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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Und die Affenfrage? Nun, ich möchte glauben, sie in dem Vorausgegangenen bereits beantwortet zu haben, stehe aber nicht an, meiner Auffassung derselben noch besonders Ausdruck zu geben.

So unbestreitbar die Uebereinstimmung zahlreicher Merkmale bei Mensch und Affe ist, so bestimmt stellen sich bei genauester Vergleichung der Menschen und Affen Unterschiede heraus, welche eine so innige Verschmelzung beider Gruppen, als neuerdings versucht worden, unbedingt verbieten. Die Ebenmäßigkeit der Gestalt, die verhältnißmäßige Kürze der Arme, die Breite und innere Beweglichkeit der Hände, die Länge und Stärke der Beine sowie die Plattheit der Füße, die nackte Haut und nicht minder die geringe Entwickelung der Eckzähne sind äußerliche Merkmale des Menschen, welche nicht unterschätzt werden dürfen, vielmehr gewichtig genug erscheinen, um zwischen ihm und den Affen bestimmte Grenzen aufzurichten und festzuhalten. Zieht man außerdem die Anlagen des Menschen gebührend in Erwägung, vergleicht man seine Bewegungen, seine gegliederte Sprache, seine geistigen Fähigkeiten mit den entsprechenden Begabungen der Affen, so wird man in Aufrechterhaltung jener Grenzen nur unterstützt werden können.

Blinde Anhänger der Umwandelungslehre, wie sie Darwin begründet und Andere weiter ausgebaut, überspringen jene Grenzen freilich ohne alles und jedes Bedenken; sie aber können für eine besonnene Beurtheilung der thatsächlich bestehenden Verhältnisse unmöglich maßgebend sein. So befriedigend, um nicht zu sagen wahrscheinlich, jene Lehre auch ist, über die Bedeutung einer geistvollen Annahme hat sie sich noch nicht zu erheben vermocht; unwiderlegliche Beweise für die Nichtigkeit dieser Annahme hat sie noch nicht erbringen können. Veränderlichkeit der Spielarten oder Rassen läßt sich erweisen, sogar bewirken; Umwandlung einer Art in die andere konnte noch in keinem Falle festgestellt werden. So lange aber Letzteres nicht der Fall, so lange sind wir berechtigt. Menschen und Affen als verschiedenartige Wesen zu betrachten und die Abstammung des einen von dein anderen zu bestreiten. Jeder Versuch, einen gemeinschaftlichen Urahn zu entdecken oder zu ergründen, jegliches Unterfangen, eine Ahnenreihe des Menschen aufzustellen, ändert hierin nicht das Geringste; denn wirkliche Naturwissenschaft begnügt sich nicht mit Erklärungen, sondern verlangt Beweise, wenn sie befriedigt sein soll; sie will nicht glauben, sondern wissen.

Und so mögen wir den Affen unbekümmert die Stellung einräumen, welche unbefangene Prüfung in der Reihe der Wesen ihnen anweist. Als die uns am meisten ähnelnden Thiere oder unsere nächsten Verwandten im thierkundlichen Sinne dürfen wir sie anerkennen; weitergehende Rechte müssen wir ihnen versagen. Vieles, was dem Menschen eigen, wurde auch ihnen beschieden; von wirklichem Menschenthume trennt sie eine noch immerhin weite Kluft. Viel, aber bei weitem nicht aller Mensch ist in ihnen verkörpert wie vergeistigt.


Studien nach dem Leben.
Von Hermann Heiberg. Gewohnheiten und Unarten.
II.

Es giebt manche Sonderlinge, die man als Anfasser bezeichnen konnte. Es wird ihnen nichts gezeigt, das sie nicht berühren, worauf sie nicht tupfen müssen. Eine Schachtel, eine Geldtasche wird niemals praseinirt, ohne daß sie diese offnen, und selbst wenn sie in einem öffentlichen Garten sich bewegen, in dem auf großen Tafeln vorher schon vor ihren Unarten gewarnt wurde, müssen sie Blätter abreißen und Blumen pflücken.

