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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Ein Wettkampf zwischen Geschütz und Panzer.

Aus dem erbitterten Wettkampfe, welcher seit Jahrzehnten zwischen Geschütz und Panzer geführt wird, schien noch vor Kurzem die Angriffswaffe als endgültige Siegerin hervorgehen zu sollen. Wie der Harnisch der Ritter früherer Zeiten sich machtlos gegen die Büchsenkugel erwies, so sollte auch der Riesenpanzer der Kriegsschiffe und der Strandbatterien keine Schutzwehr mehr bilden gegen die Wucht der Geschosse, welche aus den größten Feuerschlünden der Neuzeit, den 100-Tons-Geschützen, geschleudert werden. Und in der That gab es bis zu den Schießversuchen in Spezia keine Panzerplatte, welche den Kugeln dieser von der Firma Armstrong gebauten, auch unter der Bezeichnung 43-CentimeterKaliber bekannten Kanonen hätte Widerstand leisten können. Kein Wunder, da dieselben in der Regel mit 350 Kilogramm Pulver geladen werden und das Gewicht ihrer Geschosse 17½ Centner beträgt!

Die italienische Regierung ist bis jetzt die einzige gewesen, welche einige ihrer Kriegsschiffe mit diesen furchtbaren Zerstörungsmaschinen armiren ließ und die auch den Plan gefaßt hatte, dieselben zur Vertheidigung der Küste zu verwenden. Hier sollten sie in Panzerthürmen aufgestellt werden, wie dieselben schon früher in der „Gartenlaube“ (vgl. Jahrg. 1883, S. 207 u. f.) beschrieben und abgebildet wurden. Die Ausführung dieses Planes würde jedoch nur dann einen sichtbaren Nutzen bringen, wenn diese Panzerthürme mit Platten geschützt werden könnten, welche den Geschossen der 100-Tons-Geschütze Widerstand leisteten.

Die Versuchs-Panzerplatte in dem Gruson’schen Etablissement.

Die berühmte Firma Gruson in Buckau bei Magdeburg hatte sich bereit erklärt, den gewünschten Panzer zu liefern, und es wurde in Folge dessen zwischen ihr und der italienischen Regierung ein Kontrakt abgeschlossen, daß sie zwei Panzerthürme in dem Kriegshafen zu Spezia errichten solle, wenn eine von ihr probeweise gelieferte Panzerplatte drei Schüssen aus einem 100-Tons-Geschütze widerstände, ohne Verletzungen davonzutragen, welche den Schutz des Panzerthurmes fraglich machen würden.

Schon im vorigen Jahre war diese Probeplatte im Gewicht von 88000 Kilogramm in dem Gruson’schen Etablissement aus Hartgußeisen angefertigt worden und stand zur Verladung bereit. Unser erstes Bild zeigt uns den Riesenblock in diesem Zustande. Er bildet nur einen Theil der Kuppel des Panzerthurmes, die aus 15 derartigen Platten zusammengestellt wird.

Um diese schwere Masse von den Ufern der Elbe nach Spezia zu befördern, mußte ein besonderer zwölfaxiger Transportwagen gebaut werden, welcher auch die ungeheure Last durch den Gotthard-Tunnel glücklich nach Italien brachte. Hier wurde die Platte nahe am Meeresufer in einer in dem Felsen ausgesprengten und ausgemauerten Nische aufgestellt, wobei ihr Anschluß durch drei gewaltige gußeiserne Platten von 42000 bis 45000 Kilogramm Gewicht vermittelt wurde. Außerdem war noch über und vor der Platte, um dem Zurückfliegen von Geschoßtrümmern vorzubeugen, ein aus starken Balken gebildeter Schutzbau angeordnet und nur eine kleine Oeffnung zum Passiren des Geschosses freigelassen.

Das Geschütz selbst wurde auf dem Ponton „Valente“ aufgestellt. Unsere zweite Abbilduug giebt uns die Ansicht des Kolosses, neben welchem sich noch ein kleineres Geschütz von 15 Centimeter Kaliber befindet. Die Entfernung zwischen der Mündung des Geschützrohres und der Platte betrug nur 133 Meter, und für das Versuchsschießen wurde das Geschütz ausnahmsweise mit 375 Kilogramm braunem prismatischen Pulver der Rheinisch-Westfälischen Pulverfabriken geladen, während als Geschosse Krupp’sche gehärtete Stahlgranaten im Gewicht von 1000 Kilogramm verwendet wurden.

So waren auf dem Schießplatze zu Spezia die bedeutendsten Firmen der modernen Fabrikation des Kriegs-Materials vertreten, und auch viele Abgeordnete europäischer, amerikanischer und selbst asiatischer Staaten als Zeugen des Riesenduells zwischen Geschütz und Panzerplatte erschienen. Die Kosten dieser großen militärischen Schaustellung beliefen sich auf eine halbe Million Franken.

Das 100-Tons-Geschütz auf dem Ponton „Valente“.

Am 20. April war das Meer ruhig; die Bewegungen des Pontons „Valente“ erfolgten in den zulässigen Grenzen; der erste Schuß konnte abgefeuert werden. Gegen 9 Uhr brachten mehrere Barkassen sämmtliche Theilnehmer nach dem Schießplatze.

Das Richten und Laden der Kanone, sowie die Kompletirung des Schutzbaues vor der Platte nahmen etwa zwei Stunden in Anspruch. Nach Ablauf derselben begaben sich die Zuschauer auf ihren Standplatz, der sich im Freien in einer Entfernung von etwa 300 Meter von der Platte befand. Um ½11 Uhr erfolgte die Detonation des Schusses, die rings im Golfe vielfach widerhallte. Eine mächtige Rauchwolke verdeckte den Ponton, und man sah in ihr Holzbalken in die Höhe fliegen, Trümmer der von dem Luftdruck aus einander gesprengten Landungsbrücke, an welcher der Ponton festgelegt war.

Man eilte nunmehr zu der Platte und entfernte zum Theil den hölzernen Schutzbau (vergl. unsere Abbildung S. 402). Die meisten Sachverständigen waren fest überzeugt, daß sie die Platte zertrümmert finden würden, statt dessen stand diese fast unverletzt, während das 1000 Kilogramm schwere Geschoß fast in Atome zersplittert war. Der Schuß hatte auf der Platte nur einen flachen etwa 5 Centimeter tiefen Eindruck hinterlassen, von welchem 5 radiale Risse ausgingen. Nur einer derselben pflanzte sich bis in den untersten Theil der Platte als feiner Haarriß fort. Die Zahl der gesammelten Splitter, zu welchen die Stahlgranate zerschellt war, betrug gegen 1000. Nachdem der Schutzbau und die Landungsbrücke wieder hergestellt worden waren, erfolgte am 24. April der zweite Schuß. Eine 10 Centimeter tiefe Ausschleifung, deren größte Länge und Breite etwa 40 Centimeter betrug, und 5 radiale Risse bildeten keine ernstliche Beschädigung der Platte, die auf der Innenseite vollkommen intakt blieb und auch gegen den dritten Schuß widerstandsfähig erschien.

Dieser konnte wegen ungünstiger Witterung erst am 29. April abgefeuert werden. Diesmal zeigte die Platte eine neue Ausschleifung von 4 Centimeter Tiefe, 40 Centimeter Länge und 30 Centimeter Breite, von welcher wieder mehrere radiale Risse ausgingen. Auf der Innenseite war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_401.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2019)