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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Frage klang so gebieterisch, daß Raoul ihn halb empört, halb verwundert anschaute.

„Das muß man gestehen, Herr Hauptmann, im Hochmuth leisten Sie das Aeußerste.“

„Es giebt Persönlichkeiten, die man nur mit ihren eigenen Waffen schlagen kann. Darf ich jetzt um Antwort bitten?“

„Ich bin es nicht gewohnt, auf einen solchen Ton Rede zu stehen,“ sagte der junge Graf stolz. „Am wenigsten dem Sohne eines Abenteurers und einer Mutter, die –“

Er kam nicht weiter, denn Michael stand bereits an seiner Seite, todtenbleich, aber mit flammenden Augen.

„Schweigen Sie, Graf Steinrück!“ herrschte er ihm zu. „Ein Wort gegen meine Mutter, ein einziges, und ich vergesse mich und schlage Sie zu Boden!“

„Mit den Fäusten?“ fragte Raoul höhnisch. „Ich bin an ritterliche Waffen gewöhnt.“

Die Mahnung fruchtete, Rodenberg trat langsam einen Schritt zurück und zwang sich gewaltsam zur Ruhe.

„Und doch sind Sie unritterlich genug, den Gegner mit Beleidigungen zu reizen, die kein Mann erträgt!“ sagte er bitter. „Ich habe diesen Ton nicht angeschlagen, aber ich sehe, daß wir die Unterredung für jetzt endigen müssen. Sie werden morgen Weiteres von mir hören.“

„Ich warte darauf,“ versetzte Raoul, und mit einem kurzen, hochmüthigen Gruße wandte er sich um und verließ das Zimmer.

Michael blieb zurück, er wollte nicht zugleich mit dem Grafen den Saal betreten. Finster, mit verschränkten Armen ging er einige Male auf und nieder und warf sich dann in einen Sessel.

Hertha war inzwischen regungslos auf ihrem Platze geblieben, aber ihr anfängliches Befremden hatte sich zur Besorgniß und endlich zum Schrecken gesteigert, als sie den Ausgang des Gespräches vernahm. Jetzt erhob sie sich und trat bleich, aber mit voller Entschlossenheit auf die Schwelle.

„Herr Hauptmann Rodenberg!“ sagte sie leise.

Er sprang auf, überrascht, erschrocken, denn in dem Moment, wo er sie erblickte, fiel es ihm auch ein, daß die Thür des Nebenzimmers offen geblieben war und daß man dort jedes Wort hören konnte – weder er noch Raoul hatten daran gedacht.

„Sie hier, Gräfin Steinrück?“ fragte er hastig. „Ich glaubte Sie doch soeben noch im Saale gesehen zu haben.“

„Nein, ich verweilte dort,“ sie deutete auf das Nebengemach, „und bin dadurch unfreiwillig Zeugin einer Unterredung geworden, die wohl nicht für fremde Ohren bestimmt war.“

Michael biß sich auf die Lippen. Also doch! Indessen er faßte sich und entgegnete in möglichst leichtem Tone:

„Wir glaubten allerdings allein zu sein, aber die Sache ist ja von keiner Bedeutung. Ich hatte eine kleine Differenz mit dem Grafen Steinrück, die in etwas erregter Weise zwischen uns erörtert wurde, aber zweifellos ausgeglichen wird.“

„Ist das wirklich so zweifellos? Das Ende des Gespräches schien eher das Gegentheil anzudeuten.“

Rodenberg vermied es, ihrem Blick zu begegnen, aber er erwiderte gelassen: „Unsere Unterredung war in der That auf dem Punkte, sehr gereizt zu werden, deßhalb brachen wir sie ab. Wir werden die Sache morgen ruhiger verhandeln.“

„Mit den Waffen in der Hand – ich weiß es!“

„Sie hegen ganz unnöthige Besorgnisse, davon ist gar keine Rede.“

„Halten Sie mich für so unerfahren, daß ich die Bedeutung Ihrer letzten Worte nicht verstehe?“ fragte Hertha gepreßt, indem sie dicht vor ihn hintrat. „Es war eine Herausforderung und die Annahme derselben.“

Michael schwieg, er sah, daß hier jedes Leugnen nutzlos war.

„Es war ein sehr unglücklicher Zufall, der gerade Sie zur Zeugin unseres Gespräches machte,“ sagte er endlich. „Dem Grafen wird das sicher ebenso peinlich sein wie mir, aber es ist nun einmal nicht zu ändern, so wenig wie die Sache selbst, und ich darf Sie daher wohl in unser Beider Namen um Schweigen ersuchen. Vergessen Sie, was nicht für Ihre Kenntniß bestimmt war!“

„Vergessen! Wenn ich weiß, daß Sie Beide sich morgen vielleicht schon auf Tod und Leben gegenüberstehen!“ brach Hertha mit vollster Heftigkeit aus.

