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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

im Kellergeschoß liegenden Theaterkneipe. Sicherlich eine der originellsten Kneipen unter den zahlreichen originellen in Berlin! Ein enger gefängnißartiger Raum, mit kahlen Wänden und kahler Decke, mit wenigen Bänken und Stühlen, vollgepfropft mit einigen Dutzenden immer wieder anders kostümirter Menschen, mit schmalem Bierausschank und eben so schmalem Frühstückstischchen, Alles in Allem aber – überaus gemüthlich! Ein Maler würde hier Stoff zu manch hübschem Bildchen finden: dort der baumlange Herold, den gestickten kaiserlichen Doppeladler auf der Brust, liebäugelt mit einer schlanken „Jauer’schen“ in seiner Hand; ein Kreuzfahrer gebraucht den Knauf seines Schwertes, um ein „hartgekochtes“ Ei aufzuklopfen; dem behäbigen Bettelmönche hier scheint die „kühle Blonde“ vorzüglich zu munden, und der stolze lothringische Ritter da verzehrt mit sichtlichem Behagen eine tüchtige „Schinkenstulle“. Auch das „ewig Weibliche“ fehlt nicht; ein kleines Edelfräulein, das goldbordirte Gewand kokett aufnehmend, trippelt zum Büffet und verlangt „einen Seidel“, und der schmucke, die Füßchen graziös setzende Page holt sich „’ne Semmel, mit Cervelatwurst belegt, aber recht dichte!“

Bim bim bim bim – das elektrische Signal ertönt, der zweite Akt beginnt sogleich; hinauf also wieder zum Felde unseres Ehrgeizes! Ach, den letzteren schienen nicht Alle zu theilen – da lagen sie lang hingestreckt hinter den äußersten Koulissen, die tapferen Kämpen des Kaisers Rudolf, Schwert und Speer war ihren sehnigen Fäusten entsunken, der mit wehendem Federbusch geschmückte Helm war zur Seite geschoben, und der löwenverzierte Schild ruhte achtlos am Boden. Eine weiche Lagerstatt war es nicht, harte Bohlen und Bretter; aber für diese kühnen Helden mußten sie besser als zarte Daunenbetten sein, denn nichts störte sie in ihrem Schlaf und nichts unterbrach ihr Schnarchkoncert. Sie hatten sich diese Ruhe redlich verdient – auf dem Exercirfelde des Kaiser-Alexander-Regiments, und ihr Unterofficier paßte sorgsam auf die ihm untergebenen, braven pommerschen Grenadiere!

„Wir Volk“ wollten aber thätiger sein, wollten nun einmal auf den weltbedeutenden Brettern Ehre einlegen, wollten zeigen, daß wir Künstlerblut in unseren Adern hatten! Da kam uns auch bereits der Statisteninspicient entgegen, wahrscheinlich suchte er uns schon. „Hier sind wir, kommen wir jetzt wieder vor?“ Ein etwas mitleidiger Augenaufschlag traf uns, dann zog der Gefragte einen Zettel hervor, sah auf diesen und dann auf uns. „Sie sind ja ‚Volk‘,“ rief er, „hatten nur im ersten Akt zu thun, können jetzt gehen!“

Ein unter uns ausgetauschter Blick sagte mehr als lange Reden. Still und in uns gekehrt wendeten wir dem undankbaren Reiche der Koulissen den Rücken – wir in unserem glühendsten Thatendrange gestörtes „altes lothringisches Volk“! Paul Lindenberg.     




Blätter und Blüthen.

Ein greiser Gelehrter. Wer hat nicht die ungebrochene Kraft bewundert, mit welcher Kaiser Wilhelm I., der demnächst das neunzigste Lebensjahr erreicht, allen Regierungsgeschäften obliegt? Vor Kurzem erst ist der große Geschichtschreiber Leopold von Ranke gestorben, der noch über das neunzigste Jahr hinaus als Forscher und Schriftsteller thätig war und aus dem Leben abberufen wurde, als er mitten in der Arbeit war und seine an großen Gesichtspunkten reiche „Weltgeschichte“ mit dem Fleiße eines Jünglings von Band zu Band weiter führte. Auch ein anderer Historiker, der sich besonders durch seine „Geschichte der Hohenstaufen“ einen Namen gemacht, Friedrich von Raumer, war über neunzig Jahre alt geworden.

