Seite:Die Gartenlaube (1886) 272.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

geht hervor, daß dieser Herr van der Valk französischer Officier, dann bis 1799 Sekretär bei der holländischen Gesandtschaft in Paris war und endlich am 1. Juni 1799 nach Deutschland ging, von wo aus er bis zu seinem Tode mit der Familie van der Valk in Briefwechsel gestanden.

Aus der Jugendzeit erfahren wir, daß van der Valk mit seinem Vater nicht immer in Einklang gelebt habe. Er bezog 1789 die Universität Köln, die damals wegen ihrer trefflichen medicinischen Fakultät von Holländern viel besucht war, siedelte im Juli 1790 nach Göttingen über, wo er als Jurist inskribirt war, aber bis 1792 vorzugsweise Geschichte und Staatsrecht studirte. Da verschwindet er plötzlich und taucht 1793 in Paris wieder auf. „Stellungslos und abenteuernd“ – hält er es mit der aristokratischen Jugend des Palais-Royal, mit der er für die royalistischen Armeen der Emigration schwärmte. Im Juni 1795 finden wir ihn als Officier einer französischen Grenzarmee, 1797 ist er Kriegsgefangener in England, aber unter fremdem Namen, und am 6. Februar 1798 tritt er in die Dienste der holländischen Diplomatie, und zwar als Legationssekretär im Haag. Er kommt nun mit einer Reihe angesehener Diplomaten in Berührung, wird schon am 2. Juli durch den holländischen Minister van der Göß zum Sekretär bei der Gesandtschaft der Batavischen Republik in Paris mit 4000 Gulden Gehalt ernannt, wohnt sehr vornehm in der Rue de Lille und vertritt im Oktober desselben Jahres den Gesandten Schimmelpennink als Chargé d’Affaires mit anerkanntestem Erfolg. Auch mit Lafayette und Talleyrand trat er damals in Verkehr. Doch plötzlich, am 18. März 1799, nimmt er seinen Abschied, reist am 26. März nach Amsterdam, kommt noch einmal nach Paris zurück und begiebt sich am 1. Juni nach Deutschland. Damit schließt der erste, noch ziemlich helle Theil seines Lebens. Von nun an beginnt der zweite, der dunkle, in welchem wir ihn in Ingelfingen wieder gefunden und bis ins Schloß von Eishausen begleitet haben.

(Fortsetzung folgt.)

Was will das werden?

(Fortsetzung.)
Viertes Buch.

Der furchtbare, der glorreiche Winter war zu Ende, und Deutschland durfte sich des Höchsterrungenen freuen. Ich nahm meinen Theil an dieser Freude, die freilich eine ganz reine nicht sein konnte für mich, dem es nicht hatte vergönnt sein sollen, das Höchste mit erringen zu helfen. Dafür hatte mir dann aber der Frühling das Ende meiner Lehrzeit gebracht, nach welchem ich zuletzt doch mit Sehnsucht ausgeschaut. Nicht als ob ich mich für fertig gehalten, von dem Erfolge meines demnächstigen Auftretens sicher überzeugt gewesen wäre! Ich dachte sehr bescheiden von meinen Fortschritten, sehr klein von meinen gelegentlichen Leistungen auf der Liliput-Bühne des süddeutschen Städtchens, in welchem mein Lehrer nach manchem Umherirren den geeignetsten Ort für unsre Studien gefunden haben wollte. Aber ich meinte, wenn ich denn wirklich, wie er standhaft behauptete, bereits schwimmen könne, so wäre die Probe doch nur in tiefem Wasser anzustellen, nicht in diesem hier, das Einem höchstens bis an die Kniee reiche. Er mußte das zugeben, aber er habe sich nach seiner Instruktion zu richten. Hoheit habe befohlen, daß ich nicht früher in seiner Residenz erscheine, als bis er selbst zurück sei, da er mich, bevor ich aufträte, zu sehen und zu prüfen wünsche. Nun, und Hoheit war nicht zurück; Hoheit war bis zuletzt in Versailles geblieben, um das Ende der Kommune-Tragödie abzuwarten; dann zur Erholung von den Strapazen des Feldzuges nach Gastein ins Bad, zur Nachkur an die oberitalienischen Seen gegangen – er, Weißfisch, könne doch nichts dafür, daß darüber der April, der Mai ins Land kam, und freilich auch die Saison auf dem Residenztheater, das der Schauplatz meiner Heldenleistungen sein sollte, zu Ende ging. Hoheit habe das einmal so angeordnet, ich müsse eben Geduld haben; nur mit der Zeit pflücke man Rosen. –

Aber ich merke, daß ich da in Räthseln spreche: meine Lehrzeit – mein Lehrer – Komödienspielen – eine Hoheit, der ich vorgestellt werden soll – was heißt das? wie kommt das? wie bin ich in diese Lage gerathen?

Ja, wie ich in sie gerathen bin! Es ist ein sehr langes und sehr trauriges Kapitel, das ich um des Lesers und um meiner selbst willen so kurz wie möglich berichten will.

