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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dadurch in den Augen der Welt gehoben werde, wenn er um deßwillen Schulden macht und seine Verhältnisse zerrüttet. Standesgemäß lebt nur der wirklich, welcher seine eigene Ehre und damit die seines Standes rein erhält; wer dagegen, um der glänzenden Außenseite willen, bei allen Kaufleuten und Handwerkern Schulden macht, der setzt sich und seinen Stand herab, und sein sogenanntes standesgemäßes Auftreten und Gebahren wird verlacht und verachtet.

An unseren socialen Verhältnissen wird jetzt sehr viel herumkurirt, und die Menschheit soll durchaus glücklich und zufrieden gemacht werden. Nun, wir wünschen von Herzen besten Erfolg. Vieles aber könnte auch dann schon besser werden, wenn der Mensch seine Standesvorurtheile über Bord werfen und jede ehrliche Arbeit achten lernte. Die ganze Lebensweisheit kann mit wenigen Worten ausgesprochen werden: Strebe nach dem Höchsten, sei zufrieden mit dem, was du erreichtest, und komme aus mit dem, was du hast! Darin liegt Alles. In dem Gegentheil davon liegt die hauptsächlichste Ursache unserer heutigen gesellschaftlichen Misère und der Urquell alles socialen Elends, wozu ich Familienzwist und zerrüttete Familienverhältnisse zu allererst rechne, denn die Familie ist das Fundament des modernen Staates.

Kannst du zu Hause nicht standesgemäß leben, so nutzt dir auch die Komödie außerhalb desselben nichts, so sehr du dich auch bemühst, deine Aermlichkeit durch sogenannte standesgemäße Auftakelung zu verdecken und zu vertuschen – es glaubt dir doch Niemand. Halte deine Ehre rein, dann lebst du standesgemäß!


Karl von Piloty.

Karl von Piloty.
Nach einer Photographie im Verlag von Franz Hanfstängl in München.

Das Jahr 1886 ist für München ein wahres Unglücksjahr. Schon vor dem schrecklichen Pfingstsonntag gab es harte Verluste in wissenschaftlichen und künstlerischen Kreisen, und kaum beginnen sich die Wellenkreise der Aufregung über jener entsetzlichen Katastrophe etwas zu legen, so erfüllt eine neue Trauernachricht unzählige Herzen mit herbem Schmerz. Karl von Piloty ist nicht mehr! Der warmherzige, geniale Mann, der den Mittelpunkt des künstlerischen Lebens in München bildete und an dessen aufmunternden Blicken die Schüler mit Begeisterung hingen, er ist endlich den Leiden erlegen, die er jahrelang mit so unbegreiflicher Standhaftigkeit ertrug, daß man sich über ihre Schwere vollkommen täuschen konnte. Man wollte die Möglichkeit seines Verlustes nicht glauben, Jeder fühlte, daß er ein zu schmerzlicher wäre, daß mit Piloty wieder einer jener Großen sterben würde, für die es nur Nachfolger, keinen Ersatz giebt! Und nun ist der Schlag plötzlich gefallen, der ganz München in Trauer versetzt.

Karl Piloty gehörte zu den Glücklichen, die vermöge ihrer innersten Eigenart mit einem Bedürfniß der Zeit zusammentreffen und deßhalb zum Ausgangspunkt einer neuen Entwickelung werden. Die klassische Schule in München hatte sich überlebt, oder vielmehr, ihre noch lebenden Vertreter vermochten nicht, Schule zu machen, weil ihre eigentliche Technik auf schwachen Füßen stand, Genie aber bekanntlich sich nicht mittheilen läßt. Da kam Anfangs der fünfziger Jahre der junge Piloty, den die Unerfrenlichkeit des heimischen Kunstlebens in die Fremde getrieben, von Paris und Antwerpen zurück, und mit ihm kam eine neue Zeit für die Münchener Malerei. Der unerhörte „Realismus“ seiner ersten Bilder brachte die Alten in Harnisch, die Jungen aber in Entzücken, und binnen unglaublich kurzer Zeit war der Name Piloty, bisher nur durch die väterliche lithographische Anstalt bekannt, in Aller Munde.

Damals hatte er ein bescheidenes Atelier in den Gärten der Barerstraße inne, welches im Jahre 1855 seinen „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ entstehen sah.

Das Bild machte auf alle Betrachter einen mächtigen Eindruck (es giebt heute noch Leute, die es für sein bestes überhaupt erklären), man kam nicht los von den beiden ergreifenden Figuren, von der düstern Stimmung in dem Todtengemach, die mit einer bis dahin unerhörten Technik hervorgebracht war. Das lebhafteste Interesse wandte sich aber dem Künstler selbst zu, dem schlanken jungen Mann mit den merkwürdig eindringenden dunklen Augen, zwischen denen eine tiefe Furche sich zeigte, die dem Gesicht einen Ausdruck leidenschaftlicher Willensenergie verlieh. Vielleicht gerade darum hatte sein Lächeln etwas Bezauberndes, er war jedenfalls eine Persönlichkeit, die den Reiz des Ungewöhnlichen in hohem Maße besaß.

Sein rascher und glänzender Emporweg ist bekannt; ein Artikel F. Pecht’s in der „Gartenlaube“ (1880, Nr. 40) legt ihn ausführlich dar. Es war ein reiches Künstlerleben, das sich nun entfaltete – die Professur an der Akademie brachte ihm der Erfolg des Gemäldes „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ sofort, ein Aufenthalt in Rom gab ihm dann die Liebe zu antiken Stoffen, welcher eine Anzahl seiner Bilder entstammt; Piloty war selbst eine pathetische Natur, und der große Zug der alten Geschichte begeisterte ihn. Außer ihr war es die Zeit der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges, in die er sich mit Vorliebe versenkte, und hier ergänzt oft der frei schaffende Künstler sehr glücklich die historische Erzählung. Der „Zug Wallenstein’s nach Eger“ z.B. ist so aus der schicksalsschweren Atmosphäre jener Tage heraus gemalt, daß er den Eindruck vollster geschichtlicher Wirklichkeit macht.

So bedeutend nun Piloty’s Erfolge sind, unbestritten blieben sie nicht, und man könnte nicht mit Wahrheit sagen, daß er als Maler sein Zeitalter beherrschte. Die ungeheure Wirkung seiner Person, die ihn vor allen Anderen auszeichnet, liegt auf einem andern Gebiet: er war ein Lehrer, wie es keinen zweiten giebt und in dem Verlauf der Kunstgeschichte nur sehr wenige gegeben hat. Die Thatsache allein, daß so ganz verschiedenartige Künstler wie Lenbach, Max, Grützner, Defregger, Makart, Hellquist, Lossow u. A. aus seiner Schule hervorgingen, spricht für seine außerordentliche Begabung, Jeden nach seiner Art zu erkennen und ihm vollste Freiheit der Entwickelung zu lassen. Der hohe Enthusiasmus, mit dem er den Künstlerberuf auffaßte, theilte sich den Schülern mit und machte sie, wenn auch ihre spätere künstlerische Ueberzeugung von der seinen abwich, auf Lebenszeit ihm eigen. Man muß berühmte Männer wie Lenbach, Defregger, Makart vor ihrem alten Lehrer in Ehrfurcht und Liebe haben stehen sehen, um das Band zu begreifen, das unzerreißbar zwischen ihnen bestand. Die Jungen aber vollends hingen enthusiastisch an ihrem Direktor und sahen zu ihm als zu einem höheren Wesen empor.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_565.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)