Paris hat neuerdings den hundertsten Geburtstag eines Gelehrten gefeiert, welcher noch immer mit wunderbarer Rüstigkeit sich in dem Kreise einer Fachwissenschaft bewegt, der er bereits in jungen Jahren seine Thätigkeit zugewendet hat. Das französische Institut, die Gelehrten und Industriellen von ganz Frankreich haben seinen Geburtstag gefeiert; eine Festvorstellung in der Großen Oper, Bankette, Fackelzüge, Feuerwerke fanden ihm zu Ehren statt. Chevreul, der schon im Jahre 1815 Professor war, wie er es heute noch ist, der seit siebzig Jahren als Mitdirektor der berühmten Gobelins-Manufaktur, als einer der Vorstände des naturhistorischen Museums im Amt geblieben, war gewiß in weiten Kreisen bekannt, aber der Held einer volksthümlichen Feier konnte er doch nur werden, als er bei lebendigem Leibe sich auf das Piedestal eines Säkularhelden stellte. So kann das Alter schon um seiner selbst willen hohe Ehren einbringen. Wer erinnert sich nicht an die großartige Wiener „Grillparzer-Feier“? Wäre der Dichter der „Sappho“, der stille Tischgast des Matschacker Hofs, der in seinem vierten Stockwerke hypochondrisch über dem Undanke der Mitwelt brütete, gestorben, ehe er das achtzigste Lebensjahr erreicht: er wäre immerhin ein halb vergessener Mann geblieben, niemals der Held jenes von Laube inscenirten, von der Theilnahme der Aristokratie und der Begeisterung des Volkes getragenen Festes geworden.

Chevreul hat als Chemiker anerkannte Verdienste. Seine Untersuchungen über „Thierische Fettstoffe“ betrafen ein Gebiet, auf welchem die Modemedicin jetzt große Erfolge feiert. Ueber die optischen Effekte der Seidenstoffe, über Farbenkontraste und Farbenzusammenstellungen hat er Schriften verfaßt, welche für die Hauptstadt der Mode nicht verloren gehen konnten. Doch solche Verdienste bleiben meistens im Stillen, wie groß auch die Wirkungen derartiger wissenschaftlicher Forschungen auf die Praxis der Heilkunst und des Gewerbes sein mögen. Erst durch die elektrische Beleuchtung, welche die Feier eines hundertsten Geburtstages ausströmt, treten sie in ein Licht, das sie auch den ferner Stehenden sichtbar macht.

Der greise Chevreul hat nichts von seinem Gedächtniß eingebüßt, wird nicht von den Schwächen des Alters geplagt; ein rüstiges, gleichmäßiges Leben, eine Diät, die sich auf zwei tägliche Mahlzeiten beschränkt, vor Allem aber eine Konstitution, welche von Hause aus die Bürgschaft einer langen Lebensdauer erhält, da sein Vater ein Alter von 95 Jahren erreichte, seine Mutter 92 Jahre alt wurde: das war das Lebenselixir, welches so wunderthätige Wirkungen ausübte. Großes Gleichmaß des Charakters und des Empfindens trug wesentlich dazu bei, den Sturm der Jahre machtlos vorübergleiten zu lassen. Nur einmal verließ den greisen Gelehrten die Ruhe, die er sonst immer bewahrte: als die Deutschen seinen jardin des plantes im Jahre 1870 bombardirten, protestirte er gegen diese Barbarei, wie Archimedes, der den eindringenden Soldaten zurief: „Stört meine Cirkel nicht!“ Und dieser Protest verlieh dem Gelehrten den Glorienschein eines Patrioten. So konnte auch Boulanger, der Kriegsminister, der sich sonst wenig um die Farbenkontraste der Gobelins kümmert, obschon er selbst in seinem Leben mehrfach die Farbe gewechselt hat, eine Handhabe finden, um dem Gelehrten bei seinem Feste zu huldigen. †     

Der Luisen-Tempel im Schloßgarten zu Hohenzieritz. (Mit Illustration S. 685.) Wen überkommt nicht ein Gefühl stillen Friedens, wenn er diesen Tempel in seiner lieblichen Umgebung von Baum und Strauch liegen sieht? Er ist auch ein Friedenstempel, dem Andenken der gelobtesten deutschen Fürstin geweiht. Auf der Stelle, wo er steht, hat die Königin Luise, die Mutter unseres Kaisers, nach vielen Leiden und Demüthigungen in freundlicher Abgeschiedenheit die letzte irdische Ruhe genossen, die nur zu bald durch die verhängnißvolle Krankheit unterbrochen werden sollte.

