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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Schneckenburger’s war zugegen, dem Vater das Geleit nach Thalheim zu geben, wo fortan die Geburtsstätte und das Grab des Dichters zu freundlichem Besuche einladen werden. – Die Feier auf dem Friedhof zu Burgdorf war eine ergreifende. Viele Bewohner aus der Umgegend, die Deutschen von Burgdorf, sowie zahlreiche Deutsche aus Bern hatten sich an der unweit der Kirche unter grünen Tannen belegenen Grabstätte eingefunden. Nachdem der neue Metallsarg die irdischen Reste des Dichters aufgenommen hatte und der warme patriotische Geist des frühverblichenen Sängers in weihevollen Ansprachen gefeiert war, setzte sich der ernste Zug nach dem Bahnhof in Bewegung. Deutsche waren es, welche den reich mit Kränzen und Blumen bedeckten Sarg trugen, und an der Spitze des Zuges wehte freundlich und feierlich die Fahne des deutschen Vereines von Burgdorf.

Die Grabstätte in Thalheim soll nun mit einem würdigen Schmucke bedacht, in Tuttlingen aber, der an der Bahnlinie Stuttgart–Zürich und der Donau so freundlich gelegenen Oberamtsstadt, wo Schneckenburger einen schönen Theil seiner Jugend verlebte und durch Besuch der Lateinschule den Grund seiner Bildung legte, soll ihm ein Denkmal errichtet werden zur Erinnerung an ihn und jene große Zeit, mit welcher sein Lied in so inniger Verbindung steht. Auf die Kunde hiervon sind schon manche Gaben eingelaufen, besonders auch von Deutschen im Auslande, welche ihrer Begeisterung für dieses Unternehmen oft in ergreifenden Worten Ausdruck geben. So kam z. B. eine Gabe von 374 Mark aus Odessa, welcher folgende Worte beigefügt waren:

„Ja möge das deutsche Volk niemals vergessen die edle Pflicht der Dankbarkeit den Männern gegenüber, welche ihm die Wege gewiesen zu der mit so furchtbar schweren Opfern erkauften Wiedergeburt unseres heißgeliebten deutschen Vaterlandes! Dieses ist ein Herzenswunsch der Deutschen, welche durch des Schicksals Führung an des schwarzen Meeres Strand verschlagen worden sind.“

Möge dieser Herzenswunsch unserer Brüder in Odessa allüberall im großen deutschen Vaterlande freudigen Widerhall finden, um ein Denkmal herstellen zu können, welches der großen Zeit würdig ist, an die es erinnern soll. Dann soll dieses Denkmal eine bleibende Erinnerung sein an unsern Max Schneckenburger und an sein Lied, zugleich aber auch ein Sporn, insbesondere für die deutsche Jugend, das schwer Errungene hoch zu halten und, wenn es sein soll, eben so treu zu schützen, als es ihre Väter gethan haben, damit zu allen Zeiten in Wahrheit gesagt werden kann: Fest steht und treu die Wacht am Rhein.“

Max Schneckenburger’s Ruhestätte in Burgdorf.


Standesgemäß.
Von Hermann Ferschke.

Wie gern wollte ich die morgige Partie mitmachen, aber ich habe ja nichts zum Anziehen!“ Wie oft, verehrte Leserin, hast du solchen oder ähnlichen Seufzer schon ausgestoßen. Und dabei hängt der Kleiderschrank voll schöner, noch recht brauchbarer Kleider, und deine Hüte sind noch so gut wie neu – und doch hast du nichts zum Anziehen. Der schöne, theure, so geschmackvoll garnirte Strohhut, er ist im vorigen Sommer kaum ein dutzendmal getragen worden, wie hübsch hat er dir gestanden und wie lange könntest du ihn noch tragen! Aber er ist vom vorigen Jahre, die Mode hat sich geändert, der Thurm von Babel, der heute Mode ist und den du im vorigen Jahre verlacht hättest, macht deinen vorjährigen, hübschen, aber niedrigen Hut heute lächerlich. Der theure Umhang vom vorigen Jahre, an welchem – erinnere dich nur – ein recht herbe gewesener Seufzer deines lieben Mannes hängt, ist in diesem Jahre nicht mehr modern, die stille Hoffnung des armen Gatten, das theure, leichte und unnütze Ding werde nun hoffentlich mehrere Jahre vorhalten, erfüllt sich nicht – du „kannst nicht als Vogelscheuche einhergehen“, sondern hast die Verpflichtung, dich standesgemäß zu kleiden. Dieser Ansicht kann und darf sich der liebe Ehemann nicht verschließen, und mit Seufzen greift er in die Tasche und zahlt – um des lieben Friedens willen.

Standesgemäß! Du Götze unserer heutigen Zeit, wie oft wird dir Frieden, Glück und Wohlstand ganzer Familien geopfert!

Da habe ich einen guten Freund, einen braven, ehrenwerthen Mann, der an der bekannten scharfen Majorsecke umwarf und in seinen besten Jahren mit Pension zur Disposition gestellt wurde, der sitzt nun da mit einer, ich bedaure es sagen zu müssen, anspruchsvollen Frau und sechs schulpflichtigen Kindern. „Die Alle soll ich nun standesgemäß erhalten und erziehen,“ klagte er mir einst, „und da die Pension selbstverständlich nicht zulangt, so schreibe ich Tag und Nacht und zittere bei jeder fertigen Arbeit bei dem Gedanken, die Redaktion könnte sie zurückweisen. Es ist ein Hundeleben! Die beiden Jungens habe ich zwar glücklich im Kadettenkorps untergebracht, aber die vier Mädchen kosten ein Heidengeld.“

Seine Frau nannte er nicht; er wußte, das hatte er nicht nöthig, ich verstand ihn auch so.

