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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 27.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Der Förster Wolfram trat in das Pfarrhaus von Sankt Michael, wo er erwartet zu werden schien, denn der Pfarrer kam ihm schon im Hausflur entgegen.

„Nun, Wolfram, noch immer keine Nachricht?“

„Nein, Hochwürden, keine Spur von dem Buben, aber vom Schlosse kann ich Ihnen Nachricht bringen, ich komm’ eben daher.“

Valentin öffnete die Thür zu seinem Studirzimmer und winkte dem Förster, ihm zu folgen, aber die Nachrichten aus dem Schlosse lagen ihm offenbar nicht so am Herzen, wie die Frage, die er mit allen Zeichen der Unruhe wiederholte:

„Also Michael ist auch heute nicht nach Haus gekommen?“

„Nein, Hochwürden, ich sag’s ja.“

„Das ist nun der dritte Tag und keine Spur, wo man ihn suchen könnte! Wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!“

„Dem stößt nichts zu,“ sagte der Förster mit rauhem Lachen. „Der streift irgendwo herum und wagt sich nicht nach Haus, weil er sich wohl denken kann, was da auf ihn wartet, aber einmal muß er doch wiederkommen, und dann gnad’ ihm Gott!“

„Was wollt Ihr thun, Wolfram? Denkt an Euer Versprechen.“

„Das habe ich gehalten, so lange der Unheilsmensch noch zu regieren war, aber jetzt ist’s zu End’ damit! Wenn er glaubt, Alles niederschlagen und niederrennen zu können, so soll er erfahren, daß es wenigstens noch Einen giebt, der ihm gewachsen ist, und das wird er spüren, so lange ich die Arme regen kann.“

„Ihr rührt Michael nicht an, bis ich ihn selbst gesprochen habe,“ sägte der Geistliche ernst. „Ihr kommt also vom Schlosse? Wie steht es dort, hat sich der vermißte Ordensstern denn nun endlich gefunden?“

„Jawohl, noch an demselben Tage. Die kleine Gräfin Hertha hatte das funkelnde Ding als Spielzeug mitgenommen, war damit nach ihrem Zimmer gelaufen und brachte es schließlich ihrer Mutter, da klärte sich die Geschichte auf.“

„Also um der Spielerei eines Kindes willen!“ sagte Valentin mit schmerzlicher Bitterkeit. „Ein so schmachvoller, erniedrigender Verdacht, ohne Untersuchung, ohne Beweise und gerade gegen Michael, der –“

Er brach plötzlich ab, der Förster aber sagte grollend:

„Warum hat er den Mund nicht aufgethan und sich verantwortet! Ich hätte mich schon dagegen gewehrt, aber der Michel wird wohl wieder dagestanden haben wie ein Stock und hernach, als man ihm ernstlich zu Leibe ging, da war er wie ein angeschossener Bär. Auf den Herrn Grafen loszugehen! Es ist nicht zu glauben, aber ich hab’ es ja selbst gesehen, wie er dastand mit dem Leuchter in der Hand! Schließlich werde ich die Geschichte ausbaden


Der Fuchsthurm bei Jena.
Nach einer Photographie von F. Haack, großherzoglichem Hofphotograph in Jena.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_461.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)