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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Entdeckungsfahrten des deutschen Dampfers „Samoa“.

III. Englisches Gebiet in Ost-Neu-Guinea.
a. d'Entrecasteaux-Inseln, Ost-Kap bis Mitrafels.
Für die „Gartenlaube“ mitgetheilt von Dr. O. Finsch (Bremen).
Kriegsflotte im Bismarck-Archipel. – Unfall S.M. Korvette „Marie“ in Neu-Irland. – Insel Trobriand und ihre Bewohner. – Neues Riff. – Die d'Entrecasteaux-Inseln. – Weihnachtsbucht. – Unsere Weihnachtsfeier. – Eingeborene. – Allgemeiner Charakter der Inseln. – Reiche Kulturen. – Dawson-Straße. – Goulvain-Insel. – Die Bewohner wahrscheinlich Kannibalen. – Fergusson. – Göschenstraße. – Fast festgerannt. – Malerische Gebirgslandschaft in Goodenough-Bai. – Kap Vogel. – Kap Nelson. – Küste bis Mitrafels. – Station Blumenthal. – Eingeborene von Hihiaura.

Canu in der Weihnachtsbucht.

Wie Mioko mit der Handelsflotte, so paradirte der Nachbarhafen Matupi in der Blanche Bai, Neu-Britannien, mit der Kriegsmarine. Außer „Elisabeth“ und „Hyäne“ war noch die Kreuzerkorvette „Marie“ (Kommandant Kapitän z.S. Crokisius) von der Westküste Südamerikas über Samoa eingetroffen, sowie ein englisches Kanonenboot, ein Geschwader, wie es der Bismarck-Archipel nie vorher gesehen hatte und welches den Eingeborenen heilsamen Respekt einflößte. Trotz dieser großen Anzahl von Schiffen bot sich dennoch keine Gelegenheit zur Briefbeförderung via Australien nach Europa. Wollten wir daher von uns Nachricht geben, so blieb nichts Anderes übrig, als unsere Berichte selbst nach Cooktown in Queensland, dem nächsten Hafenplatze mit Post- und Telegraphenstation, zu bringen.

Wir entschieden uns daher ohne Säumen zu dieser über 1000 Seemeilen weiten Fahrt, machten die „Samoa“ seeklar und verließen in der zweiten Hälfte des December Mioko-Hafen, und zwar mit der „Marie“ zugleich. Im freien Fahrwasser des Georg-Kanals nahmen wir Abschied, Hüte und Tücher wurden geschwenkt, die Flaggen dippten dreimal zum Gruße, und die „Marie" dampfte Matupi zu, während wir unsern Kiel nach Süden wendeten. Ein herrlicher Anblick, so ein stattliches Kriegsschiff von mehr als 2000 Tons und einer Besatzung von mehr als einem Vierteltausend an Bord! Wie klein und unbedeutend erschien die „Samoa“ neben diesem Riesen! Aber auch einem so stolzen Fahrzeuge drohen die heimtückischen Bauten der Korallenthierchen mit Verderben, vielleicht jähem Untergange, wie die „Marie“ bald erfahren sollte: kaum eine Woche später saß sie auf dem Riffe an der Nordwestspitze von Neu-Irland. Das Schiff sollte Nusa besuchen, eine kleine Insel, auf welcher ein Deutscher, Friedrich Schulle, eine Handelsstation besitzt, mußte sich also in ein sehr gefährliches Fahrwasser voller Riffe begeben, das durch die hier herrschenden plötzlich aufspringenden schweren Böen noch gefährlicher wird. Eine solche war es auch, welche die „Marie" faßte, als sie beim Passiren der Insel-Durchfahrt ein wenig das Riff streifte und festkam. Die plötzlich hochaufgewühlte See brachte mit jedem Wellenschlage das Schiff weiter aufs Riff, und nur mit der größten Austrengung gelang es nach mehr als achtundvierzigstündiger harter Arbeit, das Schiff abzubringen und vom völligen Untergange zu retten. Freilich war es arg beschädigt. Der Hintersteven, ein gewaltiges Stück von bestem Schmiede-Eisen, hing geknickt und verbogen herab, das kolossale, an 60 Centner schwere Ruder hatte sich wie ein Kartenblatt gebogen, aber das Schiff war in seinen Grundvesten unerschüttert, ein Triumph deutscher Schiffsbaukunst, welcher der Reiherstieg-Werft in Hamburg zu hohem Ruhme gereicht. Aber auch die Tüchtigkeit unserer Marine hat sich bei diesem Unfalle auf das Glänzendste bewiesen. Nach mehr als zweimonatlicher angestrengter Arbeit war die „Marie“ soweit reparirt, um unter Segeln die Reise nach Sydney antreten zu können.

