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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

sie würden sich nicht sehen und noch weniger mit einander sprechen können; denn das Sprechen ist allen Gefangenen streng verboten. Dies tiefe Schweigen ist nach den lärmenden Versammlungen der Anarchisten gewiß eine anfangs höchst befremdende Abwechselung. Auch Zeitungen dürfen nicht gelesen werden, und so dringt keine Kunde von der Außenwelt in diese Zellen; dagegen giebt es eine Gefängnißbibliothek, aus welcher die Gefangenen Bücher und Zeitschriften entleihen können, wenn sie ihre Arbeitszeit hinter sich haben. Most ist in der Schlosserei als Bohrer beschäftigt, Schenk arbeitet in der Schusterwerkstatt, Braunschweig ist als Tischler thätig. Merkwürdigerweise stellen die Beamten dem Fanatiker Most das günstigste Zeugniß aus: er soll sehr bescheiden und fleißig sein. Ursprünglich war er seines Zeichens ein Buchbinder. An Gefängnißstrafe ist er übrigens gewöhnt. Der graue Steinbau auf Blackwell-Island kann ihm nichts Neues bieten; denn die Gefängnisse diesseit und jenseit des Oceans haben eine sehr mißliebige Aehnlichkeit. Schon als Most in Berlin die „Freie Presse“ redigirte, mußte er mehrfach sich mit ihnen vertraut machen; in London wurde er im Jahre 1881 wegen eines nach dem Morde des Kaisers Alexander II. geschriebenen Artikels, in welchem er zur Vernichtung anderer gekrönter Häupter aufforderte, zu 18 Monaten Zwangsarbeit verurtheilt. Most ist jetzt auf längere Zeit ein stiller Mann geworden; doch hat er Muße, in dieser Stille allerlei Ungeheuerlichkeiten auszubrüten, mit denen er wohl später die Welt überraschen wird. †     

Unangenehme Vorbedeutung. (Mit Illustration S. 677.) Armer Lampe! Du gehörst zu den Vielen, deren Verdienste erst im Tode anerkannt werden. Wem du im Leben quer über den Weg läufst, der sieht – es wäre denn der Jäger, der dir nachstellt – eine unangenehme Vorbedeutung in dir, und wenn ihm im Laufe desselben Tages der Fuß überknackt oder ein Hemdknopf reißt oder der Schuster unerwartet die Rechnung präsentirt oder sonst eine Unannehmlichkeit ihm begegnet, so sucht er den Grund davon nicht etwa in der anerkannten Unvollkommenheit unseres Planeten, sondern er sagt einfach: „Kein Wunder, es ist mir ein Hase über den Weg gelaufen.“

Und wie, als fühltest du instinktiv das dir anhaftende Vorurtheil, bemühst du dich, harmloses Thier, jeder menschlichen Begegnung auszuweichen! Im tiefen Kornfelde verbringst du den sonnigen Tag, und erst, wenn der kühle Abend anbricht und der Mond sein silbernes Licht auf die Fluren gießt, da beanspruchst auch du deinen bescheidenen Antheil an der so karg zugemessenen Poesie dieses Lebens und schweifst und schwärmst. Wenn du dabei in deines Nächsten Kohlacker etwas rastest, wer will dir’s verdenken! –

Aber, mein lieber Lampe, das Leben ist eben kein Idyll, wie du meinst, sondern ein Kampf. Horch, wie das knattert und stampft und dröhnt und trommelt und paukt und trompetet! Das ist deine schlimmste Zeit, das Manöver; von früh bis spät keine Rast, keine Ruhe, keine Stätte, wo du dein Haupt niederlegen kannst. Kaum graut der Tag, so sammeln sich schon die wilden Krieger, und nun geht’s los auf den Feind.

Aber wo ist denn der Feind? – „Suchet, so werdet ihr finden!“ Mit dem Bibelwort gestärkt galoppiren die Eskadrons hinaus nach allen Richtungen, voraus die Spitzen und Patrouillen; das sind die Fühlhörner, die den Feind auswittern, damit er nicht unversehens die Nachkommenden überfalle.

Horch! Was rauscht im Gebüsch? Die Blätter schwanken, das Pferd stutzt, und fester umklammert des Reiters Faust den Zügel. Ist es der Feind? – Ach nein, du bist es, armer Lampe, und in drei gewaltigen Sätzen fliegst du über den schmalen Pfad.

„Donnerwetter!“ schallt’s hinter dir, und das Lachen des Reiters wird zum Grinsen. „Verfluchter Hase, daß dich … das bedeutet nichts Gutes!“

Du aber fliegst weiter und erst in gemessener Entfernung wagst du’s, dich auf die Hinterbeine zu setzen und nach den Ruhestörern umzublicken. Zur selben Zeit aber, da du in so anmuthiger Haltung ihre Aufmerksamkeit auf dich lenkst, schwenkt die feindliche Eskadron ums Gebüsch, und das Donnerwetter wird nun wohl erst von den Lippen des überrumpelten Vorgesetzten auf den zurückfallen, der es auf dich herabgewünscht.

