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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

antiken Krügelchen „Lethe“ reichten – den Trank der Vergessenheit. Doch wer von diesem Lethestrom, der wie ein trefflicher Wein mundete, gekostet hatte, dem entschwand keineswegs die Erinnerung für das herrliche Fest der Künstler, welches allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben wird. – Tausende haben geholfen, das Fest zu Stande zu bringen, ungeheure Summen hat es gekostet – und beispiellos war das Gelingen! Berlin wird sich desselben noch in spätester Zeit erinnern – in einer Zeit, wo hoffentlich nicht minder die Verhältnisse gestatten, sich an den Werken des Friedens, der Kunst und Schönheit zu erfreuen.


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)


10.

Mit schweren Gedanken machte ich mich spät am Abend auf den weiten Weg zu Adele. Der Graf hatte zu einer wichtigen Besprechung mit seinen Freunden gemußt. So schienen denn in der niedrigen Mansarde die holden Stunden traulichen Beisammenseins wiedergekehrt, die ich einst mit ihr verlebt hatte in der sonnebeglänzten Villa und dem schattigen Wäldchen auf ihrem und meinem Lieblingsplätzchen, über dem aus der Linden und Kastanien dichtem Gezweig die Vögel in unser Plaudern hineinsangen. Und hier galt es keinen Schein: sie waren wiedergekehrt, nur holder noch, als sie damals sein konnten bei dem bangen Klopfen meines thörichten Herzens, in dem es jetzt so still und zugleich so bewegt war, wenn sie – wie damals – ihre Hand in der meinen ruhen ließ, oder gar mich küßte, wie sie es damals nicht gedurft hatte.

„Ich weiß nicht, wie ich es fertig gebracht habe, der Versuchung, die manchmal schier allmächtig war, widerstehen zu können,“ sagte sie lachend.

„Und Du hast ihr ja auch nicht immer widerstanden,“ erwiderte ich. „Denkst Du des Abends, als Du von dem Herzog kamst, der taub gegen Dein Bitten und Flehen gewesen war, und bei mir Trost suchtest? Im Wäldchen – erinnerst Du Dich? Es muß nach meiner Berechnung derselbe Abend gewesen sein, an welchem der Graf von Petersburg eintraf und Ihr, da mit Güte und Geduld und Harren nichts mehr auszurichten war, Eure entscheidenden Entschlüsse für die Zukunft faßtet.“

„Freilich erinnere ich mich,“ sagte Adele, „und daß ich es nachher bitter bereute, Dir damals nicht Alles, trotz des strengen Verbotes des Herzogs, gesagt zu haben. Es wäre dann vielleicht Alles anders gekommen.“

„Wie das, liebe Adele?“

„Glaubst Du nicht, Du würdest geblieben sein, hättest Du von mir erfahren, daß ich Deine Schwester war, und wir hätten Alles, ruhig mit einander besprechen können, statt es hernach wie ein Ungewitter über Dich Armen hereinbrechen zu lassen?“

„Soll ich offen sein?“ erwiderte ich. „Nein, Adele, ich glaube, vielmehr ich weiß, ich wäre auch dann nicht geblieben, obgleich ich zugeben will, daß ich so der traurigen Katastrophe hätte aus dem Wege gehen können. Aber frei machen mußte ich mich von dem Herzoge, genau so, wie ich überzeugt bin, daß Dein Gatte früher oder später den Herrendienst verlassen und sich zum Nihilismus bekennen mußte, auch wenn es keine Adele zu erringen gegolten hätte.“

„Ja, aber,“ sagte Adele – und jetzt war ihr Blick wieder ganz der alte, über ein eingefallenes Kartenhaus kindlich erschrockene – „bist Du denn auch ein so schrecklicher Revolutionär?“

„Ein schrecklicher keinesfalls,“ erwiderte ich lächelnd; „aber, beste Adele, bist Du denn von unserer Ueberzeugung nicht durchdrungen?“

„Ich?“ stammelte sie; „ich verstehe ja von diesen Dingen ganz und gar nichts. Vielmehr – Dir darf ich es ja sagen, Du mußt es aber um Himmelswillen Alexei nicht wiedersagen: was ich davon verstehe – ich meine, was Ihr wollt, das scheint mir ganz unmöglich, ganz unausführbar, als wenn Ihr Alle träumtet, daß Ihr fliegen könntet oder dergleichen, und es natürlich glaubt, weil Ihr eben träumt. Es hört sich ja auch ganz spaßig und oft ganz prächtig an, wenn man so dabei sitzt und Euch Eure Träume erzählen hört. Manchmal freilich wird mir angst und bange, und ich möchte rufen: aber so wacht doch auf! nur daß ich vor Alexei so großen Respekt habe und seine Augen nie schöner leuchten, als wenn er so träumt. Da bringe ich es nicht übers Herz.“

„Weißt Du, Adele,“ sagte ich; „eigentlich dürfte ein Mann gar nicht sitzend mit Dir sprechen, sondern müßte vor Dir auf den Knieen liegen und es als eine unverdiente Gnade ansehen, wenn er Dir die Füße küssen darf.“

„Du bist verrückt,“ sagte Adele.

