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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Blätter und Blüthen.

Hohenschwangau und Neu-Schwanstein. (Mit Illustrationen S. 513 und 515.) Unfern von jenem Felsenthor, durch welches der Lechstrom aus Tirol nach Bayern sich Bahn gebrochen hat, erschließt sich ein kurzes, aber prachtvolles Alpenthal[.] Kühngeschwungene schroffe Bergriesen in einer Höhe von 6000 Fuß schauen in dieses Thal herein und grüßen weit in die schwäbisch-bayerische Hochebene hinaus. In der Thaltiefe liegen waldumrauscht zwei smaragdgrüne Seespiegel. Zauberhaft schön ist die Landschaft; uralt und ehrwürdig ihre Geschichte. Am Eingang dieses Thals, auf waldumbuschten Hügeln und Felsvorsprüngen standen feste Burgen schon zu jener Zeit, als noch die Römer und Ostgothen nebenan durch den Paß am Lechstrome zogen. Nach großen Zeitläufen wurden die Burgen zu Ruinen. Zwei von ihnen erstanden wieder auf das Machtgebot zweier bayerischer Könige: die Schlösser von Hohenschwangau und Neu-Schwanstein.

Hohenschwangau ist das kleinere. Und dennoch glänzt sein Name zu wiederholten Malen auf romantischen Blättern deutscher Geschichte. Zu Hohenschwangau empfing ein deutscher König eine Gesandtschaft des ungarischen Königs Stephan; hier hauste der minnefrohe Sänger Hiltebold von Schwangau. Von hier entließ den Hohenstaufen Konradin, als er die Todesfahrt nach Italien antrat, ein sehnsuchtsvolles Mutterherz. Und später rasteten hier, nach der Jagd in den Bergwäldern, Kaiser Ludwig der Bayer und Kaiser Maximilian der Erste. Aber das Geschlecht der Ritter von Schwangau erlosch, und die Burg zerfiel. In Trümmern fand sie Kronprinz Maximilian und ließ sie unter den Händen bewährter Künstler wieder auferstehen. Und von so ergreifender Schönheit ist die Landschaft, daß es nur bescheidener Mittel bedurfte, um aus der Ruine ein Märchenschloß romantischer Zeit werden zu lassen. Ueppiges Grün und duftende Rosen wuchern um die wappengeschmückten Thore; hinter dem stäubenden Schaum des Springbrunnens sieht man tiefen Waldesschatten und geisterhafte Bergwände; zwischen ihnen in der Tiefe die Spiegel des Alpsees und des Schwansees. Die Einrichtung des Schlosses ist von edler Einfachheit; aber die Wände sind von Künstlerhand mit den edelsten Gestalten deutscher Sage und Geschichte geschmückt, und Niemand kann das Schloß verlassen, ohne jenen Zauber zu verspüren, der hier einst den Minnesänger zu seinem Liede begeisterte.

Neu-Schwanstein. Vom Süden aus gesehen.
Nach einer Photographie im Verlag von Ludwig Schradler in Füssen.

Wie ein Bau von Riesenhand steht gegenüber, kaum eine Stunde entfernt, auf unzugänglichem Fels die Burg von Neu-Schwanstein, das Werk Ludwig’s II. Es ist eine mächtige gethürmte Veste in rein romanischem Stil. Bis jetzt sind nur der Thorbau und der Hauptbau vollendet. Den Hauptbau, dessen Dach von kupfernen und vergoldeten Platten leuchtet, überragt zu schwindelnder Höhe ansteigend ein War[t]thurm, von dessen Zinnen aus man in eine grausenhafte Tiefe hinunterblickt. Der Palast selbst enthält fünf Stockwerke über einander. Die untersten beiden, welche für die Hofhaltung bestimmt waren, sind noch unfertig; das dritte, vom König selbst bewohnte Stockwerk, ist mit verschwenderischer Pracht ausgestattet. Hier, sowie in den beiden oberen Stockwerken, welche Festräume und Empfangssäle enthalten, sind die Wände mit zum Theile ganz meisterhaften Freskobildern geschmückt, unter welchen insbesondere die Bilder zum „Ring des Nibelungen“ und zur Parsifalsage gerühmt zu werden verdienen. Auch die bayerische Geschichte des gegenwärtigen Jahrhunderts bis herab zu den Kämpfen des deutsch-französischen Krieges ist in diesen Freskobildern vertreten. Musterhaft sind aber auch die Steinmetzarbeiten an dem reichen Hauptportale wie an den unzähligen Steinsäulen der Thor- und Fensterbogen, sowie die kunstgewerblichen Arbeiten an den Gegenständen des Hausrathes. Unter den Letzteren finden sich wahre Kleinodien.

