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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


der Gegner die Brücke erreicht haben würde, zur Explosion bringen zu können, wodurch Tod und Verderben in die Reihen desselben geschleudert werden sollten. Jedoch wurde hierdurch nur ein kurzer Aufenthalt erzielt; der durch die Zündung hervorgerufene Eindruck wirkte nur in moralischer Beziehung und wurde von dem kampfmuthigen Gegner bald überwunden, der sich, von erneuter Schlachtenlust entbrannt, zum zweiten Male auf die Pfahljochbrücke warf, um sich endlich am andern Ufer mit dem Gegner messen zu können.

Plötzlich ein jähes Halt, ein neues furchtbares Krachen, Dröhnen und Gepolter, ein Zurückfluthen der streitbegierigen nachdrängenden Massen.

Die an den Jochen zuvor angebrachten Ladungen waren entzündet worden. Nach Abzug des durch die Explosion von Schießwolle und Pulver erzeugten Dampfes zeigten sich dem Auge zwei weitklaffende Lücken. So war auch der Uebergang über die gezimmerte Brücke zur Unmöglichkeit geworden.

Alles war vortrefflich geglückt, der Kronprinz hatte sich von Neuem überzeugt, daß er sich auf die Pioniere in jeder Weise verlassen könne.

Dankend schied der hohe Herr von der Uebungsstelle, Hochs und Hurrahs des ebenfalls von dem Schauspiele befriedigten, auf einem Dampfschiffe erschienenen Publikums freundlichst annehmend, um sich auf einem durch Pioniere geführten Boote nach der nächsten Eisenbahnstation zurückzubegeben. T.     

Jugendlust. (Mit Illustration Seite 593.) Ich möchte behaupten, daß Kinder mit verborgenen Flügeln zur Welt kommen. Dieselben gelangen nie an das Licht, aber sie wachsen, und sie drängen heimlich sich zu entfalten, und es kommt doch nichts dabei heraus, als der immerwährende Drang, irgendwo zu fliegen. Stelle ein Kind hin, das soeben laufen gelernt hat, und breite die Arme aus: kommt es nicht an, als ob es auffliegen wolle wie ein flügger Vogel? Unter meinem Fenster jagt sich eine schreiende Schar: ich habe das Gefühl, als ob ihr Laufen das Produkt eines durch die Schwere in die Richtung der Horizontale gebannten Auffliegens sei. Sie springen – vergebliche Flugversuche, immer und immer wieder; das giebt eine Genugthuung: es ist doch eine Art Fliegen. Sie tanzen, sie lieben schwärmerisch den Flug auf dem Karrousel. Vor allem sie schaukeln leidenschaftlich gern. Das ist das wahre Fliegen, und das ganze Wesen fliegt mit – in die Luft, in das Unermeßliche.

Dies Gefühl bleibt der Prüfstein für die innere Jugend. Ihm genug thun, darin besteht der Reiz des Tanzens, des Fahrens und des Reitens. Eines Tages merkst du, daß dein inneres Wesen diesen Bewegungen nicht mehr folgt, und du hörst auf mit Tanzen; du fährst nur noch, weil es bequemer ist, und du reitest, weil es Pflicht ist oder um der Gesundheit willen. Du suchst nach frommen Pferden.

Die schönen Flügel – schade um sie! Wohl dem, der sie im Dienst seiner Gedanken hat, und der sie gewöhnt hat, dem Willen zu gehorchen. Er rührt sie länger als jeder Andere. Das ist die ewige Jugend des Künstlers. Nicht umsonst führt der Dichter den Pegasus im Wappen, und nicht bloß deßhalb, weil, wie ein geistreicher Mann halbwahr gesagt hat, Dichten „Pferde-Arbeit“ sei. Victor Blüthgen.     

Besuch im Felde. (Mit Illustration S. 597.) In neuerer Zeit entnimmt E. Henseler mit Vorliebe die Stoffe zu seinen Bildern dem Landleben, und er thut recht daran. Seine Begabung, die sich zuerst in jenen prächtigen Jägertypen dem größeren Publikum bemerkbar machte, weist sein künstlerisches Schaffen hauptsächlich auf dasselbe hin. Dazu kommt die, wenn auch realistische, so doch poesievolle Wiedergabe der Natur des platten Landes. In seinen sommerlichen Landschaften glauben wir jenen warmen, fruchtbringenden Hauch zu fühlen, wie er bei beginnender Ernte über die wogenden Aehrenfelder zieht; wir sehen das Zittern, das Flimmern der von den Sonnenstrahlen durchglühten Luft und freuen uns des lichtblauen Himmels, wie er auf unsere fruchtbaren, norddeutschen Ebenen niederlacht.

