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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Serenissimus und unmittelbar nach einer heftigen Scene mit demselben stattgefunden – die Veranlassung dieser Scene sei immer ein Geheimniß geblieben, und könne so gut in einer etwaigen gerechtfertigten Eifersucht des hohen Herrn gefunden werden, als in einem anderen Umstande. Ueberdies sei es, wiederum unmittelbar nach jener Katastrophe, zwischen Serenissimus und dem Herrn Intendanten zu einem jähen und völligen Bruch gekommen, der denn doch die angedeutete Erklärung als die weitaus natürlichste und einfachste erscheinen lasse.

Ich hatte mich selbstverständlich gehütet, wenn die Dame diese Geschichte erzählte – was sie gern und mit Hinzufügung aller möglichen und unmöglichen Details that – auch nur mit einer Miene, geschweige denn einem Worte anzudeuten, in welch’ grausam inniger Beziehung ich zu der Heldin derselben stand. Glücklicherweise konnte ich bald das betreffende Theater verlassen, und ich verließ es nur deßhalb, um aus der Nähe der Dame zu kommen und der Versuchung nicht zu erliegen, die famose Geschichte richtig zu stellen und das Andenken meiner Mutter von dem Flecke zu reinigen, welcher aus der behaupteten Nebenbuhlerschaft des Herzogs und des Kammerherrn auf demselben haften blieb. Zwar auch Weißfisch hatte in seinem ersten Bericht damals in Nonnendorf dasselbe angedeutet, und der Kammerherr selbst nie ein Hehl daraus gemacht, daß er meine Mutter geliebt habe. Aber niemals hatte er behauptet, der Begünstigte gewesen zu sein; und welchen Grund hätte er gehabt, das zu verschweigen, wäre es der Fall gewesen? Nein, mein Unglück blieb, wie es war, und hatte durch Erzählungen der alten Müllersleute seine volle Bestätigung erhalten. Ihnen, besonders der guten Frau, hatte meine Mutter ihr volles Vertrauen geschenkt. Die Mühle war ihr Lieblingsaufenthalt gewesen; sie hatte den ganzen letzten Sommer dort verlebt. Da war auch von einem berühmten Künstler das Medaillonbild, das jetzt wieder auf meinem Herzen ruhte, gemalt worden. In aller Heimlichkeit. Es hatte eine Ueberraschung sein sollen, und die Aermste sich in ihrer phantastischen Weise mit den reizendsten Farben die Freude ausgemalt, die sie „ihm“ durch dieselbe bereiten würde. Wie sie sich denn auch sonst gerade in der Zeit vor der Katastrophe in den glänzendsten Hoffnungsträumen gewiegt zu haben schien. Nur noch gegen den Gedanken, nicht die rechtmäßige Gattin des geliebten Mannes werden zu können, hatte sich ihr Stolz gesträubt. Sie, die Abkömmlingin eines adligen Geschlechtes, das seinen Stammbaum bis auf die Zeit der ersten Kreuzzüge zurückführte, die Erbin – sobald sie wollte – von Millionen, die Bürgerin des größten Freistaates der Welt – sie, die sich gerade so vornehm glaubte wie er, und vielleicht reicher war als er – sie sollte ihm nur zur linken Hand angetraut werden dürfen! Und so war über die Ahnungslose das Furchtbare hereingebrochen, das sie nicht hatte überleben wollen. Worin es bestanden? Auch nicht die leiseste Andeutung darüber war während der wenigen Tage, die sie dann noch bei den Müllersleuten verbrachte, über ihre Lippen gekommen. Sie hatte nur gesagt: es ist Alles vorbei, fragt mich nicht! Ich hätte es wissen können. Aber ihr habt ganz Recht: die Schmach, es nicht vorausgesehen zu haben, wäre durch meinen Tod nicht gesühnt worden. Das kann nur dadurch geschehen, daß ich die Last des Lebens in Reue und Buße weiterschleppe.

War es ein Theil dieser Buße geweseu, daß sie die Liebe zu ihrem Kinde erstickte und von der Pflicht sich lossagte, welche selbst die Barbarin heilig hält?

Aber daß wenigstens das Band von mir zu ihr nicht zerrissen war, hatte ich empfunden an dem Glücksgefühl, welches mich durchströmte, wenn ich sie so wenigstens von jener anderen Schuld der Treulosigkeit gegen den Mann ihrer Wahl freisprechen durfte. Sie hatte ein hohes Spiel gespielt und es verloren; es war ein ehrliches gewesen. Und dafür war ich ihr so dankbar, daß mir dagegen, was sie früher und später an mir gesündigt, geringfügig erschien, und es Momente gab, wo mir bei Betrachtung des geretteten Bildes die alte heiße Kinder- und Knabensehnsucht nach ihrer Liebe voll zurückkam.

Die zweite Erinnerung an die Vergangenheit war von jüngerem Datum und mir ebenfalls indirekt, sogar nicht einmal durch eine Person, nur durch Zeitungen vermittelt worden.