Ob der unvergleichliche Prachtbau vollendet werden, wann und durch wen dies geschehen wird, kann heute noch Niemand sagen. Gewiß ist, daß das Schloß Neu-Schwanstein die vollendetste Schöpfung Ludwig’s II. ist. Die Pläne dazu stammen noch aus der besten Zeit des Königs; die Phantasie der Künstler hatte freien Spielraum und war nicht, wie beim Bau des Schlosses Herrenchiemsee, an sklavische Nachahmung französischer Vorbilder gefesselt. Jetzt wird wohl dieser Bau, der so lange in märchenhafter Verschlossenheit lag, dem Fremdenbesuch zugänglich werden, nachdem der unglückliche Bauherr, der in diesen Prachträumen Thron und Freiheit verloren, zu den Todten gegangen ist.

Napoleon III. und der Krieg von 1870. Die Verantwortung für den blutigen Krieg, welcher den Deutschen wie den Franzosen so große Opfer gekostet, wird stets auf Napoleon III. lasten, in dessen Händen ja die maßgebende Entscheidung über Krieg und Frieden lag. Gleichwohl war schon immer die Meinung verbreitet, daß er wider seinen Willen durch seine Umgebung zum Kriege gedrängt worden ist. In der vor Kurzem erschienenen Schrift: „Journal de dix ans“, giebt Fidus, der sich schon auf dem Titel derselben als einen Imperialisten bezeichnet, über die Vorgänge vor der Kriegserklärung Aufschlüsse, welche jene Meinung vollkommen bestätigen und die er selbst von einem der damaligen Minister, Louvet, erhalten hat; außerdem sind sie ein neuer Beweis für den alten Satz: „Kleine Ursachen, große Wirkungen.“ Fidus erzählt, daß das Ministerkonseil sich in den Tuilerien versammelt hatte, als der Krieg wegen der spanischen Angelegenheit, des Thronanspruchs der Hohenzollern, in Sicht zu sein schien; daß die Sitzung acht Stunden dauerte; denn man wollte sich nicht trennen, ehe der bittere Kelch vorübergegangen war. Alle waren im höchsten Maße niedergeschlagen und zeigten dies in Worten und Mienen; man wußte überdies, daß der Kaiser und die Kaiserin über diesen Krieg, den man Frankreich nach der Ansicht des Herrn Fidus aufdrängte, verschiedener Meinung waren. Der Kaiser glaubte, Preußen wolle den Krieg; er werde, wenn man sich heute nicht dafür erkläre, nur aufgeschoben sein; man müsse sich dazu entschließen; aber er zitterte vor den Folgen. Er war krank, die Krankheit lähmte oft seinen Geist; gern hätte er den Kampf vermieden, doch er wollte ihn nicht für spätere Zeit seinem dann vielleicht noch minderjährigen Sohn als ein verhängnißvolles Vermächtniß hinterlassen. Wenn der Kaiser schwankte, war die Kaiserin desto entschlossener.

Höchst mißvergnügt über die letzten liberalen Zugeständnisse des Kaiserthums hoffte sie, der Kaiser, heimkehrend an der Spitze eines siegreichen Heeres, werde zu der Gewaltherrschaft von 1852 zurückkehren, sich von seinen liberalen Ministern lossagen, sein altes Ansehen, seine alte Macht wiedergewinnen. In der langen Kabinetssitzung, wo Niemand aus noch ein wußte, erhob sich plötzlich der Herzog von Grammont mit dem Vorschlage, einen Kongreß zusammenzuberufen, welcher über den Standpunkt endgültig entscheiden solle. „Wie diese Entscheidung ausfallen mag, wir werden gedeckt und der Krieg wird vermieden sein. Wenn der Kongreß will, daß der Prinz von Hohenzollern in Spanien regiere, wir haben dabei nichts zu fürchten, man kennt das spanische Volk; die Regierung des Prinzen wird von kurzer Dauer sein, und wir haben uns nichts vorzuwerfen. Der Kongreß ist nicht der Krieg, er ist der Frieden.“ Dieser Vorschlag begeistert die Anwesenden, erleichtert alle Herzen; er wird einstimmig angenommen. „Das ist die Rettung,“ sagt der Kaiser und beauftragt Ollivier, augenblicklich der Kammer diesen Entschluß mitzutheilen; die Sitzung dauere noch fort; er solle in den Salon nebenan gehen, eine kurze Erklärung redigiren, sie dem Konseil vorlesen und sie dann sogleich der Kammer mittheilen. Ollivier geht in den Salon, bleibt dort ziemlich lange Zeit und, mochte er nun übermüdet oder schlecht aufgelegt sein, bringt eine gänzlich verfehlte Erklärung mit sich, von der Niemand befriedigt ist und die ihm selbst ungenügend erscheint. So verschiebt man die Entscheidung auf den nächsten Tag, Ollivier soll in Muße die Erklärung ausarbeiten. Der Kaiser fährt nach Saint-Cloud, von kriegerischen Rufen der Menge begleitet. Dort findet er die Kaiserin und ihre Umgebung in erregter Stimmung; man sprach von dem Artikel der deutschen Zeitungen, demzufolge der König von Preußen Benedetti verabschiedet habe mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_515.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2019)