In Ausstellungen können sie’s nicht lassen, ihre Hände in Bewegung zu setzen, und sind’s gar Bücher, schauen sie sich um, ob nicht ein unbewachter Moment gestatte, rasch einmal hineinzugucken. Die Anfasser packen Freunde und selbst Fremde beim Sprechen an der Schulter und halten ungebührlich lange eine arglos gebotene Hand. Einige drücken auch, daß man schreien möchte, und seltsamer Weise reichen diejenigen am liebsten und am häufigsten ihre Rechte, deren Finger weder Elfenbeinglätte noch trockene Flächen haben. Kalte, feuchte Hände wirken selbst auf Ungebildete mit weniger ausgeprägtem ästhetischen Gefühl abstoßend. Es sollte Jeder einmal an sich genau prüfen, was ihm aichastet und anhängt; er würde, wenn er die Unarten ablegte, wahrscheinlich und zu seiner angenehmen Ueberraschung, eine ganz veränderte Begegnung bei seinen Mitmenschen beobachten können.

Lästig können die Knopfdreher werden. Vor einigen Monaten begegneto ich Einem ans der Straße, der zugl ich sehr langathmige und langweilige Auseinandersetzungen in eigener Sache hielt. Ich legte meine schützende Hand über den Rock. Da packte er aber doch den obersten Knopf, hielt ihn fest, drehte und drehte und gab ihm endlich den Nest. „Zum Andenken,“ sagte ich launig beim Schluß seiner Rede und überreichte dem Unermüdlichen das Resultat seiner Bemühungen.

Scherenspieler und Schneider finden sich vielfach in der Gesellschaft. Während der Konversation setzen sie das Instrument in Bewegung, und es giebt sogar Einige, welche die Ecken der Tischtücher nicht schonen. Wolle, Seide oder Zeug ist niemals sicher vor ihnen, wenn’s gerade auf dem Tisch liegt.

Die Maler in der Gesellschaft punktiren und beschreiben Papier, Wände und Tische. Jede freie Fläche ist ihnen die Leinewand für ihre Kritzeleien. Sie müssen entweder ihren Namen einschreiben oder wenigstens eine Schnörkelei anbringen; manche schreiben auch Sprüche und Gedichte hin. Meistens gelangen diese „Kieselacks“ niemals an denselben Ort zurück, aber ein unwiderstehlicher Drang treibt sie, ihre Künste zu üben.

Knaben können an einem neubemalten Staket überhaupt nicht vorübergehen, ohne Kreide- oder Bleifederstriche zu machen oder mit dem Taschenmesser darüber zu fahren. Nicht selten zeichnen sie auch eine Menschengestalt in ungeheuerlichen Proportionen.

Namentlich bei weiblichen, abhängigen Personen findet sich die Gewohnheit, die letzten Worte ans der Rede des Anderen zu wiederholen. Es soll als eine besondere Artigkeit wirken, oder die tiefe Ergebenheit fließt in solcher Weise über.

„Ich habe mehrfach versucht, aber ohne Nutzen,“ hebt der Sprechende an, und als Echo tönt zurück: „Aber ohne Nutzen“. Und so geht’s fortwährend in längerer Rede. Fast keinen Satz giebt es, der nicht mit seinem Ende angebunden wird. Redensarten, die zur Gewohnheit geworden sind, können oft konüsch wirken. Eine alte Frau, welche ich in meiner Jugend kannte und die irgendwo als Kammerzofe bei einer fürstlichen Persönlichkeit gedient hatte, brauchte den Ausdruck: „Mit Erlaubnis zu sagen.“ Und da hörte ich sie einmal einer meiner Angehörigen berichten, daß eine Hochgestellte Dame sie besucht habe, und sie leitete ihre Erzählung über diesen Besuch mit den folgenden Worten ein: „Ich saß, mit Erlaubniß zu sagen, und nähte, als Frau Gräfin bei mir eintraten!“

