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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

aus der vorhistorischen Zeit der europäischen Menschheit verhalten. Wenigstens ist es schwer zu begreifen, wie die wilden Renthierjäger der Eiszeit, die Jahrtausende vor der Gründung von Athen und Rom lebten, dazu gekommen sind, Zeichnungen zu machen, ja Statuetten zu fabriciren.

Wie in Europa Betrügereien in Herstellung prähistorischer Steingeräthe verübt werden, so fabricirt man in Mexiko aztekische Götzenbilder und irdene Gefäße, die den Liebhabern für alte echte Waare verkauft werden. Indessen sind die Fabricanten dieser Waaren doch im Grunde genommen nur Stümper gegenüber den Fälschern, die in Jerusalem sitzen, und die nicht nur den harmlosen Pilger beschwindeln, sondern denen es sogar mit den berüchtigten „moabitischen Alterthümern“ gelang, selbst die Gelehrten zu täuschen und den preußischen Staatsschatz um 60000 Mark zu brandschatzen. Der unverfrorenste dieser Fälscher war ein zum Protestantismus übergetretener Israelit Namens Schapira, der damit debütirte, den echten Sarkophag Samson’s zu entdecken, der später im Verein mit Selim Qari die moabitischen Terrakotten in Schwung brachte und zuletzt so glücklich war, auch in den Besitz von uralten Thorarollen zu kommen, für die er jedoch zu seinem Leidwesen keine gläubigen Käufer finden konnte. Der Mann hätte, wenn es gewünscht worden, auch noch ein Stück von der ehernen Schlange des Moses oder eine Planke von der Arche Noah’s herbeigeschafft.

Solche Leute sind aber in Palästina durchaus nicht selten, im Gegentheil kann der Reisende dort kaum einen Schritt thun, ohne daß der Versuch gemacht wird, ihm irgend eine faule Merkwürdigkeit für gutes Geld anzuhängen. Auch mit dem Nachweis interessanter Lokalitäten wird dort ein Schwindel getrieben, der unter Umständen einen ergötzlichen Anstrich hat. Wünscht man z. B. den Baum zu sehen, in dessen Ast Absalom mit den Haaren hängen blieb, so werden sich sogleich zwanzig Menschen bereit erklären, diesen Baum zu zeigen, ebenso wird es nicht so schwierig sein, einen Führer nach dem Orte zu finden, wo Elias gen Himmel fuhr.

Wie viel Schwindeleien mit kleinen nachgemachten Alterthümern in Palästina verübt werden, entzieht sich jeder Berechnung und beweist, daß die im letzten Grunde von der Habgier inspirirte Leichtgläubigkeit heute kaum geringer ist als vor Jahrhunderten. Auch in Aegypten wird die Fabrikation von Antiquitäten schwungvoll betrieben, daneben blüht noch gelegentlich das Geschäft, Unerfahrene durch Vorspiegelung des Nachweises großer irgendwo vergrabener Schätze um eine kleine Summe zu prellen. In sehr seltenen Fällen ereignet sich wohl auch einmal das Umgekehrte, daß nämlich ein Araber wirklich einen wissenschaftlich werthvollen Schatz aufgestöbert und Mühe hat, ihn an den Mann zu bringen. Ein solches Beispiel erzählt der berühmte Reisende Rüppell. Als er sich in Kairo aufhielt, kam eines Tages ein alter Araber zu ihm und machte ihm mit geheimnißvoller Miene das Anerbieten, für 20 spanische Piaster den Aufbewahrungsort eines Schatzes von ungeheurem Werth zu zeigen. Als Rüppell den Mann fragt, warum er denn selbst den Schatz nicht hebe, betheuert dieser, solches sei ihm unmöglich, da derselbe von grauenhaften Dämonen bewacht würde, die aber nur für einen Araber gefährlich seien. Rüppell hielt das Ganze für Schwindel, doch erzählte er gelegentlich davon einem Manne, der mit der Ausgrabung eines nubischen Tempels beauftragt war. Dieser beschloß, der Sache nachzuspüren, und fand an dem Orte, den der alte Araber bezeichnete, in der That einen Schatz, nämlich den kostbaren Alabastersarg mit der Mumie des Pharao Psammetich. Derselbe wurde von ihn gehoben und für eine sehr hohe Summe nach London verkauft. Solche Glücksfälle sind, wie man schon denken kann, äußerst selten; im Allgemeinen handelt es sich bei derartigen Erzählungen nur um Schwindelei. Dr. K.     




Arbeiter- und Heimatkolonien im Moor.

Von A. Lammers.

