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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

empor, die wir längst begraben und vergessen wähnten? Der Bube war ja davongelaufen, war gestorben und verdorben, wie es damals hieß. Wie kommt dieser Bursche, der Sohn des Abenteurers, zu einer solchen Lebensstellung?“

Der General runzelte die Stirn; in diesem Augenblick überwog bei dem alten Krieger der Korpsgeist alles Uebrige, selbst die Abneigung gegen den verleugneten und gehaßten Sohn des „Abenteurers“ trat davor zurück. Michael trug wie er den Degen an der Seite, beschimpfen ließ er ihn nicht in seiner Gegenwart.

„Mäßige Dich!“ sagte er streng. „Es handelt sich um einen Officier der Armee, einen sehr tüchtigen Officier sogar, von dem spricht man nicht in solchen Ausdrücken.“

„Aber, Großpapa, Du wirst doch zugeben, daß dieser Rodenberg uns im höchsten Grade lästig, ja noch mehr werden kann, gerade weil er Officier ist, denn das giebt ihm die Möglichkeit, unseren Kreisen zu nahen, und auf welchem Fuße sollen wir denn mit ihm verkehren? Und gerade jetzt kommt er zum Vorschein, wo meine Verlobung mit Hertha die Augen der ganzen Gesellschaft auf uns richtet! Er wird natürlich nichts Eiligeres zu thun haben, als seine Beziehungen zu uns aller Welt zu verkündigen.“

„Das bezweifle ich, sonst wäre es längst geschehen; es weiß aber bis zur Stunde Niemand darum, ich habe Erkundigungen eingezogen. Jedenfalls muß er wissen, daß wir nicht geneigt sind, diese Beziehungen anzuerkennen.“

„Gleichviel! Anerkannt oder nicht, er wird früher oder später als Enkel des Grafen Steinrück auftreten und den nöthigen Vortheil aus dieser Stellung zu ziehen wissen. Glaubst Du wirklich, daß ein bürgerlicher Officier diesem Vortheil entsagen und seine nahe Verwandtschaft mit dem kommandirenden General verschweigen wird?“

„Jedenfalls werde ich versuchen, das zu erreichen. Du hast Recht, grade jetzt muß dies Wühlen in der Vergangenheit, dies Hervorzerren alter, längst begrabener Geschichten um jeden Preis vermieden werden. Ich habe Rodenberg nur ein einziges Mal gesehen, aber wie ich ihn beurtheile, bleibt ein Appell an sein Ehrgefühl nicht vergeblich. Er wird sich einer Familie nicht aufdrängen, die ihn nun einmal nicht kennen will, und er hat mindestens ebenso viel Grund wie wir, das Andenken seines Vaters in der Dunkelheit und Vergessenheit zu lassen. Wie sich die Angelegenheit aber auch gestalten mag, Du schweigst unbedingt darüber gegen Deine Braut und deren Mutter. Sie sind durch Zufall mit Rodenberg bekannt geworden und haben ahnungslos mit ihm verkehrt.“

„Sagte ich es nicht, es ist ein Unglück, daß dieser Mensch gerade Officier ist!“ rief Raoul heftig. „In jedem anderen Lebenskreise könnte man ihn ignoriren, jetzt hat er bereits Gelegenheit gefunden, sich den Damen unseres Hauses zu nahen, und das wird in wohlberechneter Absicht geschehen sein. Selbstverständlich dürfen sie nicht erfahren, wer er ist. Wie würde die stolze Hertha mich anblicken, müßte ich mich vor ihr zu diesem Vetter bekennen! Das muß verhindert werden, koste es was es wolle, wir sind ja sicher zu jedem Opfer bereit, wenn –“

„Du vergißt immer, daß es sich jetzt um den Lieutenant Rodenberg handelt,“ unterbrach ihn der General mit voller Schärfe. „Einem Officier unserer Armee kann man sein Schweigen nicht abkaufen, man kann sich höchstens an seinen Stolz wenden. Er muß und wird begreifen, daß es keine Ehre ist, mit dem Sohne seines Vaters verwandt zu sein; wenn überhaupt etwas von ihm zu erreichen ist, so kann es nur auf diesem Wege geschehen.“

Raoul schwieg, aber seine Miene zeigte, daß er diese Ansicht nicht theilte. Zu einer weiteren Erörterung kam es nicht, denn der Erwartete wurde soeben gemeldet, und Steinrück winkte ihn eintreten zu lassen.