Durch den Tod des Vaters und die Flucht der Mutter war ich in eine jammervolle, völlig verzweifelte Situation gerathen. Keine leiseste Andeutung, wohin sie sich gewandt! Dafür von Herrn von Ruver, ihrem Beichtiger, die trockene Anzeige, daß sie ihr bei Herrn Israel angelegtes Kapital flüssig gemacht und mit sich genommen; das Haus, in welchem wir so lange gewohnt und das ihr gehörte, an Herrn Israel verkauft habe, und daß ich jetzt frei dem Zuge meines Herzens folgen und mich auf die eigenen Füße stellen dürfe, ohne fürchten zu müssen, durch Einwände der Mutter (die sich nicht von mir, sondern von der ich mich losgesagt) weiter behelligt zu werden.

So war ich denn auf die Straße geworfen, hätten sich meiner nicht mitleidige Menschen angenommen, anzunehmen versucht: die braven Hopps, die guten Israel’schen Frauen, der wackere Professor von Hunnius. Aber für mich wäre das ein Leben unter dem Henkersbeil gewesen – unmöglich, unerträglich.

Und ich hoffte, diesem unerträglichen Leben entrinnen und zugleich einen Wunsch erfüllen zu können, ein glühendes Verlangen, das aus dem Mahnworte des Majors von Vogtriz im Parke von Nonnendorf in meiner Seele emporgewachsen war, sie ganz erfüllend, all mein Sehnen wie in einen Strudel in sich reißend, all mein Denken tyrannisch unterjochend: das glühende Verlangen, in den Krieg, der nun entbrannt war, ziehen, mein Blut für das Vaterland vergießen, mein Leben, das keinen Werth mehr für mich hatte, für das Vaterland dahingeben zu dürfen.

Es sollte nicht sein.

Wie das kam, das dem Leser in Kürze zu erzählen, wird sich demnächst Gelegenheit bieten. Hier nur so viel, daß die Veranlassung, der Hinderungsgrund so schmerzlich war, wie das Krankenlager, auf das ich in Folge dessen geworfen wurde und von welchem ich als ein Halbinvalide erstand, der den freien Gebrauch seines rechten Armes im Leben nicht wieder gewinnen sollte.

Und da trat zu dem gänzlich Verzweifelten der Versucher in der Gestalt des Kammerdieners Weißfisch. Er hatte den scheuen Vogel nur zum Schein entfliehen lassen; in Wahrheit hielt er ihn an dem Faden fest, den er in Nonnendorf geknüpft und der sich jetzt als stark genug und als unzerreißbar bewies. Was da von lahmem Arm! Damit – und wenn’s so bliebe – es würde aber sicher nicht so bleiben – könne ich noch jeden Augenblick sämmtliche Erste-Liebhaber-Rollen der Welt spielen! Und wie spielen! ein junger Kerl wie ich, hübsch und schlank, und mit einer Stimme – ah! wenn er die Stimme gehabt hätte –

So lockte der schlaue Finkler, und ich war ein Verzweifelter und – achtzehn Jahre! Zu welchen Tollheiten läßt man sich da nicht leicht überreden, ja, hält die Tollheiten wohl noch gar für höchst verständige Handlungen, für heroische Thaten!

Ich darf zu meiner Ehre sagen, daß mir meine Flucht (denn eine Flucht war’s und wurde bei Nacht und Nebel ausgeführt) auch nicht einen Moment in diesem Lichte erschienen ist. Aber noch einmal: ich sah keinen anderen Ausweg, und ich war achtzehn Jahre.

Und so ade, du alte Stadt, in der ich meine Jugend verlebt und die doch nicht meine Heimath war! Ade, du graue Schule, die du wohl dein gewichtiges Haupt schütteln mochtest, als der Schüler, den du immer als einen der fleißigsten und besten geschätzt und gerühmt, dir entfloh wie ein echter, rechter Thunichtgut! Ade, ihr Freunde, die ihr es so gut mit mir meintet und die ihr mir doch alle ausnahmslos als Schergen und Kerkermeister meiner gefesselten, freiheitsdurstigen Seele erschient! Ade – und vorbei! vorbei! –

Die Rosenzeit war wirklich gekommen und meine Geduld völlig erschöpft, als eines Morgens Weißfisch mit der Nachricht ins Zimmer trat: „Er ist zurück und will Sie sofort sehen. Morgen Abend um neun Uhr!“

„Und das sagen Sie mir mit dem düstern Ton des schwedischen Hauptmanns aus dem ,Wallenstein‘?“ rief ich lachend.

„Es ist immerhin ein entscheidender Augenblick,“ sagte Weißfisch.

„Natürlich ist es das, und Gott sei Dank!“ erwiderte ich heiter. „Uebrigens sehe ich den entscheidenden Augenblick gar nicht in der Audienz, die mir der Herzog gewähren will –“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_272.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)