Vor Jahren besuchte ich ein Lesezimmer und fand um eine Nachmittagsstunde, in der ich eben auch gerade die rechte Zeit für das Durchlesen von Zeitungen fand, stets drei ältere Herren, die allezeit bei meinem Eintreten, ohne zu grüßen, ein wenig die grauen Köpfe hoben und dann sich wieder eifrig vertieften. Einer vorn ihnen litt an einem Mundkrampf und mußte gegen seinen Willen Töne von sich geben, die an eine beim Gebrauch abgenutzte Kindertrompete erinnerten. Dies Geräusch ertönte in Pausen und namentlich, wenn abermals die Russen über die Türken gesiegt hatten. Ich hörte gelegentlich, daß er ein Russenhasser sei. Der Zweite, ein pensionirter Beamter, ein stupider „Von oben herab“, schurrte mit den Stiefeln den Fußboden. Dieses scheuernde Geräusch erfolgte in ziemlich regelmäßigen Pausen von fünf Minuten und veranlaßtn: den Trompetenbläser unwillkürlich einzufallen. Drob aber gerieth der Dritte, ein alter Justizrath, wieder in. einen nervösen Zustand und stieß mit einem von mir nie wieder gehörten Nasallaut die Luft heft'g und wiederholt aus den Nüstern.

Acht Tage Hielt ich aus, dann aber entfloh ich diesem prustenden, scharrenden und schnaubenden Durcheinander und kann nicht nieder. Sie aber lesen noch heute um dieselbe Stunde und ertragen Unabänderliches.

Unerschöpflich ist das Kapitel! Ich erinnere zum Schluß noch an andere Gewohnheiten beim Sprechen, die Jedermann bekannt sind. Es giebt eine Klasse von ..Das heißt, das heißt“, und „Ich meine, ich meine“, und „Wissen Sie, wissen Sie“.

Es läßt sich z. B. ein solcher wie folgt vernehmen: „Ich habe mit ihm gesprochen, aber ich meine – ich meine, viel war nicht aus ihm herauszukriegen und ich meine, ich meine, wenn der Mann nicht einmal offen ist – nicht einmal mir gegenüber, ich meine: mit der Sprache heraus will, dann etc.“

Die „Das Heißt-Leute“ haben mehr eine erklärende Ader, während jene Einschiebsler sind. Ein „Das Heißt-Mitglied“ spricht etwa so: „Das heißt, das heißt, nur unter der Bedingung, daß Sie in acht Tagen wieder zurück sind. Mein Sohn will auch verreisen, das heißt – eine Geschäftsreise unternehmen, und wenn Alles so liegt, so werde ich am 24., das heißt, das heißt, jedenfalls gegen Ende des Monats meine diesjährige an treten.“

Bei Damen findet man häufig die Gewohnheit des Uhrkettenreibens. Die Kette hängt offener heraus, als bei den Männern, und ihre Hände zerren gern an den einzelnen Gliedern. Tragen Frauen Blumen an der Brust, müssen sie eifrig rücken und schieben, und junge Mädchen zupfen häufig mehr an ihrer Toilette, als sie reden. Ich kenne eine alte Dame, welche die sonderbare Gewohnheit hat, mit denn Kopf Nein zu schütteln, wenn sie beipflichten will, und wenn sie entgegengesetzter Meinung ist, neigt sie das Haupt und zieht die Unterlippe herab. An dieser Bewegung erkennt man, daß sie nicht derselben Ansicht ist.

Die halbe Welt der Bärtigen streicht und zupft und kräuselt an dem Haarwuchs. Einem Kräusler rief ich einmal zu: „Sie. Bernewitz! Sie säuseln ja schon wieder!“

„So? Wieder?“ rief er bestürzt, zog die Hand zurück und schloß, sofort die Bartenden abermals in die Hgnd nehmend: „Eine dumme Gewohnheit! Ich werd’s jetzt lassen!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_400.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2022)