„Nein,“ rief ich, „ich spreche nur aus, was ich empfinde und Jeder, der ein Mann ist, an meiner Stelle empfinden würde. Wie? Du theilst Deines Gatten Ueberzeugungen nicht: er ist Dir ein Träumer, ein Phantast, und ist es Dir jedenfalls auch schon gewesen, als er zuerst um Deine Liebe warb. Und Du verläßt Deine Welt, die Dir, wie Du nun einmal denkst, die beste der Welten ist und sein muß, um ihm in seine Traumwelt zu folgen, das heißt: in das Eis Sibiriens, in die tausend Gefahren einer abenteuerlichen Flucht, in das Elend der Verbannung – aus dem dolce far niente Deines Villalebens in die arbeitsame Misère dieser Mansardenexistenz – Alles, Alles, weil Du Deinen Alexei liebst! Und wir sollten nicht anbetend niedersinken vor der Hoheit einer Liebe, die wir mit den Gedanken nicht erreichen, geschweige denn nachempfinden können in unserem brutalen, egoistischen Männerherzen!“

Aus Adele’s Kehle kam das unvergessene, lang entbehrte, kindlich frohe, silberhelle Lachen. Und lachend hüpfte sie von ihrem Stuhle auf, setzte sich mir auf die Kniee und rief, mich bei den Ohren fassend: „Wenn Du Dich noch einmal brutal und egoistisch nennst, reiße ich Dir diese beiden hübschen Ohren ab.“ Und dann, sich auf meine Schulter beugend, dicht an meinem Ohre, leise: „Gesteh’ es nur: Du liebst noch immer die schöne Ellinor und denkst, daß sie Dir verloren ist. Und das läßt Dich so desperat sprechen – gestern von den Vogtriz, als auf Deine Verwandtschaft mit ihnen die Rede kam – und eben wieder von Dir, als ob Du schlecht wärest und nicht lieben könntest – Du, und nicht lieben können! – Gestehe es mir, daß es so ist! Gestehe es Deiner Schwester, Du lieber – dummer Junge!“

Es war eine alte Wunde, und ich glaubte sie längst, längst vernarbt. Und doch, als jetzt die liebste, lindeste Hand sie so berührte, durchzuckte mich ein jäher Schmerz, als stünde ich wieder am Fenster unsers Zimmers zu Nonnendorf und starrte nach der Stelle im Park, wo ich sie zuerst gesehen, von der sich in jener Stunde mein blutend Herz losriß für immer – losreißen wollte.

„Ich fürchte, Du hast Recht,“ flüsterte ich.

„Ob ich Recht habe!“ sagte Adele. „Dazu brauche ich Dir doch nur in die feuchten Augen zu sehen. Und nun laß uns einmal vernünftig sprechen!“

Sie war von meinen Knieen herabgeglitten und hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt, den sie dicht zu mir heranzog, so daß sie meine Hand fassen konnte.

„Also zuerst: das mit der Tischlerei mußt Du aufgeben. Alexei meint das auch, obgleich er, als ein Russe, sich doch eigentlich für den Unsinn begeistern müßte. In Rußland nämlich, da gehen die Herren Studenten und Studentinnen mit Vorliebe ins Volk, wie sie’s da nennen, und werden Dorfschneider und Volkslehrer – die Mädchen oft in Männerkleidern – und was dergleichen Tollheiten mehr sind. Das mag dort wohl noch eine Spur von Sinn haben und meinetwegen auch ganz gut und ehrenwerth sein; bei uns aber, wo ein Tischler ein Tischler und ein Gentleman ein Gentleman ist, wird das, meine ich, eine Komödie, und Du sagst ja selbst, zum Komödienspiel taugst Du nicht. Dein Bruder – der ja, Gott sei Dank, nicht Dein Bruder ist – muß sehen, wie er ohne Dich fertig wird. Versteht sich, daß Du ihn auch weiter unterstützest, wie Du es immer gethan, und wenn Du

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_544.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2023)