentlichen um Zweierlei, worauf es bei dem Knochenbau ankommt. Einmal um die Beschaffenheit und sodann um die Form der Knochen. Ein Kind wird sich nur dann glücklich und normal entwickeln, wenn weder die chemische Zusammensetzung noch der Bau der Knochen gestört ist, was durch sorgfältiges Beachten von Lebensregeln, auf die wir später zu sprechen kommen, recht gut zu erreichen ist. Immer wieder muß man – um einen Vergleich zu haben – an den jungen Baum denken. Gute Herkunft, guter Boden, ein günstiger Standort, Sonnenschein und Regen zur rechten Zeit werden ihm ein gesundes Holz sichern; frühes Entfernen von seitlichen Aesten, festes Binden, passend angebrachte Stützen werden es bei geradem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_242.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)