Freu’ dich nur nicht zu sehr, Häschen! Der Nächste vielleicht, dem du über den Weg läufst, spießt dich auf seine Lanze und trägt dich als Trophäe ins Lager. Wenn dann der verdonnerte Reiter Abends mißmuthig zurückkehrt, sieht er dich über’m prasselnden Feuer am Spieß stecken; sein Gesicht hellt sich auf, wenn er dich wieder erkennt.

„Der ist’s,“ ruft er, „der ist an Allem schuldig!“ Die Freude des Wiedersehens läßt ihn das überstandene Donnerwetter vergessen, frohgemuth läßt er sich nieder zu den jauchzenden Kameraden und kühlt seine Rache, indem er dich mit ihnen verspeist. Und von all den heißen Kämpfen des Tages bist du das einzige Opfer.

Armer Lampe! Aber wie sagt der unsterbliche Dichter? „Dulce et decorum est pro patria mori.“ („Glorreich und süß ist sterben fürs Vaterland.“) K. H.     

Linderhof. (Mit Illustration S. 683.) Unser Bild führt uns die oberbayerische Idylle vor aus jener Zeit, wo die Prachtliebe des Königs Ludwig II. noch nicht ihre glänzenden Bauten in dieselbe gezaubert hatte. So sah der Linderhof aus, die schlichten Bauernhäuser, welche seiner Zeit der König an sich kaufte, um an ihre Stelle das prachtvolle, in der vorigen Nummer geschilderte Schloß zu setzen. Nur die Kapelle blieb erhalten, wenn sie auch reicher ausgeschmückt wurde; Terrassen und Kaskaden ziehen sich jetzt von ihr abwärts. Der Weg, der hinten in den Wald führt, besteht auch noch heute. Auf der Höhe hinter der Kapelle liegen im Walde die berühmten Grotten. Der Hügel rechter Hand wurde mit einem Tempel gekrönt, mit Terrassen geschmückt. Die trauliche Waldeinsamkeit dieser Stätte hat dem an französischen Mustern großgezogenen Kunstsinn des Königs und den Schöpfungen seiner oft phantastischen Launen weichen müssen. †     

Einen eigenartigen Begräbnißplatz hatte sich der im Jahre 1824 verstorbene altenburgische Minister Geheimrath von Thümmel schon bei seinen Lebzeiten auserkoren. Dicht bei dem der von Thümmel’schen Familie gehörigen Rittergute Nöbdenitz steht eine riesige Eiche, deren Alter auf mehr als tausend Jahre geschätzt wird. Der Stamm derselben hat einen Umfang von 13 Meter, ist aber am Grunde mehrfach zerklüftet, so daß sein Inneres einen hohlen Raum von ziemlicher Ausdehnung bildet. In demselben wünschte nun der Minister seiner ausdrücklichen Bestimmung gemäß dereinst beigesetzt zu werden. Als er das Zeitliche gesegnet, willfahrte man pietätvoll seinem Wunsche. Die Höhlung im Innern des Baumes wurde vertieft, ausgemauert, und dann bettete man die irdischen Ueberreste des Geschiedenen in diese von ihm selbst gewünschte Gruft. Noch heute grünt mit jedem jungen Jahre auch der ehrwürdige Baum in alter Pracht. Mag diese Ruhestätte auch eine seltsame sein: unschön ist es gewiß nicht, unter dem Rauschen der Wipfel einer gewaltigen, tausendjährigen Eiche zur ewigen Ruhe gebettet zu sein. H. Meißner.     

Die meiste Pracht. Der Prinz Joseph von Hildburghausen (der 1702 geb., später katholisch wurde) stieg in österreichischen Diensten bis zum Feldmarschall und führte im Jahre 1757 die Reichstruppen gegen Friedrich, wurde jedoch bei Roßbach gründlich aufs Haupt geschlagen. Einige Tage darauf fragte der große Preußenkönig bei Tafel: „Welcher deutsche Fürst zeichnet sich am meisten durch Pracht aus?“ Niemand vermochte die Frage richtig zu beantworten; da sagte Friedrich endlich: „Der Prinz von Hildburghausen; denn er hält 30000 Läufer!“ E. K.     

Schach.
Von Franz Schrüfer in Bamberg.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.



Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 665. – Erste Kunstleistung. Illustration. S. 66S. – Wild-, Wald- und Waidmannsbilder. Von Guido Hammer. Nr. 51. Jugenderinnerungen: Mein erster Hirsch. S. 668. Mit Illustration S. 669. – Ludwig II. Gedicht von Karl Hecker. S. 672. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 672. – „Extrablatt!“ Illustration S. 673. – Von einer herannahenden Küchenrevolution. Offener Brief an eine Wißbegierige. Von C. Falkenhorst. S. 682. – Blätter und Blüthen: Ein Justinus Kerner-Jubiläum. S. 683. – Das Gefängniß der Anarchisten bei New-York, S. 683. – Unangenehme Vorbedeutung, S. 684. Mit Illustration S. 677. – Linderhof. S. 684. Mit Illustration S. 683. – Ein eigenartiger Begräbnißplatz. Von H. Meißner. S. 684. – Die meiste Pracht. S. 684. – Schach. S. 684.



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift, wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).

manicula Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellnng in Briefmarken einzusenden.

Die Verlagshandlung.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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