Diese Leistungen unserer Marine fanden hier seitens der englischen volle Würdigung, indem Kommodore Erskine, der Chef des englischen Südseegeschwaders, mit seinem Officierkorps der „Marie“ einen Besuch im Dock abstattete und seine vollste Anerkennung aussprach, ein Lob, das damals durch die ganze australische Presse ging. Und dieses Lob verdient Weiterverbreitung und zumal bei uns in einer Zeit in Erinnerung gebracht zu werden, wo die „Marie“ nach allen Fährlichkeiten in dem heimischen Hafen erwartet wird oder, indem ich dies schreibe, vielleicht schon glücklich eingelaufen ist. Heißen wir sie daher herzlich willkommen!

Und nun nach dieser kleinen, aber hoffentlich nicht unwillkommenen Abschweifung wieder zur „Samoa“ zurück, die sich in zwischen an der Küste von Trobriand oder Kiriwai befindet.

Diese ziemlich isolirte kleine insel auf circa 8 ½ ° südlicher Breite wurde von dem französischen Seefahrer d'Entrecasteaux 1793, also vor fast 100 Jahren, entdeckt. Ihre Lage und Konfiguration ist aber noch heute nur in den vagen Linien ihres Entdeckers, der sie übrigens nur sichtete, auf den Karten verzeichnet. Sie erscheint von Weitem wie ein langer Streif dichten Laubwaldes, birgt aber im Innern schone Flächen fruchtbaren Landes, auf dem die Eingeborenen vortrefflichen Yams zeitigen. Bekanntlich ist letzterer eine stärkemehlreiche Wurzel, die geröstet oder gebacken unserer Kartoffel entspricht und welche für verschiedene Gegenden dieses Theiles der Tropen das wichtigste Nahrungsmittel liefert. Wir selbst erhandelten Exemplare von kolossaler Größe; eine solche Yamswurzel war an 6 Fuß lang und wog 17 Pfund.

Interessanter als diese Monstra der Bodenkultur waren übrigens die Eingebornen selbst, die uns bald in ihren Canus umschwärmten, und zwar schon aus anthropologischen Gründen, da sie nicht zur melanesischen, sondern zur polynesischen Rasse gehören. Es sind also hellergefärbte, schlichthaarige Menschen, die ganz mit Marshallanern, Caroliniern, Samoaner, Maoris etc. übereinstimmen. Rings umgeben von Stämmen der schwarzen Südseerasse gewinnt Trobriand, mit Woodlark- und den Laughlan-Inseln, welche eine gleiche polynesische Bevölkerung besitzen, ein ganz besonderes Interesse, das dem Anthropologen und Ethnologen zu denken giebt. Dem erfahrenen Reisenden würde das Wort „kaikai" schon genügen, um die Eingeborenen Trobriands als Polynesier anzusprechen, denn damit wird in fast ganz Polynesien „essen“ bezeichnet.

Die Insulaner waren im Ganzen ziemlich armselige Gesellen. Ein Strick um den Leib mit einem zwischen den Beinen durchgezogenen Stück Pandanusblatt bildete ihre ganze Bekleidung, und von Schmuckgegenständen besaßen sie so gut wie gar nichts. Sie scheinen gewaltige Fischer zu sein, gewaltig, weil sie sich an den Fang der Meerungeheuer, der Haie wagen, wie die enorm großen, aus einem spitzwinkelig gekrümmten Baumast gefertigten Haken zeigten. Aber auch als Krieger scheinen die Trobriander nicht minder gewaltig, die ihre Waffen, den hölzernen Wurfspeer und kleine eigentümlich geformte Holzschilde, geschickt zu handhaben verstehen. In einem der Letzteren, welchen ich mit heimbrachte, kann man nicht weniger als elf abgebrochene Speerspitzen zählen! Diese Schilde sind zuweilen in höchst origineller und schwungvoller Weise mit bunter Malerei verziert, in einem Muster, das ebenso eigentümlich wie die Form der Schilde selbst ist.

Obwohl die Westküste von Trobriand einen leidlichen Ankerplatz besitzt, so fanden wir denselben nicht, da uns die Nacht überraschte. Die Ostküste ist wegen Brandung und Felsufer vollends unzugänglich, ebenso die im Süden angrenzende Insel Lagrandiere. Wir hofften südlich von derselben einen westlichen Kurs nach Neu-Guinea steuern zu konnen, sahen unseren Weg aber durch ein mächtiges Riff versperrt, das gar kein Ende nehmen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_367.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)