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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

schnell wieder, und er zeigte seiner Mutter gegenüber die zärtlichste Aufmerksamkeit.

„Wir haben die Einladungen so viel als möglich beschränkt,“ sagte Hortense, indem sie einen prüfenden Blick durch die erleuchteten Gemächer sandte, „und dennoch werden wir nur nothdürftig Raum für unsere Gäste haben. Es ist etwas Entsetzliches um diese alten Bergschlösser, die weder einen großen Festsaal noch eine Flucht zusammenhängender Zimmer besitzen; nicht einmal eine Gesellschaft kann man darin geben!“

„Dazu sind sie auch nicht erbaut,“ entgegnete der Graf ruhig. „Sie sollten ein Heim für die Familie, sollten Schutz und Wehre nach außen sein, modernen Ansprüchen genügen sie freilich nicht, am wenigsten den Deinen, Hortense, denn Du hast Steinrück nie geliebt.“

„Nun, in dem Punkte theile ich vollkommen den Geschmack der Mama,“ fiel Raoul ein. „Mich reizt hier nur die Jagd in den Bergwäldern. Das Schloß selbst, mit seinen engen, düsteren Räumen, den endlosen, hallenden Gängen und steilen, dunklen Treppen kommt mir immer wie ein Gefängniß vor. Ich athme förmlich auf, wenn ich das alte Gemäuer im Rücken habe.“

„Du scheinst ganz zu vergessen, daß dies alte Gemäuer die Wiege Deines Geschlechtes ist und Dir als solche theuer und heilig sein muß, selbst wenn es in Trümmern läge,“ sagte der General mit einiger Schärfe.

Raoul biß sich auf die Lippen bei dieser sehr deutlichen Zurechtweisung.

„Verzeih, Großpapa, ich habe gewiß die nöthige Pietät für unseren Stammsitz, aber schön kann ich ihn beim besten Willen nicht finden. Ja, wenn es das sonnige heitere Schlößchen in der Provence wäre, mit seiner paradiesischen Umgebung, seiner sagen- und liederreichen Vergangenheit, wo ich früher so oft –“

„Du meinst das Schloß der Montigny?“ unterbrach ihn Steinrück in einem Tone, der den jungen Grafen warnte, denn er verstummte. Die Mutter aber nahm statt seiner das Wort.

„Gewiß, Papa, er spricht von meiner schönen, sonnigen Heimat. Du wirst wohl begreifen, daß sie uns ebenso theuer ist, als Dir die Deinige.“

„Uns?“ fragte der General kalt. „Du sprichst Doch wohl nur von Dir, Hortense? Ich finde es natürlich, daß Du an Deinem Vaterhause hängst, Raoul aber ist ein Steinrück und hat mit der Provence nichts zu schaffen. Seine Liebe gehört selbstverständlich seinem Vaterlande.“

Die Worte hatten einen beinahe drohenden Klang.

(Fortsetzung folgt.)

Der Druckfehlerteufel.

Von Rudolf Kleinpaul.


Als Lucifer, der Engel des Lichts, gefallen war, schleuderte ihn der heilige Michael mit solcher Gewalt in die Luft, daß sein Körper zerschellte und seine Glieder nach allen Weltgegenden flogen. Sie erzeugten dort die Laster, welche für einzelne Völker charakteristisch sind.

Aber zugleich mit dem alten Drachen, der die Welt verführt, wurden auch alle seine Engel ausgeworfen. Denen nützte ihre zwerghafte Figur, sie gingen nicht entzwei, sondern kamen ganz auf der Erde an, wo sie behend in engere Kreise des menschlichen Lebens schlüpften. Unzählbar sind die Namen und die Elemente dieser häßlichen Kobolde. Der eine fuhr in die Destillationen: das war der Branntweinteufel. Der andere fuhr in die Spielhöllen: das war der Spielteufel. Und so entstanden die Waldteufel, die Krautteufel, die Grenzteufel, die Kriegsteufel, die Theaterteufel. Endlich fuhr auch einer in die Officinen, wo man die Bücher druckt: das war der sogenannte Druckfehlerteufel.

Letzterer ist ein seltsames Exemplar von einem Kobold; Johannes Fust mag ihn vor vierhundert Jahren zu Mainz hereingelassen haben. Sein Thron ist der Setzkasten in der Druckerei; sein Narr der Setzer, und sein Opfer der Schriftsteller. Die Sünde begeht der Setzer; den Schaden hat der Autor, dem durch den Druckfehlerteufel oft seine besten Gedanken zu nichte gemacht werden. Die Druckerei als solche kann am wenigsten dafür. Man sagt Druckfehler; man sollte sagen Satzfehler. Denn der Fehler liegt nicht im Drucken, sondern im Setzen.