Im Vordergrunde steht, die Sense an die Schulter gelehnt, ein kräftiger, schlanker Bauersmann. Er trägt keine originelle Nationaltracht, durch die etwa seine Gestalt malerisch gehoben werden könnte; nüchtern und prosaisch ist auf den ersten Blick die ganze Erscheinung. Wir werden, wenn wir ihn oberflächlich betrachten, an seine scheinbar so unpoetische Heimat erinnert; aber wie dieselbe dem ihr ganzes warmes Herz entgegenbringt, der sich die Mühe nimmt, sie kennen lernen zu wollen, so gewinnt uns auch der einfache Landmann Interesse ab, wenn wir aufmerksamer sein offenes, ehrliches Gesicht betrachten, über welches ein frohes, zufriedenes Lächeln zieht, indem das Auge auf dem bausbäckigen Buben ruht, dessen Händchen ihm einen Strauß bunter Feldblumen entgegenstreckt.

Und wie der Vater den Kleinen mit väterlichem Stolze betrachtet, so blickt auch die Mutter, die ihn hinausgetragen ins Feld, mit demselben Ausdruck auf den Buben. Sie ist ein kräftiges, gesundes Bauernweib, in keiner Weise idealisirt, sondern dargestellt, wie der Himmel dem norddeutschen Landmann sein Weib beschert. Eugen Friese.     


Ein neuer Wunderthäter. Die schönen Zeiten des Spiritismus, der Geisterseherei und Geisterbannerei, sind schon vorüber; der leidige Antispiritismus mit seinen aufklärenden Kunststücken hat den Geisterbeschwörern das Geschäft verdorben. Das war seine Blüthezeit, als er in den Residenzschlössern der mächtigsten Monarchen sein Wesen treiben durfte und als tüchtige Gelehrte, angesehene Männer der Wissenschaft für seine Wunder eine neue Formel fanden. Jene Blüthezeit des Spiritismus ist durch einen Mann vertreten, der vor einigen Wochen in seiner glänzenden Villa in Auteuil verstarb, durch Daniel Douglas Home, einen Schotten von Geburt, der aber schon in früher Jugend nach den Vereinigten Staaten gekommen war. Home war übrigens nicht ein bloßer Taschenspieler: er hatte eine hochgradige Nervosität und etwas Hellseherisches in seinem Wesen; im Tischrücken und Geisterklopfen, im Schreiben auf eine unter dem Tisch befindliche Tafel, im Geisterbeschwören hatte er sich bald zum Matador unter den Gläubigen in den Vereinigten Staaten emporgeschwungen. Sein Ruhm war über den atlantischen Ocean gedrungen, und wie unsere Schauspieler und Sänger nach Amerika ziehen, um ihren glänzenden Namen dort zu verwerthen, so begab sich Home im Jahre 1855 in die Alte Welt, wo ihm die Gunst der Mächtigen bald die Wege bahnte. Im Windsorschlosse gab er seine Vorstellungen mit noch größeren Erfolgen.

Napoleon III. und besonders die Kaiserin Eugenie waren von dem Wundermanne sehr erbaut. Auch im Vatikan fand er Zutritt, aber er wurde aus Rom ausgewiesen und wanderte nach der Newa, wo Kaiser Alexander II. ihm seine Gunst zuwandte und ihm werthvolle Geschenke machte. In Petersburg gelang es ihm, Herz und Hand einer reichen Russin zu gewinnen. Auf diesem Gebiete der Schatzgräberei und Goldmacherei bewährte sich seine Kunst am meisten; denn nach dem Tode seiner reichen Frau bannte er eine englische Wittwe, Jane Lyon, so in seinen Zauberkreis, daß sie ihm bedeutende Summen schenkte: er hatte den Geist ihres Gatten heraufbeschworen, der solche Mildthätigkeit von ihr verlangte. Später aber wurde sie eine Ungläubige und es reute sie, dem Geiste ihres Gatten gehorsam gewesen zu sein: sie klagte gegen Home, daß er sie um 60 000 Pfund Sterling betrogen habe, und da in den Paragraphen der Gesetzbücher die Geister keine Rolle spielen und die Justiz sich nicht um Befehle aus dem Jenseits kümmert, wurde Home verurtheilt, indem der Richter diese Gelegenheit benutzte, die Künste des Wundermanns als Gaukeleien und Betrügereien zu bezeichnen. Dieser tröstete sich indeß über den verlorenen Proceß, indem er abermals eine reiche Russin heirathete und sich dann in Auteuil ein friedliches Heim gründete, wo er nur gelegentlich einmal vor seinen vertrauten Freunden Proben seiner Kunst ablegte.

