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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Formel aufathmete, warf er sich in den leichten, offenen Wagen und fuhr nach der nächsten Eisenbahnstation ab.

Mit überlegener Gründlichkeit winkte er Abschiedsgrüße. Aber als das Bad hinter ihm lag, drückte er den Hut tief in das finster gewordene Gesicht. Er mußte sich sagen, daß ihn diesmal sein Scharfsinn nach allen Seiten im Stich gelassen hatte.




Es war noch früh am andern Morgen, als der Reisewagen der Frau von Blachrieth von dannen rollte, der Eisebahnstation zu.

Der Hainberg lag noch in blauen Duft gehüllt. Aber um das braune Gestein der Weinberge zerflatterten schon die Nebelwölkchen, von der aufgehenden Sonne rosig angestrahlt. Die Lerchen stiegen singend empor, und aus dem Lora-Grund drang das eintönige Rauschen des Wassers.

Da hielt an einem Grenzsteine ein stattlicher Reiter. Die hohen Stiefel, der knapp zugeknöpfte Rock gaben ihm ein ritterliches Ansehen.

Hedwig fuhr aus der Ecke empor, in der sie träumerisch gelehnt hatte.

Georg grüßte lächelnd, erstattete kurz den günstigen Bericht über den Verwundeten, den er aus Himmelgarten erhalten und bereits nach Zürich telegraphiert hatte, und flüsterte Hedwig zu, daß sie auf seinem Grund und Boden sei und er ihr, wie sich für den Vasallen seiner Herrin gegenüber zieme, bis an die Grenze das Geleit geben werde.

Das führte er auch aus, ohne von Frau von Blachrieth etwas Anderes als ein roth geweintes Gesicht und eine halb leidende, halb beleidigte Verbeugung zu gewahren.

Als der Grenzstein erreicht war und Georg sich verabschiedet hatte, da schaute Hedwig noch lange zu ihm zurück, wie er, ihr nachblickend, die Hand an der Mütze, unter seinen dunklen Waldbäumen hielt, hoch und stolz wie diese.

Und sie mußte sich bezwingen, daß sie der Tante nicht jubelnd gestand, wie sie am Tage des Jammers beim Einpacken vieler zarter Häubchen dem Hauptmann Georg Aufdermauer die Erlaubniß gegeben hatte, bei ihrem Vater um ihre Hand zu werben.




Ein Jahr war verflossen, seitdem Georg als Fährmann Hedwig nach seinem Grund und Boden übergeholt hatte.

Ganz wie damals strahlte die Sonne goldig vom blauen Himmel und gleißte goldig aus den Wellen der Lora wieder, flüsterte der Wind in den alten Bäumen des Hainberges, duftete die Weinblüthe an dem Gelände.

Aber für Georg hatten sich die Zeiten geändert. Das dachte er mit warmer Freude, während er, die Büchse über die Schulter gehangen, begleitet von den Jagdhunden, dem Hause Aufdermauer zuschritt. Die Schwalben schossen pfeifend um das schwere, mit kräftiger Hauswurz besetzte Dach; gastlich rauschte der große Brunnen unter den alten Lindenbäumen ihm entgegen. Es war Alles, wie es bei einem echten deutschen Hause sein muß.

Georg’s Blicke flogen über die tiefen kleinen Fenster hin, die in der Abendsonne funkelten, aber aus keinem derselben schaute ein rosiges Gesichtchen, von keinem Erker wehte ihm ein weißes Tuch entgegen.

„Das Nest scheint leer zu sein; ist das Vögelchen ausgeflogen?“ sprach er für sich, indem er durch das niedrige offene Fenster des untersten Stockes in die kühlen Vorrathskammern blickte.

In diesem Augenblick wurde dieses durch eine Hand leise zugeschoben, daß sein Kopf nicht zurück konnte.

„In sein eigenes Haus geht man durch die Thür, nicht durch das Fenster,“ sagte eine helle neckende Stimme hinter ihm.

Von den Wirthschaftsgebäuden her war eine junge Frau ihm nachgeschlichen, ohne bemerkt zu werden, und hatte ihm den Streich gespielt.

„Warte, Schelm!“ rief Georg, vorsichtig den Kopf aus der Falle ziehend, während sein Hund zutraulich die braune Nase in Hedwig’s Hand schob und durch Schwänzeln zu erkennen gab, daß auch er den Scherz verstehe. „Warte, Du sollst Deiner Strafe nicht entgehen.“

Damit wollte er sie umfassen und küssen.

Sie aber trat abwehrend zurück.

„Das schickt sich ja gar nicht unter freiem Himmel,“ sagte sie lachend, „und überdies erwartet Dich Jemand.“

„Dürfte wahrhaftig vorderhand zu viel sein.“

„Aber, Georg, siehst Du denn nicht ein –“

„Ich sehe ein, daß ich an Dir genug habe, daß Du immer allerliebst warst und mit jedem Tage hübscher geworden bist.“

„Bin ich auch hübscher geworden?“ fragte eine klanglose tiefe Stimme, und ein eleganter Herr trat aus der Hausthür.