Rodenberg sah sie befremdet, fragend an.

„Wir Beide? Für Sie kann doch nur die Gefahr Ihres Verlobten in Frage kommen. Es ist natürlich, daß Sie für ihn zittern; mein Tod wird die Gräfin Steinrück sehr gleichgültig lassen, sie muß ihn hier sogar wünschen, denn er bedeutet das Leben für meinen Gegner.“

Hertha antwortete nicht, sie hob nur langsam das Auge zu ihm empor. Es war ein seltsamer Blick, es lag etwas darin wie Vorwurf, und mehr noch: eine bebende Angst. Aber Michael verstand es nicht mehr, in diesen Augen zu lesen, oder wollte es nicht verstehen. Sollte das alte Spiel von Neuem beginnen? Er richtete sich plötzlich auf, und seine Haltung wurde so starr und unzugänglich, als stehe er bereits vor seinem Gegner.

Die junge Gräfin las vielleicht jenen Gedanken von seiner Stirn, denn eine dunkle Röthe überfluthete ihr Gesicht; sie trat hastig einige Schritte seitwärts, als wolle sie auch äußerlich einen Raum zwischen sich und ihn legen, und auch ihre Haltung wurde kalt und gemessen.

„Ist denn kein Ausgleich möglich?“ fragte sie, das Beben ihrer Stimme beherrschend.

„Nein!“

„Auch nicht, wenn ich mit meinem Verlobten spreche, wenn ich ihn bitte –“

„Sie werden nichts erreichen. Der Graf wird sich schwerlich bestimmen lassen, seine Worte zurückzunehmen, und darauf müßte ich unter allen Umständen bestehen. Ich bitte Sie überhaupt den Gedanken aufzugeben, solche Dinge vertragen nun einmal nicht die Einmischung einer Frau.“

„Aber eine Frau war doch die Veranlassung dazu, und jetzt will man ihr nicht einmal den Versuch zur Versöhnung gestatten?“ sagte Hertha mit Bitterkeit. „Sehen Sie mich nicht so verwundert, so fragend an; ich weiß es, weßhälb Sie den Streit gesucht haben, wie auch der Vorwand dazu lauten mag. Sie vergessen nie eine Beleidigung, Herr Hauptmann Rodenberg! Nie – das habe ich erfahren, und Sie rächen sich jetzt auf solche Weise dafür.“

Michael’s Gesicht verfinsterte sich, und seine Antwort klang in voller Schärfe: „Halten Sie mich in der That einer so niedrigen, gemeinen Rache fähig? Das glaube ich doch nicht verdient zu haben!“

„Und doch hassen Sie Raoul? Ich kenne den Grund nur zu gut –“

„Sie kennen ihn nicht!“ fiel er mit vollem Nachdrucke ein. „Sie täuschen sich vollständig darüber. Ich habe überhaupt den Streit nicht gesucht; wenn ich mich veranlaßt sah, den Grafen zur Rede zu stellen, so hat mich sein Benehmen dazu gezwungen. Von ihm ging die Feindseligkeit aus, die ich allerdings theile, aber sie wurzelt in Verhältnissen, von denen Sie keine Ahnung haben, und hat nichts zu thun mit jener Stunde in Sankt Michael!“

Es war das erste Mal, daß er diesen Punkt wieder berührte, aber der herbe Ton, die schroffe Haltung milderten sich nicht, als er jenen Namen aussprach – sie schienen nur noch härter zu werden. Nur seine Augen hafteten auf der jungen Gräfin, die heute in der That den Namen rechtfertigte, den Hans ihr gegeben: eine Märchenfee vom Märchenglanze umflossen!

Sie stand im vollen Lichtkreise der Lampe, die das Zimmer erhellte, und in diesem Lichte schimmert das halb mittelalterliche, halb phantastische Prachtgewand, ein kostbares Gemisch von schwerem Goldbrokat, leuchtendem Sammet und zarten, duftigen Schleiergeweben, in dem es überall funkelte und blitzte von Steinen und Geschmeide. Aber von dem Haupte, das ein sternartiges Diadem schmückte, floß noch ein anderer Schleier nieder und gleißte mit rothgoldigem Schimmer: das gelöste Haar, das heute frei und fessellos über die Schultern wogte, in seiner ganzen natürlichen Pracht, es wob sich wie ein Glorienschein um das schöne Antlitz.

Michael stand außerhalb des Lichtkreises, des Bannkreises, aber sein Blick flog doch hinüber. So hatte er sie vorhin im lebenden Bilde gesehen, auf steilem, unzugänglichem Felsen, und so stand sie jetzt vor ihm, die berückende Zaubergestalt der Sage. Auch ihm war ja einst das süße, verlockende Lied erklungen, und was ihn schreckte, das war nicht der Fels und nicht die Gefahr des Sturzes, das war der Preis selbst gewesen! Er wollte nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_719.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)