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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 24.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Nachdruck verboten. 
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.


Ostern war gekommen, das Fest des Lichtes und der Erlösung für die ganze Natur! Der Winter hatte sich bei seinem Scheiden in düstere Nebelschleier gehüllt, und auf jagenden, gährenden Wolken nahte jetzt der Frühling. Er hatte seine Sturmesboten vorausgesandt, um die Erde wach zu rufen aus ihrem langen Traume, sie brausten über Ebenen und Wälder, sie schwangen ihre Flügel um die mächtigen Gipfel des Hochgebirges und wühlten das Meer auf in all seinen Tiefen. Es war ein wildes Kämpfen und Toben in den Lüften, und doch klang es daraus hervor wie Siegesruf. Es waren ja Frühlingsstürme, und in ihnen brauste das Leben, sie kündeten die Auferstehung an.

Das Gebirge lag noch halb im Schnee begraben, und die alte Bergveste, die von der Höhe in das Thal herabblickte, ragte aus beschneiten Tannen hervor. Es war eines jener grauen Felsennester, die, einst der Schrecken ihrer Umgebung, jetzt meistentheils verödet und vergessen daliegen und oft nur noch in Trümmern von der einstigen Herrlichkeit erzählen. Das Letztere traf nun hier allerdings nicht zu, die Grafen von Steinrück schützten die Stammburg ihres Geschlechtes sorgfältig vor dem Verfalle, sonst aber kümmerten sie sich nicht viel um das alte Gemäuer, das, fernab von der Welt, tief in den Bergen lag. Nur zur Jagdzeit sah es regelmäßig eine größere Menge von Gästen, die auf einige Zeit Leben und Lärm in die Einsamkeit brachten.

Diesmal freilich fand eine Ausnahme statt, die Gaste waren schon im Frühjahre eingetroffen, aber sie kamen zu einer ernsten Feier. Der Schloßherr wurde zu Grabe geleitet und mit ihm erlosch die jüngere Linie des Hauses, wenigstens in ihren männlichen Sprossen, da er nur eine Wittwe und eine Tochter hinterließ. Graf Steinrück war auf einem der anderen Güter, seinem gewöhnlichen Wohnsitze, gestorben, und dort hatte auch die große Trauerfeier stattgefunden, dann war die Leiche nach der Familiengruft des Stammschlosses überführt worden, wo die eigentliche Bestattung in aller Stille und nur in Gegenwart der nächsten Verwandten vor sich ging.

Es war an einem jener stürmischen Märztage, der das ganze Thal mit grauen Wolkenmassen erfüllte. Das trübe Licht des Nachmittags fiel in das Gemach, das der verstorbene Schloßherr zu bewohnen pflegte, wenn er zu dem gewohnten kurzen Herbstaufenthalte hierher kam. Es war ein tiefer, ziemlich niedriger Raum mit einem einzigen breiten Erkerfenster und einer Einrichtung, die noch aus der ehemaligen Glanzzeit der Burg stammte. Das dunkle Holzgetäfel der Wände, die mächtigen Eichenthüren und der riesige, säulengetragene Kamin im Hintergrunde, mit dem Wappen der Steinrück, behaupteten seit Jahrhunderten ihren Platz, und die schweren, alterthümlichen Möbel, die alten Familienbilder an den Wänden gehörten gleichfalls einer längst vergangenen Zeit an. Das Feuer, das im

Die Erbgroßherzogin von Baden in Miesbacher Tracht.
Nach einer Photographie von X. Peuthauser, Hofphotograph, Bad Krankenheil-Tölz.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_409.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)