„Herr von Ravensburgk!“ rief Georg ganz verblüfft.

„Nennen Sie es immerhin einen Schwabenstreich, bei jungen Eheleuten ein paar Stunden einzukehren,“ sprach Ravensburgk ernster und weicher als sonst, „aber lassen Sie auch meine Entschuldigung zu. Auf dem Wege nach Baden-Baden mußte ich Jungbrunnen passiren und, dort angelangt, stürmten die Erinnerungen an die vorjährige Saison mit solcher Macht auf mich ein, daß ich der Versuchung, ihrer Frau Gemahlin mein Kompliment zu machen und noch einmal eingehend über die damaligen Ereignisse zu plaudern, wie jeder Versuchung Zeit meines Lebens – unterlag.“

„Sie sind herzlich willkommen,“ sagte Georg, „wenn Sie sich mit Wohnung, Küche und Keller des altmodischen Hauses Aufdermauer begnügen wollen. Auch mit der Stunde des Soupers müssen Sie sich nach der ländlichen Gewohnheit richten, welche das Feierabendläuten als Signal dazu festgesetzt hat. Wer mit Sonnenaufgang sein Tagewerk beginnt, muß es mit Sonnenuntergang schließen.“

Unter dem steinernen Laubengang wurde die Tafel gedeckt, mit Silbergeschirr besetzt, das des alten Hauses würdig war durch Größe und Schwere, und ein Mahl aufgetragen, welches zeigte, daß der Herr des Hauses auch regierte über die Thiere des Waldes, die Früchte des Feldes, die Vögel unter dem Himmel, die Fische im Wasser, und daß seine junge Frau nicht umsonst durch Küche und Milchkeller, Garten und Gewächshaus mit dem Schlüsselbund geklappert hatte.

Ein weicher Abendhauch strich durch den Bogengang. Die Baumwipfel des Hainberges drüben standen regungslos, als wären sie im Einschlummern.

Der letzte Sonnenschein ließ die Ruine Falkeneck in rothem Lichte erglühen. Allmählich verglomm es. Dunkel und öde erhoben sich die stolzen Trümmer. Fernher tönte durch die Stille der dumpfe Hall eines abbröckelnden Mauerstückes, und leise rauschte im Grunde die Lora.

„Nun, was ist denn aus der großen Verwirrung von damals hervorgegangen?“ fragte Ravensburgk. „Die Menschen pflegen sich ja doch nach jedem Zusammensturz ein neues Heiligthum, ein anderes Luftschloß oder abermals ein trauliches Nestchen zu zimmern. Sie haben verständigerweise das Nest gewählt. Nun möchte ich aber auch wissen, wie die Anderen ihr Leben wieder aufgebaut haben.“

Hedwig deutete hinüber, wo zwischen einem Einschnitt der Berge das Thürmchen des Bethauses von Himmelgarten sich in die blauen Schleier der Dämmerung hüllte.

„Dort ist die Stätte, wo Leonorens Heiligthum steht. Während ihr Vater unter ihrer treuen Pflege genas, wurde seine Beziehung zur Spielbank gelöst, die Betheiligung des letzten Falkeneck an derselben mit einer großartigen Stiftung für das Armenbad gesühnt. Als er dann geheilt war und die Aerzte ihm für den Winter einen Aufenthalt in Italien verordneten, da erklärte Leonore fest, daß sie nicht wieder in die Welt hinaus ziehen werde. Sie wolle bei denen bleiben, die ihr in ihrem tiefen Fall die Hand geboten hätten, und sich ein Heim unter ihnen zu erringen suchen. So ist das lange getrennte Ehepaar zusammen nach Italien abgereist, von da nach Wildbad und dann in die Schweiz gegangen, wo der Patient sich vollends erholen soll. Leonore aber lebte sich unter der Anleitung der Schwester Jakobine in der Gemeine ein. Wenn am nächsten 13. August die Erneuerung der Brüdergemeine gefeiert wird und neue Mitglieder aufgenommen werden, dann soll das Los auch entscheiden, ob das letzte Kind des Hauses Falkeneck sich hinfüro zu den Schwestern zählen darf.“

„Leonore in der Herrnhutergemeine!“ rief Ravensburgk lachend.

„Und warum nicht?“ entgegnete Hedwig sanft, aber ernst. „Im Augenblick, da Alles ihr zerbrach, fand sie dort eine Stütze, die nicht wankte. Heino liebte sie nur als die, welche er in ihr sah, nicht als die, welche sie war. Der Bruder Johannes aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_396.jpg&oldid=- (Version vom 27.5.2021)