Eine elementare Bekanntschaft mit der edlen Buchdruckerkunst darf ich bei meinen Lesern wohl voraussetzen. Zunächst ist ein Original da, das ist das Manuskript des Autors. Dieses Original wird vom Setzer nicht sowohl kopirt, als vielmehr in ein zweites Original verwandelt, welches abgedruckt werden kann. Der Setzer schreibt das Manuskript gleichsam noch einmal in Blei. Vor ihm steht ein Kasten, der eine Anzahl Fächer enthält: in diesen Fächern liegen (nicht in der Reihenfolge des Alphabets, sondern ihrem Verbrauch entsprechend) die Buchstaben oder Typen. Der Setzer greift in den Kasten hinein, erfaßt einen Buchstaben und setzt einen nach dem anderen in den sogenannten Winkelhaken; zwischen die Worte kommt ein kürzeres Bleistück, der sogenannte Ausschluß. So geht es fort, bis die Zeile, das heißt, die Formatbreite des Winkelhakens voll ist. Nun beginnt der Druckfehlerteufel sein Spiel.

Das Nächste ist, daß er das Auge des Setzers trübt und die Hand, welche die Signatur des Buchstabens untersucht, muthwillig irreführt. Wenn ein Buchstabe verkehrt steht (K), wenn die Letter mit dem Fuße druckt, was der Buchdrucker „Fliegenkopf“ O nennt, wenn sich der Ausschluß in die Höhe gezogen hat und ein „Spieß“ (D) zum Vorschein kommt, so ist das ein Geringes. Die Gefahr liegt darin, daß ein Buchstabe für den anderen gesetzt, daß ein Buchstabe weggelassen oder eingefügt wird. Bedenkt man, wie oft ein einziger Buchstabe, ein einziges Komma, ein einziger Strich den Sinn verändern kann, so wird man auch die Verheerungen errathen, welche ein unordentlicher Setzer im Satz anrichten kann. Mit Leichtigkeit verwandelt er ein „Mahnwort“ in ein „Wahnwort“, ein „Rothbuch“ in ein „Nothbuch“, eine „Flugschrift“ in eine „Fluchschrift“ und eine gesetzmäßig „deliberirende“ Versammlung in eine „delirirende“. Er läßt Polen in voller „Monarchie“ statt „Anarchie“ begriffen sein; er wittert in der „empirischen“ eine „empörerische“ Wissenschaft und die „kantische“ Philosophie ist ihm eine „komische“ Philosophie. In einer großen Schiller-Ausgabe ist das Leben der Güter höchstes „Licht“; in einer Reisebeschreibung glühen die Damen wie „Matrosen“, in einem Staatshandbuch nimmt der Adel Antheil an den „Lastern“ des Staates – ich will dem Leser das Vergnügen lassen, in den drei letzten Fällen das Richtige, es ist nur ein einziger Buchstabe zu verändern, selber zu errathen. Ja, war nicht einmal Oesterreich reich an „Paradeochsen“ statt an „Paradoxen“, „Landtag“ ein „Langtag“, die „Generalversammlung“ eine „Greuelversammlung“, die „Preßfreiheit“ eine „Freßfreiheit“ und der „Purismus“ ein „Puerismus“? – Es kommt unserem Setzer nicht darauf an, aus einem „ehelosen“ Leben ein „ehrloses“, aus einem „asthmatischen“ Zustand einen „ästhetischen“, aus der „südlichen“ Halbkugel eine „sündliche“ und aus einem „sechsstündigen“ Waffenstillstand einen „sechspfündigen“ zu machen; wie der rasende Herkules wirft er Alles über den Haufen, daß zuguterletzt der „schafsinnige Ritter Don Quixote“ und in Schiller’s Maria Stuart statt der „Armen Marie“ eine „Anne Marie“ dasteht – und das Alles, wenn den Unglückseligen der Druckfehlerteufel plagt.

Kann er dabei gerade eine recht schöne Stelle verhunzen und dem Dichter das Strahlende schwärzen, so freut sich der Teufel boshaft. Uhland begann (1815) die Widmung seiner Gedichte mit folgenden Zeilen:

„Lieder sind wir; unser Vater
Schickt uns in die weite Welt.“

Was glaubt man wohl, daß der Druckfehlerteufel that? Den zweiten Buchstaben wußte er wegzuprakticiren! – Uhland konnte, so gutmüthig er war, eine Anspielung auf diesen Streich zeitlebens nicht vertragen.

Aber, wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen, und die Wittwe Schäfer, die ein Gedicht auf ihren seligen Mann verfaßte und darin klagte:

„Ach! Schäfer liebt’ ich nur! –“


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_596.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)