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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

vor baulichem Verfalle zu sichern, machte sich eine durchgreifende Reparatur der Gebäude unbedingt nothwendig, und erst am 4. Juli d. J. konnte das Goethe-National-Museum eröffnet werden; aber noch heute sind einige Räume bis auf Weiteres für das große Publikum verschlossen; darunter auch das eigentliche Heiligthum des Goethe-Hauses, das Arbeitszimmer und das Sterbezimmer des Olympiers. Die Enkel hatten es niemals gestattet, diese Gemächer photographisch zu vervielfältigen; erst jetzt ist es dem Hofphotographen Held in Weimar erlaubt worden, die Räume, welche Deutschlands Dichter-Heros während der Dauer von 39 Jahren bewohnte, bildlich zu fixiren. Sie sind bescheiden und entsprechen keineswegs der hohen gesellschaftlichen Stellung, welche Goethe einnahm. Beide Zimmer sind in dem sonst sehr geräumigen Wohnhause die einzigen nach Süden gelegenen. Das Arbeitszimmer ist ein großes, etwas dunkles Gemach mit zwei Fenstern, die nach dem Garten hinausgehen. Die Ausstattung ist höchst einfach. In der Mitte ein länglich runder eichener Tisch, neben demselben ein Korb, in welchen der Dichter sein Taschentuch zu legen pflegte, einige Stühle, an der Wand rechts ein langer Schreibtisch, darauf ein Bücherregal, an welchem ein zerbrochenes Gipsmedaillon Napoleon’s hängt. An der Wand gegenüber ebenfalls ein Pult, auf welchem neben kleineren Gegenständen eine Statuette Napoleon’s aus Milchglas steht, an deren opalisirenden Farben sich Goethe oft erfreute und die er auch für seine Farbenlehre praktisch verwendbar fand. Neben dem zwischen den Fenstern befindlichen Spiegeltisch mit Uhr und Weinglas steht ein einfaches, verstellbares Stehpult, an welchem der Dichter arbeitete, wenn er nicht, die Hände auf dem Rücken, diktirend im Zimmer auf- und abging. Ganz so, wie sie Goethe verlassen, ist diese geweihte Stätte. Ebenso unverändert zeigt sich das kleine anstoßende Schlafzimmer, eigentlich nur ein Alkoven, mit einem Fenster nach dem Garten. Ein niedriges hölzernes Bett mit verblichener rosafarbener Bettdecke, ein Tischchen, auf welchem noch die letzte Medicinflasche steht, und der bequeme grün gepolsterte Lederstuhl, mit dem davorliegenden Fußkissen, welches Ottilie von Goethe einst ihrem Schwiegervater stickte, bilden das einfache Mobiliar des Zimmers, in welchem Goethe am 22. März 1832 mit den Worten „Mehr Licht“ aus diesem Dasein schied.




Die Geheimmittel gegen Trunksucht.

Von Dr. Fr. Dornblüth.

Wie alle Krankheiten von etwas anrüchigem Charakter, besonders wenn ihre ärztliche Behandlung mit Beschränkungen und Schwierigkeiten für die Kranken verbunden und zugleich langwierig und von zweifelhafter oder geringer Heilungsaussicht ist, so bietet auch die Trunksucht ein überaus ergiebiges Feld für Geheimmittel und Heilschwindler. Fast jede Zeitung enthält zahlreiche Anzeigen wie: „Die Trunksucht heilbar“, „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“, „Sichere Hilfe für Trunksüchtige“ u. dergl. m., und aus den werthvollen Veröffentlichungen der Herren Schnetzler und Neumann „Die medicinischen Geheimmittel“ und „Die Geheimmittel und die Heilschwindler“ (Karlsruhe, Bielefeld’s Verlag) wissen wir, daß ein solcher Schwindler nach amtlichen Erhebungen in einem einzigen Jahre mehr als 300 000 Mark Einnahme gehabt hat.