O sprecht, warum zieht Ihr von dannen?“ Diese Frage Freiligrath’s an deutsche Auswanderer, die er in Havre das Schiff nach der neuen Welt besteigen sah, hat ein thätiger Menschenfreund in Bremerhaven, der freisinnige protestantische Pastor Cronemeyer, oft auf dem Herzen gehabt, wenn vor seinen Augen die dichten Züge Europamüder in das Zwischendeck der großen Lloyddampfer hinabkletterten; zumal da er nicht selten Amerikamüde wieder heimkehren sah, um Geld, Hoffnung und Lebensmuth beträchtlich ärmer. Aber sein praktischer Sinn blieb nicht bei der Empfindung und zwecklosen dichterischen Frage stehen. Er hatte sich schon an der Organisation weiblicher Armenpflege in seiner Stadt, an einer Volksküche, an einem Obdache ohne Verzehrungszwang und geistige Getränke für beschäftigungslose Hafenarbeiter erprobt und verstand daher einigermaßen zusammenzufügen, was zu socialer Neuschöpfung gehört. Er beschloß darum, den Auswanderern ein neues Ziel vor Augen zu führen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Moore Norddeutschlands zu lenken. Die Versuchsstation der Central-Moorkommission zu Bremen hat seit einigen Jahren die ungemeine bodenbessernde Wirksamkeit des Schlamms oder Schlicks, der sich in den Seehäfen festsetzt, erwiesen. Hier ist er ein höchst unbequemes Hinderniß der Zwecke, zu denen man Häfen baut – auf ödes Land aber, namentlich auf den im deutschen Nordwesten so weit ausgedehnten Moorboden gebracht, wirkt er Wunder der Fruchtbarkeit. War diese Thatsache auch schon länger bekannt, namentlich um den Dollart herum, so fehlte doch bis vor Kurzem der planmäßige und exakte chemisch-physiologische Nachweis derselben. Ihn hat die Bremer Versuchsstation geliefert; Pastor Cronemeyer aber schlägt vor, daß man hierauf, nicht wie im vorigen Jahrhundert auf das den unangenehmen Moor- oder Höhen- oder Haarrauch erzeugende Moorbrennen, das obendrein ein Raubbau und eine Art von Lotteriespiel zugleich ist, neue eigenartige Moorkolonien gründe. Nach der menschlichen Seite hin lehnt er diese an die Arbeiterkolonien seines Bielefelder Amtsbruders von Bodelschwingh an, mit dem er überhaupt in vollem Einvernehmen handelt.

Zunächst soll in einem Moore unweit Bremerhavens, During bei Loxstedt, eine gewöhnliche Arbeiterkolonie entstehen; dann aber, was er eine „Heimatkolonie“ zu nennen vorschlägt, bestimmt, allen Denen ein Heim zu verschaffen und eine Zukunft als kleine Landwirthe zu gründen, die aus den verschiedenen deutschen Arbeiterkolonien gebessert und gehoben, das heißt tüchtiger Arbeit wiedergewonnen, hervorgehen.

Dies der Grundgedanke des Planes, auf dessen ohnehin noch nicht ganz feststehende Einzelheiten hier nicht weiter einzugehen ist. Genug, daß man denselben überall mit dem größten Antheil und Wohlwollen aufgeommen hat, wo Pastor Cronemeyer in seiner schlichten einleuchtenden Weise ihn vortragen konnte: in Bremerhaven selbst und den Nachbarorten, in einer Sitzung der preußischen Central-Moorkommission zu Bremen, Ende November, in einer Audienz beim Kronprinzen, an der auch Pastor von Bodelschwingh theilnahm, endlich am 20. Mai zu Bremen, wo die Hauptsumme des vorläufigen Anlagegeldes flüssig gemacht werden soll. An der wirklichen Durchführung des Planes wird nicht mehr zu zweifeln sein. Gelingt er nur einigermaßen, wie sich zuversichtlich hoffen läßt, so ist der Anfang gemacht mit einem vielversprechenden Unternehmen innerer Kolonisation. Mit der Zeit werden wohl neben den Zöglingen der Arbeiterkolonien auch tüchtige Auswanderer, nicht bloß gebesserte unbeschäftigte, nach Bremerhaven ziehen, nicht um über das Atlantische Meer zu schiffen, sondern um ihr „Amerika“ in den Mooren und Haiden des deutschen Nordwestens zu finden. Das wüste Moor birgt in seinem schwerzugänglichen Innern Schätze höchster Fruchtbarkeit, welche nur durch ein nicht ganz leichtes und einfaches Verfahren erst gehoben werden müssen. Aber dieser Aufgabe dient, seit die 1870 unternommene und mehrere Jahre lang eifrig unterhaltne Agitation wider das Moorbrennen die öffentliche Aufmerksamkeit nachhaltig darauf gelenkt hat, der Kanalbau Preußens und Oldenburgs in ihren Moorgebieten, dient die genannte Versuchsstation zu Bremen sammt der ihr vorgeordneten, ausgezeichnet geleiteten und besetzten Central-Moorkommission, die sich dem preußischen Landwirthschaftsministerium als eine Art Fachstelle anschließt. Diese vereinten, zusammenstrebenden Bemühungen sind nun nachgerade soweit gediehen, daß umfassendes Kolonisiren beginnen kann. In Cronemeyer’s „Heimatkolonie“ soll es mit den menschlichen Arbeitskräften ganz ähnlich gehalten werden, wie mit dem Hafenschlick: von der Landstraße weggenommen, in anderen, erziehend wirkenden Niederlassungen an tüchtige Arbeit zurückgewöhnt, schlagen sie um in eine lebendige Bereicherung der Gesellschaft, der sie bisher zur Last waren, in einen Grundstamm gedeihender, glücklicher Familien und Menschengeschlechter.




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