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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

welcher auf einem an seidenen Stricken befestigten Brette schwebt. Derselbe läßt den elektrischen Strom durch einen mit einem Ringe versehenen Metallstab über dem Kopfe der rechts sitzenden Dame ausstrahlen, wodurch die Haare derselben angezogen werden. Der elektrische Strom fließt durch den Körper der Dame in die Erde ab. Durch diese Art von isolirter Körperstromleitung sollte die Wirkung der Elektricität erhöht werden. Mittels solch primitiver Methode der Elektricitäts-Erzeugung wurden trotzdem im vorigen Jahrhundert manche merkwürdige Heilresultate erzielt, von denen die Chroniken jener Zeit zu berichten wissen.

In Folge der Ende des vorigen Jahrhunderts (in dem Jahre der großen französischen Staatsumwälzung 1789) von Galvani entdeckten Berührungs-Elektricität, des Galvanismus, wobei bekanntlich durch Berührung von Metallen und erregenden Flüssigkeiten in einfacher Weise Elektricität entsteht, wurde die sogenannte Reibungs-Elektricität, die man mittlerweile durch sich drehende geriebene Glasscheiben zu erzeugen gelernt hatte, für die praktische Verwendung in den Hintergrund gedrängt.

Krankenbehandlung in dem elektrotherapeutischen Kabinet des Professors Charcot auf der Salpétrière zu Paris.

Nicht nur die Vervollkommnung und Vereinfachung der Erzeugung elektrischer Ströme hatte zu einer Aenderung in deren Anwendungsweise für den menschlichen Körper Veranlassung gegeben, sondern auch die hohe Entwickelung der Elektrophysiologie in unserem Jahrhundert verdrängte die Reibungs-Elektrisirmaschine, indem die Physiologen sich vornehmlich bei ihren Untersuchungen mit Erfolg des galvanischen Stroms bedienten.

Es ist von hervorragenden deutschen und ausländischen Gelehrten, in erster Linie durch die auf diesem Gebiete bahnbrechenden Arbeiten des Berliner Professors Dubois-Reymond, erwiesen worden, daß der thierische und menschliche Körper selbst elektrische Ströme zu erzeugen vermag. An ausgeschnittenen Muskel- und Nervenstücken lassen sich mit seinen Meßinstrumente elektrische Ströme nachweisen, ja es ist sogar experimentell schon vor vielen Jahren die Beobachtung gemacht worden, daß die Magnetnadel eines sehr empfindlichen, bei physiologischen Forschungen benutzten Messinstruments, des sogenannten Multiplikators, ausschlägt, wenn eine Anzahl von Menschen dadurch, daß sie sich gegenseitig die Hände reichen, eine Kette bilden und die letzten dieser Kette je ein cylindrisches Metallstück zur Hand nehmen, das durch eine Drahtleitung mit dem erwähnten Zeigerapparat in Verbindung gebracht ist. Wenn nun auf ein gegebenes Zeichen die in die Kette Eingeschlossenen eine kräftige Beugung des Vorderarmes vornehmen, schlägt die Magnetnadel des Zeigerapparates nach einer bestimmten Seite aus, ein Beweis, daß ein elektrischer Strom vorhanden war, welcher jene Bewegung der Nadel verursachte. Unter den Thieren ist es insbesondere der Frosch, welcher mannigfach zu einschlägigen Experimenten herhalten mußte. Bekanntlich hat auch Galvani in Folge Experimentirens mit frisch getödteten Fröschen seine große oben erwähnte Entdeckung gemacht. Die Elektricitäts-Erzeugung im lebenden Körper dient einer Anzahl von Thieren sogar zur Fristung ihres Lebens. Die elektrischen Fische, Raja torpedo, der Zitterrochen, Gymnotus electricus, der Zitteraal und Malopterurus electricus, der Zitterwels, besitzen eigenthümliche, nach Dubois-Raymond zu dem Muskelsystem gehörige elektrische Organe, die vom Gehirn aus regiert werden. Mit diesen elektrischen Organen vermögen die Thiere je nach ihrer Größe und ihrem Alter kleinen beziehungsweise größeren Thieren, ja sogar im Wasser in ihre Nähe kommenden Menschen lähmende, unter Umstanden den Tod herbei führende elektrische Schläge auszutheilen. Die Thiere benutzen diese Kraft sowohl als Waffe zur Vertheidigung gegen äußere Angriffe, als auch aggressiv zur Beschaffung der nothwendigen Nahrung. Die willkürliche Verwendungsweise der diesen Thieren eigenen elektrischen Energie wird durch die Ganglienzellen ihres Gehirns bestimmt, welche durch Nervenstränge mit dem elektrischen Organ verbunden sind.

Auch die Muskelthätigkeit der höheren Thiere und des Menschen hängt von großen Nerven- und Ganglienzellen ab, welche im Rückenmark und im Gehirne ihren Sitz haben. Von diesen Organen gehen alle Lebensthätigkeiten aus. Ob es sich bei der Uebersetzung des Willens in Muskelbewegung um ein elektrisches oder ein anderes Nervenfluidum handelt, ist bis jetzt trotz der mannigfachsten physiologischen Untersuchungen noch nicht erwiesen. So viel aber steht fest, daß durch von außen auf Gehirn, Rückenmark, Nerven und Muskeln einwirkende elektrische Ströme alle Arten von Bewegungen bei gesunden Thieren und dem gesunden Menschen ausgelöst, sowie daß die mannigfachsten Lebensthätigkeiten, die im Muskelsystem, in den feinsten Vertheilungsbezirken des Blutes, oder in den Drüsen vor sich gehen, durch von außen in geeigneter Weise einwirkende elektrische Ströme zu erhöhter Thätigkeit gereizt werden können. Funktionelle Störungen auf den betreffenden Gebieten werden durch für jeden einzelnen Fall in ihren Eigenschaften richtig zu wählende elektrische Ströme wieder zu normaler Thätigkeit in vielen Fällen zurückgeführt. Welche Apparate und Methoden heut zu Tage zu diesem Zwecke in Gebrauch, und welche Schranken der elektrischen Behandlung von Krankheiten gezogen sind, soll durch die folgenden Erörterungen klargelegt werden.

Die, wie oben erwähnt, schon im vorigen Jahrhundert zu Heilzwecken benutzte, aber gänzlich in Vergessenheit gerathen gewesene Reibungselektricität

ist jüngst wieder zu namhafter Geltung gekommen. Vor mehreren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_433.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2021)