Ich las aber in einer derselben, daß der bekannte Graf Pahlen, der vor zwei Jahren in die famose nihilistische Verschwörung Netschajeff verwickelt, seitdem in dem Alexejewskischen Ravelin in Petersburg gefangen gehalten worden, zum Tode verurtheilt, aber vom Kaiser, bei dem er früher in so hohem Ansehen gestanden, zu lebenslänglicher Deportation nach Sibirien begnadigt war, auf dem Wege dorthin entsprungen sei und sich nach London gerettet habe. Wie das möglich gewesen, wisse mit Bestimmtheit wohl nur eine Dame, welche kurze Zeit vor der Beendigung des Processes an einem gewissen deutschen Hof, als dessen erster Stern sie gegolten, durch ihr plötzliches und völlig räthselhaftes Verschwinden die größte Bestürzung hervorrief. Ob der betreffende Hof durch die Nachricht, daß die Dame jetzt – und zwar in London und an der Seite des Grafen Pahlen (dessen Flucht sie zweifellos veranstaltet und geleitet) – wieder aufgetaucht sei, in einen geringeren Schrecken versetzt worden, als vor zwei Monaten durch ihre räthselhafte Flucht, wage der Berichterstatter nicht zu entscheiden.

Diese Nachricht, welche andere Zeitungen zum Theil mit mehr oder weniger pikanten Details bestätigten, hatte auf mich einen tief wehmüthigen Eindruck gemacht. Ich beklagte alle Betheiligten von ganzem Herzen: den unglücklichen Grafen, den aller Wahrscheinlichkeit nach die Verzweiflung an seinem Lebensglück in die Verschwörung getrieben; die theure Adele, welche ihrer Liebe so ungeheure Opfer bringen mußte; schließlich ihn – und ihn nicht zum mindesten, – den seine Hartnäckigkeit und die Kurzsichtigkeit seines Egoismus nun auch die Tochter gekostet hatte, vielleicht das einzige Wesen auf Erden, das er wahrhaft liebte, so weit sein Herz eben lieben konnte.

Aber diese Trauer mußte denn doch bald der Freude weichen, daß sie, der ich alles Glück der Erde gönnte, nun doch ihr höchstes Glück sich erringen mit einem Heldenmuth, um dessenwillen ich sie, welche ich von ganzer Seele zu lieben nie aufgehört hatte, nun auch ebenso bewundern mußte. Welch’ andere Bedeutung gewann jetzt jenes unvergessene Bild der beiden Liebenden, wie sie, in der Salonthür sich umschlungen haltend, zu den Sternen emporblickten! Da hatte sicher schon die Schwere des kommenden Geschickes auf ihren Herzen gelastet, die ich von eitel Seligkeit erfüllt wähnte! Wie verstand ich so jetzt erst jenes räthselhafte Wort Adele’s, das sie vor der verhängnißvollen Unterredung mit ihrem Vater mir zuflüsterte: „sei gut!“ Sei gut, damit, wenn er mich verliert, er wenigstens dich behält! Nun, ich hätte sie ihm doch niemals ersetzen können. Aber ihrem Herzen machte es Ehre, daß sie noch frauenhaft für den zu sorgen bemüht war, den sie doch kränken mußte, weil er ihr keine Wahl ließ. Zweifellos war die Flucht schon damals beschlossen gewesen, wenn ein letzter Versuch, auf dem Wege der Bitte zum Ziel zu gelangen, mißglücken sollte. Der Versuch war mißglückt, und welche Qualen mochte die Aermste erduldet haben, als nun die Kerkerthüren sich dem unglücklichen Verschwörer öffneten, ihr jeder Tag die Nachricht seines schmählichen Todes bringen konnte! Gott sei Dank, es war anders gekommen. Ich brauchte mich dieser Schwester nicht zu schämen, und der Heroismus ihrer Handlungsweise hatte sicher, ohne daß ich es merkte, meinen jetzigen Entschluß zeitigen helfen. Weib oder Mann, es kam eben darauf an, daß jeder seiner Ueberzeugung lebte. Sollte sich der Mann von dem Weibe beschämen lassen?

Nun, der Brief, welcher mich bei Brder Otto ankündigte, war fort, und hinter ihm kam die Sorge, von der ich vorhin sagte, daß sie mich jetzt erst befallen: die Sorge, in Berlin wieder denen zu begegnen, die mich als hoffnungsvollen Knaben, als strebenden Jüngling gekannt hatten und mich jetzt wieder finden würden – wenn sie mich wiederfanden – als einen, der alle Hoffnung hinter sich gelassen und nur noch von dem einen Wunsche erfüllt war, sich in der Menge verlieren zu dürfen.

Die Werins, das wußte ich ja, lebten in Berlin. Mutter und Tochter jedenfalls, Adalbert sehr wahrscheinlich – gehört doch der Sturmvogel auf das hohe Meer! Ellinor war damals zu ihrer Tante dorthin gegangen, und ich erinnerte mich, daß Schlagododro mir immer gesagt, er werde das erste Jahr in Heidelberg und die übrige Zeit in Berlin studiren. Er mußte nach meiner Berechnung jetzt mit seinem Studium fertig und voraussichtlich dort sein. Ebenso wie Astolf, der ja in einem der Garderegimenter Officier war und seine Kousine jedenfalls schon geheirathet hatte. Mochte er! – Professor Hunnius, hatte er seinen Plan, in die Hauptstadt überzusiedeln. ausgeführt?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_438.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2021)