Inzwischen traten andere Geisterbanner in die Lücke ein, die er freigelassen, aber mit geringerem Glück; denn es begannen die Entlarvungen, und zuletzt behaupteten die magischen Taschenspieler das Feld, welche die Geheimnisse ihrer Kunst dem Publikum preisgaben und so den Kredit der Geisterseher gänzlich untergruben. †     

Papst Leo XIII. als Dichter. Daß der gegenwärtige Papst ein talentvoller Poet ist: das ist für viele Kreise gewiß etwas Neues, während in Italien seine lateinischen und italienischen Gedichte längst hochgeschätzt sind und ihm sogar den Beinamen eines neuen Dante verschafft haben. Die Hauptausgabe seiner Gedichte ist in einem mit Goldminiaturen verzierten Prachtbande erschienen; viele derselben sind mehrfach aus dem Lateinischen in das Italienische übersetzt worden; seine beiden Hymnen „St. Constantinus“ und „St. Herkulanus“ sind in Italien populär: das Märtyrerthum der beiden Heiligen wird in einer energischen, man möchte sagen unerbittlichen Dichtweise geschildert, die sich freilich nicht in Detailmalerei gefällt, sondern nur die opfermuthige Gesinnung feiert. Beide Märtyrer verlachen die gottlosen Gebräuche der Heiden, die machtlosen Blitze des Jupiter und Quirinus, alle grausam über sie verhängten Strafen, Eisen, Feuer und kochendes Wasser; dann aber ruft der Papst ihre Hilfe, ihren Schutz an, um das heilige Schiff der Kirche sicher durch die Stürme zu lenken. Ernst, streng und feierlich ist die Muse Leo’s. Nur flüchtig gedenkt er einer frohen Jugend, eines ersten Lebensfrühlings. Vor der dämonischen Lust der irdischen Liebe warnt er die Verirrten; zur Madonna wendet er sich, zur mütterlichen Madonna, die aber nicht den lieblichen Zug der Raphael’schen hat, sondern etwas Herbes und Matronenhaftes. Weihevoll sind diese Dichtungen des Papstes; sie kümmern sich nur um das Seelenheil; alles Weltliche ist ihnen fremd und fern oder der Rüge und Verdammniß werth. Und doch giebt es eine Erfindung der Neuzeit, der er seine warme Theilnahme zuwendet, die er in wohltönenden Versen feiert. Es ist dies – die Photographie, die er eine Nebenbuhlerin des Apelles nennt, da kein Künstler ein schöneres Bild der Natur zu malen vermöge. Diese Vorliebe des Papstes für die photographische Kunst wird ihm warme Sympathien bei den zahlreichen Meistern und Jüngern derselben erwerben; doch die Portraitmaler werden damit wenig einverstanden sein. Gerade ihre Kunst hat ja einen Triumph gefeiert in dem ausgezeichneten Bilde Leo’s XIII., welches Meister Lenbach auf die Leinwand gezaubert. †     




Auflösung der Schachaufgabe auf Seite 536.
Weiß: Schwarz: Weiß: Schwarz:
1. T g 8 – c 8 g 5 – g 4! 1. … b 6 – b5!
2. D g 2 – a 8! S h 2 – f 3 2. D g 2 – c 6†! d7 –c 6:
3. T c 8 – c 6† d 7 – c 6: 3. T c 8 – d 8† K d 6 – c 7 (e 7)
4. D a 8 – d 8 matt. 4. L c 3 – a 5 (f 6) matt.

Sonstiges leicht ersichtlich. Auf 1. … S g 4 (S f 3) folgt 2. D : S . –

Diese Aufgabe beruht auf Zugzwangs-Benutzung. Der Zug 1. … g 5 – g 4 ermöglicht die Fortsetzung mit 2. D a 8 und nachfolgendem Thurmopfer, welches sonst durch S g 4!! (3. T c 6 † K c 7!!) widerlegt würde. – Andererseits giebt 1. … b 6 – b 5 das Feld a 5 für den Läufer frei, so daß jetzt ein glänzendes Damenopfer folgen kann.



Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 593. – Der Druckfehlerteufel. Von Rudolf Kleinpaul. S. 596. – Der Raub in der Thierwelt. Charakterdarstellungen von Adolf und Karl Müller. I. S. 598. Mit Illustrationen S. 599 und 600. – In der Ausstellung zu Augsburg. Mit Illustrationen S. 601. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 602. – Blätter und Blüthen: Pionierübungen vor dem Kronprinzen bei Wernsdorf. S. 607. Mit Illustration S. 605. – Jugendlust. Von Victor Blüthgen. S. 608. Mit Illustration S. 593. – Besuch im Felde. Von Eugen Friese. S. 608. Mit Illustration S. 597. – Ein neuer Wunderthäter – Papst Leo XIII. als Dichter. – Auflösung der Schachaufgabe auf S. 536. S. 608.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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