Am 25. Juni 1810 war sie mit dem König Friedrich Wilhelm III. in Neustrelitz eingetroffen. „Als wir uns der mecklenburgischen Grenze näherten,“ schreibt die Gräfin Voß in ihren „Erinnerungen“, „überkam sie plötzlich eine räthselhafte Traurigkeit. Einige Augenblicke war sie ganz von derselben übermannt, aber sie faßte sich rasch wieder und es ging vorüber.“

Sie fühlte sich ja auch unaussprechlich glücklich in der Nähe des geliebten Gemahls, des Vaters, der alten „engelsguten“ Großmama, die sie und alle ihre Geschwister erzogen. In Neustrelitz blieb der Hof nur einige Tage, um dann nach Hohenzieritz, etwa anderthalb Meile von der freundlichen Residenz entfernt, überzusiedeln, wo auch die Königin, damals noch Kronprinzessin, schon im Juli 1796 einige Zeit zugebracht hatte und das sie sehr liebte. In Neustrelitz gab ihr der herzogliche Vater noch ein Fest im Schloßkoppelpark; auf seinem Zimmer schrieb sie auch am Abende des Tages, 29. Juni 1810, die bekannten Worte nieder: „Lieber Vater! Ich bin heute sehr glücklich als Ihre Tochter und als die Frau des besten der Gatten.“

Dann folgten einige Tage glücklichen Beisammenseins und anheimelnden Lebens in Hohenzieritz, bis die tückische Krankheit ganz plötzlich auftrat, die so verhängnißvoll für die erst vierunddreißigjährige Königin werden sollte. Der König hatte sie am 3. Juli verlassen; am 4. wachte schon die Schwester Friederike, die nachherige Königin von Hannover, die ganze Nacht bei ihr. Dann nahm die Krankheit den schnellsten Verlauf, und schon am 19. Juli, Morgens gegen neun Uhr, hatte die Königin ausgelitten, ihre Hände in denen des Königs, ihre Augen auf ihre beiden knieenden Kinder gerichtet. „Ich sterbe, o Jesu, mach’ es leicht!“ waren ihre letzten Worte.

Ihre Söhne, der König Friedrich Wilhelm IV. und der Kaiser Wilhelm späterer Zeiten, setzten sich an dem traurigen Morgen auf die Lieblingsbank der Mutter und wanden ihr einen Todtenkranz. Die Bank ist noch erhalten und steht im Vorzimmer des Sterbegemachs der Königin. Den Platz selbst, den sie so liebte, wünschte der König bald nach ihrem Tode durch die Errichtung eiues Erinnerungstempels geweiht zu sehen, und der Bau begann schon im Jahre 1811. Der Tempel steht auf einer kleinen Anhöhe, auf einigen Stufen; Sandsteinsäulen tragen die Kuppel, an der innen ein Fries von Genien herumläuft. Um den Tempel herum zieht sich ein eisernes Gitter, umrankt von der blassen „Mädchenröthe“, einer Rose, welche die Königin sehr liebte; auf den Beeten um den Tempel im Sommer stehen Hortensien, ebenfalls Lieblingsblumen der Königin. In unmittelbarer Nähe umgeben den Bau Cypressen, denen sich dann hohe Waldbäume anschließen. Alles äußerst friedvoll und ebenso poesie- wie erinnerungsreich. Im Tempel selbst steht auf einem hohen Postament, das eine kunstreich geschmiedete Schlange als Sinnbild der Treue umgiebt, die Büste der Königin in Marmor. Sie ist nach der Todtenmaske von Christian Philipp Wolff, dem Vater des berühmten Bildhauers Albert Wolff, gearbeitet und macht im ersten Augenblicke einen zu ernsten, matronenhaften Eindruck, da wir uns die Königin gern so jugendlich-lieblich und doch hoheitsvoll vorzustellen lieben, wie sie eins der bekanntesten ihrer Bilder, das von Georg Kannengießer, uns vorführt. Allein dieses ernste, feierliche Antlitz stimmt zu der Umgebung. In der Säule oder dem Postamente, auf dem die Büste steht, ruht ein Wahrzeichen, das mit dem Namen des Königs, der Königin, des schweren Krieges, den sie mit Deutschland durchgekämpft, auf das Innigste verknüpft ist. Es ist das erste Eiserne Kreuz. König Friedrich Wilhelm III. hatte den Orden des Eisernen Kreuzes an ihrem Geburtstage, dem 10. März, gestiftet und das erste Eiserne Kreuz sollte ihrem Angedenken geweiht sein. H. K.     

Nordamerikanische Sonderbarkeiten. Die Spekulation in New-York ist unermüdlich, wenn es gilt, neue Gegenstände zu finden, an denen sie sich bereichern kann. Der Gouverneur von Minnesota hat den Brief eines New-Yorkers erhalten, in welchem dieser um die Erlaubniß nachsucht, eine Aktiengesellschaft zu gründen, welche den Zweck hat, auf künstlichem Wege Regen aus den Wolken zu locken. Der Gouverneur hat es abgelehnt, sich an irgend einem Unternehmen zu betheiligen, durch welches der Natur Zwang angethan werden soll. Das „Kansas-City-Journal“ sagt: „Laßt den New-Yorker Herrn zu uns kommen und uns einen Proberegen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_703.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2020)