„Verlaß uns!“ sagte er halblaut zu seinem Enkel gewendet. „Ich will ihn allein sprechen.“

Raoul gehorchte, aber als er im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, trat Rodenberg bereits ein und sie trafen an der Thür zusammen. Michael grüßte flüchtig den ihm unbekannten Herrn, aber dieser streifte ihn nur mit einem halb feindlichen, halb verächtlichen Blicke und wollte vorübergehen, ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen. Da aber vertrat ihm der junge Officier plötzlich den Weg und maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen, ohne ein Wvrt zu sprechen, aber sein Auge und seine Haltung forderten so gebieterisch den Gegengruß, daß sich der Graf halb unwillkürlich dazu bequemte. Er neigte widerwillig das Haupt und zog sich dann zurück. Steinrück hatte die Scene, die nur einige Sekunden währte, schweigend beobachtet. So wenig er das Benehmen seines Enkels billigte, er zürnte ihm fast, daß er sich hatte zwingen lassen.

Michael trat jetzt näher, und selbst der schärfste Beobachter hätte nicht bemerken können, daß irgend ein engeres Band zwischen diesen beiden Menschen existirte. Der Untergebene stattete seine Meldung in streng vorschriftsmäßiger Weise ab, und der Vorgesetzte nahm sie in gewohnter Art entgegen, kühl, ernst und gemessen; keiner von Beiden verlor auch nur auf einen Moment die streng dienstliche Haltung. Als aber das Nöthige gesagt und beantwortet war und der junge Officier auf seine Entlassung wartete, nahm der General von Neuem das Wort.

(Fortsetzung folgt.)




Am Sedantage.
Von Rudolf von Gottschall.

Ein großer Tag, wo der Würfel fiel
In des Cäsars vermessenem Würfelspiel!
Herflog die Kunde mit Sturmesflug,
Ein Blitz, der in alle Herzen schlug.
Der Himmel strahlte vom Wiederschein …
Nicht Städte, von Flammen umwoben,
Die Lichter der Freude warfen allein
Den Glanz in die Wolken droben.

Gefangen der Kaiser, gefangen sein Heer,
Zermalmt von der deutschen Eisenwehr,
Zusammengepreßt in Angst und Noth
Und überschüttet mit Schrecken und Tod.
Die Maas vereint, was der Main getrennt,
Und Nord und Süd sind im Bunde:
Des Bundes heiliges Feuer brennt
Rings auf dem Hügelrunde.

Die Jahre schwanden, das Reich erstand,
Ein herrlicher Bau, aus des Krieges Brand,
Gegründet von deutschem Heldenmuth,
Gekittet mit deutschem Heldenblut.
Wir denken der Todten, die einst der Sieg
Bei besiegten Feinden gebettet;
Wir feiern das Herrliche, das aus dem Krieg
Wir dem Vaterlande gerettet.

Wir feiern nicht den Grimm und Haß,
Der die Völker entzweit ohn’ Unterlaß,
Und wahrt in den Herzen ewig jung
Des blutigen Kampfes Erinnerung.
O lieber zusammen des Friedens Saat
In fruchtbare Aecker streuen,
Wetteifernden Sinns durch geistige That
Gleichstrebende Geister erfreuen.

Was deutscher Ernst mit gesammelter Kraft
Tiefsinnig forscht und begeistert schafft,
Was drüben die Anmuth leichtbeschwingt,
Bahnbrechend der wagende Sinn erringt:
Das sei geflochten zum schönsten Kranz
Und schmücke der Menschheit Altäre;
Es werde der blutige Waffentanz
Zu einer verschollenen Mähre.

Doch anders, wenn, die Faust geballt,
Man drüben droht mit roher Gewalt,
Losläßt die Meute, die jetzt noch bellt
Am Seil, das ein wilder Jäger hält.
Dann, Tag von Sedan wirst sonnenhaft
Du als führende Leuchte uns flammen,
Und wieder breche vor deutscher Kraft
Der welsche Frevel zusammen.




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