Die fabelhaften Erträge der Geheimmittel- und Heilschwindler im Anlocken und Ausbeuten Hilfsbedürftiger werden begreiflich, wenn man ihr Thun und Handeln mit demjenigen gewissenhafter Aerzte vergleicht. Wird ein Arzt um die Behandlung eines Trunksüchtigen angegangen, so wird er pflichtgemäß wohl eine Besserung einiger durch den Alkohol erzeugter Krankheiten, z. B. des Magenkatarrhs, des Delirium tremens etc., in Aussicht stellen, für die dauernde Heilung der Trunksucht selbst aber keine Gewähr übernehmen, sondern diese von dem dauernden festen Willen, der Charakterstärke des zu Heilenden, vielfach auch noch von günstigen äußeren Umständen abhängig machen. Vielleicht sind die Aerzte darin zu vorsichtig, zu gewissenhaft, da es für den Trinker und seine Familie doch schon ein großer Gewinn ist, wenn er auch nur eine Zeit lang zur Enthaltsamkeit und Arbeitsfähigkeit gebracht, und da unter den vielen Rückfälligen doch mancher sich befindet, der durch ärztliche Hilfe und Zuspruch, durch Ermahnungen und werkthätigen Beistand auf bessere Bahnen geführt wird. Immerhin müssen die Aerzte, um solche Erfolge in Aussicht stellen zu können, bedeutende Anforderungen an die Mithilfe der Trinker und ihrer Angehörigen machen.

Ganz anders die Geheimmittel- und Heilschwindler! Das Versprechen „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“, „Sichere Heilung“, eine scheinbar geringe Geldforderung für Arzneien, eine sehr einfache und nicht lange dauernde Kur, strenges Geheimniß, sogar sichere Heilung ohne Wissen des Trinkers, locken die Hilfsbedürftigen, noch mehr aber ihre unter physischem und moralischem Druck und Ungemach schwer leidenden Frauen und Angehörigen heran. Entsetzen erregende Schilderungen der schrecklichen Folgen des Uebels ängstigen sie in Folgsamkeit und Opferwilligkeit hinein; zahlreiche Zeugnisse angeblich Geheilter bestätigen die günstigen Wirkungen der Kur: begreiflich genug, daß ein Versuch gemacht wird, der unter solchen Umständen eine Zeit lang günstig ausfällt und zu neuen Zeugnissen Anlaß giebt; die Nichterfolge und Rückfälle aber bleiben verschwiegen, weil Niemand seine eigene Schuld an dem Fehlschlagen eingestehen, noch weniger aber öffentlich bekannt machen wird. Außerdem wissen diese Menschen in ihren mit vielen medicinischen Kunstausdrücken gespickten Anzeigen eine solche Menge von krankhaften Veränderungen der Organe etc. zu nennen, so viele unheilbare Folgen eingewurzelter und zu spät zur Behandlung gekommener Trunksucht, trotz der verheißenen „sicheren Heilung“ aufzuzählen, daß sie selten oder niemals wegen unerfüllbarer oder unerfüllter Versprechen zu belangen sind. Damit die ergiebige Geldquelle aber nicht zu rasch versiege, bekommen die Heilungsuchenden gleich den Trost, wenn die erste „Kur“ nach Verbrauch der übersendeten Arzneien nicht geholfen habe, werde eine zweite – zu gleichem Preise – es sicher thun. Die Verheißung „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“ bezieht sich überhaupt nur auf die Aufforderung zum Kurgebrauch; die Kur selbst muß vorher und zwar sehr theuer, außer allem Verhältnisse zu dem Werth der Mittel bezahlt werden.

Die andere Verheißung, daß die Kur auch ohne Wissen und Willen des Trinkers mit Erfolg vorgenommen werden könne, ist ebenfalls nicht wörtlich zu nehmen. Das wäre ja auch mit den in der Regel sehr bitteren oder als Pillen zu nehmenden Mitteln ganz unmöglich. Vielmehr werden Diejenigen, welche einen Trunksüchtigen ohne sein Wissen heilen wollen, angewiesen, ihm durch einen guten Freund „mit vollem Ernst und ehrbarer Miene“ einreden zu lassen, das Mittel sei gegen irgend ein anderes Leiden wirksam, „woran ja bei den dem Trunke ergebenen Personen kein Mangel ist“. Eine solche Belehrung über die schlimmen Folgen und die sichere Heilung solcher Leiden betitelt sich z. B. „Gebrauchsanweisung zu der seit dem Jahre 1870 glänzend berühmten Radikal-Remedien, mit welcher nächst Gott viele Menschen zu ihrer Gesundheit gelangten“.

Die meisten dieser angeblichen Mittel gegen die Trunksucht, die den Trinker nicht nur von den Folgen seines Lasters, sondern auch von der Neigung zum Trinken heilen sollen, bestehen aus der sehr bitteren Wurzel des Enzian, die als gröbliches Pulver zum Thee und als Extrakt in Pillen gereicht wird. Dieses Mittel ist sehr billig und giebt also beim Verkauf einen ungeheuren Gewinn, indem für einen Apothekenwerth von 50 bis 100 Pfennig von den Schwindlern mindestens 8 bis 9 Mark erhoben werden. Der Enzian ist freilich nicht im Stande, die versprochenen Wirkungen auszuüben, aber er ist doch wenigstens nicht so positiv schädlich und geradezu gefährlich, wie einige andere dieser Geheimmittel, namentlich die scharfen, Uebelkeit und Erbrechen erregenden, oft den Magen anätzenden und das Herz schwächenden Haselwurzpulver oder der Brechweinstein.