Er mußte natürlich in der großen Stadt standesgemäß wohnen, und da seine Frau, welche nicht vergessen konnte, daß sie einst auf großem Fuß gelebt hatte, auch, um standesgemäß aufzutreten, nach wie vor ein größeres Dienstpersonal halten zu müssen glaubte, so ging die Hälfte der Pension allein für Miethe und Dienstbotenlöhne darauf. Daß sie mit ihrem standesgemäßen früheren noblen Leben ihr eingebrachtes Privatvermögen verpulvert hatte, vergaß die gute Frau.

Im Sommer trafen wir in einem kleinen Badeorte zusammen. Nun, warum denn nicht? Der abgearbeitete Mann und die von der Großstadt angekränkelten Kinder bedurften dringend der Erholung, und das kleine, meist von einfachen Leuten besuchte Bad machte in Beziehung auf Aufwand und Luxus keine Ansprüche an seine Besucher. Die gnädige Frau aber dachte darüber anders, und sie hatte bereits zu Hause dafür gesorgt, daß man standesgemäß auftreten konnte. Zum Transport der Koffer, Schachteln, Kisten und Reisekörbe mußte an der Eisenbahnstation, von welcher man nach dem Badeorte abbog, ein besonderer Gepäckwagen genommen werden. So hielten sie dann mit zwei Wagen ihren Einzug und konnten sicher sein, von vornherein sich standesgemäß eingeführt zu haben. Das Auftreten der Gnädigen mit ihren hübschen kleinen Mädchen ließ denn auch in der That nichts zu wünschen übrig – aber, merkwürdig! obwohl sie an Putz und Aufwand das Menschenmöglichste leistete, an der Magenfrage brach sich ihr Standesgefühl. Statt einen anständigen, standesgemäßen Mittagstisch zu führen, ließ sie für die sechs Personen ihrer Familie drei Portionen Essen aus einer Garküche holen und bemühte sich noch, davon etwas für das Abendbrot zu ersparen. Das war nun eben nicht standesgemäß – aber es sah es ja auch Niemand.

Mein lieber, braver Freund wird daran zu Grunde gehen, aber er mag sich beruhigen, seine treue Lebensgefährtin wird nicht ermangeln, ihn standesgemäß begraben zu lassen.

Standesgemäß! Es hängt ein Fluch an dem Begriff dieses Wortes! Wie oft kommt es vor, daß ein geachteter und tüchtiger Mann Schiffbruch leidet in seiner Stellung. Ein Officier wird pensionirt, er weiß nicht warum, ein Gutsbesitzer geht in Folge zu geringer Mittel und wiederholter schlechter Ernten zu Grunde, ein Beamter verliert, vielleicht eines zu freien Wortes wegen, seinen Dienst – sie Alle haben Weib und Kinder und möchten arbeiten und wirken, es findet sich auch da und dort die Gelegenheit dazu, aber sie dürfen nicht zugreifen, wollen sie nicht mit ihrer ganzen Vergangenheit und vor allen Dingen mit ihren ehemaligen Standesgenossen für immer brechen – es ist nicht standesgemäß!

Ganz dasselbe gilt vom weiblichen Geschlecht. Hast du wohl eine Ahnung, lieber Leser, welche bittere Armuth, welches Uebermaß von Entbehrungen, welche Noth und Sorge unter den Wittwen und Waisen ehemaliger Beamten herrscht, welche den Ihrigen nichts weiter hinterlassen haben, als eine kleine Wittwenpension, die kaum zulangt, die Wohnungsmiethe zu decken? Sie Alle sind, wollen sie nicht verhungern, auf ihrer Hände Arbeit angewieseen – und sie arbeiten auch, aber fragt mich nur nicht: wie? Heimlich, ganz heimlich, daß ja Niemand es merke, holen sie sich Handarbeit aus den Geschäften; heimlich, ganz heimlich tragen sie das Fertige wieder hin – Niemand soll und darf es wissen: „Registrators arbeiten für ein Geschäft,“ – denn das ist nicht standesgemäß! Lieber also hungert eine ganze Familie, als daß sie die Vorurtheile unserer tonangebenden Gesellschaft von sich wirft. Und nun gar dienen gehen! Das hieße sich ja geradezu wegwerfen. Und wie wird nun das heimlich und sauer verdiente Geld angewendet? Wird es zur Beschaffung kräftiger Nahrung verwendet? Gott bewahre! Man glaubt sich verpflichtet, standesgemäß, das heißt so modern wie möglich gekleidet zu gehen, und wirft Alles für schnöden Tand hin, um den Leuten Sand in die Augen zu streuen – und das ist doch nichts weiter, als glänzendes Bettelelend bei hungerigem Magen; aber es wird ertragen in dem Bewußtsein, daß man verpflichtet ist, nach außen hin seinem Stande nichts zu vergeben.

Nun möge man mich nicht mißverstehen. Ich bin weit entfernt, das sogenannte Standesbewußtsein anfechten zu wollen. Möge Jedermann sich bestreben, das Beste zu leisten, so wird er der Ehre seines Standes genug gethan haben. Niemand aber soll sich einbilden, daß sein Stand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_564.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)