Eine große, anscheinend ziemlich vollständige Sammlung solcher Trunksuchtmittel findet man in einer kürzlich erschienenen Schrift: „Die Trunksucht und ihre Heilung durch bewährte Heilmittel. Von Dr. Balert, prakt. Arzt. Neue Stereotypausgabe. Druck und Verlag von Enßlin und Laiblin. Reutlingen.“ (Ohne Jahreszahl!) Der Verfasser will sich meist persönlich von der bedeutenden Wirksamkeit und Nützlichkeit seiner Mittel überzeugt haben und stellt sich, wie auch seine Genossen im Fache des Heilschwindels zu [t]hun pflegen, als Gegner einer gewissenlosen Industrie hin, „welche gerade die ärmste Bevölkerung durch ihre theuren Pillen ausbeutete, um nicht zu sagen, ihr das Hemd vom Leibe zog“; auch er handelt natürlich rein aus Menschenliebe und empfiehlt seine Schrift vorzugsweise den Predigern und Lehrern, sowie den Gutsbesitzern und Ortsvorstehern, welchen „diese Unglücklichen zur Last fallen.“ Unter den bewährten Hausmitteln, die ohne Kenntniß ihrer besonderen Wirkungen und Gefahren von jedem Laien angewendet werden sollen, finden wir neben einigen bitteren und gewürzhaften Pflanzenstoffen, wie Enzian, Kalmus, Kaskarille u. a. m., die scharfe und oft giftige Haselwurz, die Schwefelsäure, den gefährlichen Brechweinstein, und zwar in Gaben, die von Aerzten nicht ohne besondere Auszeichnung verordnet und von den Apothekern nicht ohne solche abgegeben werden dürfen. So werden z. B. für delirium tremens sogar höchst lebensgefährliche Gaben von Opium und Chloralhydrat vorgeschrieben, und das Alles als Hausmittel, ohne Unterschied der Person, der besonderen Verhältnisse und Gefahren.

Dr. Balert selbst freilich braucht die Verantwortung nicht zu scheuen; er existirt sicher nicht mehr – wenn er jemals existirt hat, was zu ergründen mir nicht möglich gewesen ist.

Wenn der Geheimmittelschwindel mit Recht als „ein Handel ohne Stolz, ohne Ehrgeiz, auf Täuschung aufgebaut, mit betrügerischen Mitteln ausgeführt, den ein ehrenhaftes Geschäft zurückweisen wird“, bezeichnet werden darf (s. Schnetzler und Neumann), so finden wir bei diesen Trunksuchtkuren die Vorspiegelung falscher Thatsachen und die Ausbeutung der Unerfahrenheit und der Nothlage weit bösartiger als bei dem Wucherer, bei dem es sich doch nur um Geld und Geldeswerth handelt, während hier Gesundheit und Leben in Frage stehen.

Die Trunksucht ist nicht etwa ein böser Dämon, der mit Beschwörungen aus ihrem Opfer ausgetrieben oder mit Arzneimitteln in ihm getödtet werden könnte, sondern der Trunksüchtige ist ein kranker Mensch, der, nach der gleichen Methode wie andere Kranke, gemäß seinen persönlichen Verhältnissen und Zuständen, nach den Ursachen seines Leidens und den Folgen, welche der Alkohol in ihm bewirkt hat, sehr verschieden behandelt werden muß und deßhalb nur nach genauer Kenntniß des besonderen Falles von einem wirklich Sachverständigen richtig behandelt werden kann. Wenn aber irgendwo, so ist ganz besonders in Bezug auf die Trunksucht richtig, daß eine Krankheit verhüten besser ist, als eine Krankheit heilen; denn die Trunksucht bringt große Gefahren des Leibes und der Seele mit sich, ihre Heilung ist äußerst schwierig und unsicher und erfordert außer der eigentlich ärztlichen Behandlung in der Regel eine moralische Erziehung und Gewöhnung an Enthaltsamkeit, Ordnung und Arbeitsamkeit, die meistens nur unter besonderen Umständen und in besonders zu diesem Zwecke eingerichteten Anstalten durchzuführen ist.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_554.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2018)