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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Deutschen zu bemächtigen. Zu den Merkwürdigkeiten Winterbergs gehört die Steinbrecher’sche Gebetbücherdruckerei, welche gleich jener in dem schweizerischen Einsiedeln ganze Legionen von katholischen Erbauungsschriften der verschiedensten Zungen in alle Welt sendet, und die große Glasfabrik „Adolfshütte“. Das eintretende schlechte Wetter veranlaßte mich, den Besuch von Außergefild und des Moldau-Ursprunges aufzugeben. Bei Sussen sah ich am 19. August v. J. frischgefallenen Schnee in Dachrinnen und auf Waldblößen, welcher mir die rauhe, stiefmütterliche Natur dieses Landstriches verkündete. Als der Himmel sich etwas aufklärte, sah durch zerrissenes Gewölk die großartige Ruine Karlsberg, welche an den Gründer der Prager Universität Karl IV. mahnt, auf die „königliche freie Bergstadt“ Bergreichenstein herab, deren Goldstollen, Goldmühlen und Goldwäschen zu einer goldnen Sage der Vergangenheit geworden.

Die tiefe Thalschlucht, in welche sich die Wotawa einschneidet, durchkreuzend, schritt ich nach Hartmanitz, von welchem Städtchen man zu dem Plateau der „künischen Freibauern“ aufsteigt. Hinter Gutwasser und der Kapelle des heiligen Günthers oder Gunderi – eines thüringischen Grafen und frommen Einsiedlers, der Kaiser Heinrich’s III. Scharen durch die Urwälder zum Siege über die Tschechen geführt – beginnt das Gebiet dieser Freibauern. Dasselbe erstreckt sich im Süden bis Innergefild, im Norden bis Neuern. Diese kernigen Landleute stammen von deutschen Kolonisten, welche zum Schutze der Grenze angesiedelt und mit mannigfachen Rechten ausgestattet wurden. Von ältester Zeit bis 1848 hatten sie ihre acht Freigerichte mit selbstgewählten Beisitzern und einen das gesammte Rechts-, Steuer- und Konskriptionswesen leitenden Oberrichter. Sie kannten nicht Robot noch sonstige Beschränkungen in ihrem Eigenthume. So erwuchs ein stolzes Geschlecht von Königsbauern, das durch sein Standesbewußtsein, durch seine treue Art und durch hartnäckiges Festhalten am Hergebrachten an die Westfalen erinnert. Auch die Anlage ihrer isolirten Bauernhöfe, deren Herrenhaus mit einem Glockenthürmchen versehen ist, zeugt von Selbständigkeit und Wohlhabenheit. Die Inwohner der verschiedenen Gerichtsbezirke unterscheiden sich noch heute durch andersfarbige Bänder an den runden Filzhüten. Der Boden ist hier fruchtbar, aber der Waldreichthum wird von den zahlreichen Glasbläsereien und Schleifereien fortwährend vermindert.

Das Thal des Regenbaches, eines frisch dahin sprudelnden Forellenwassers, erreicht man in Eisenstein, dem Mittelpunkt eines herrlichen Bergpanoramas, das uns durch den Wechsel von Wald und grünen Matten erfreut, von welch letzteren die Glocken der weidenden Rinder herüberklingen. Man sieht hier die Doppelgipfel des schon zum Bayerischen Wald gehörigen, 1350 Meter hohen Arber und des 1300 Meter hohen Osser, den 1350 Meter hohen Spizberg, den 1100 Meter hohen Fallbaum, den 1300 Meter hohen Falkenstein – eine hochansehnliche Gesellschaft. Im Walde bei Deffernik steht die „große Tanne“, ein Baumriese von 50 Meter Höhe und 7 Meter Umfang. Der malerische Eindruck des Ortes Eisenstein, der eine beliebte Sommerfrische für bayerische und böhmische Gäste geworden, wird durch die steinbeschwerten Dächer und luftigen Holzbalkone der Häuser noch erhöht. Originell, einem ungeheuren Rettig ähnlich ist die Kuppelüberdachung der Pfarrkirche, welche ein angeblich von Lukas Kranach herrührendes Madonnabild besitzt.

In Eisenstein stößt man bereits auf die im ganzen Bayerischen Wald heimische Sitte der „Leichenbretter“, auf welche der Todte gelegt wird und die dann, bunt bemalt, mit kurzem Nachruf und frommen Sprüchen versehen, vor den Häusern, bei Wegkreuzungen oder Krucifixen senkrecht eingepfählt werden.

Von Eisenstein aus unternahm ich die Besteigung des Arber, der schon auf bayerischem Gebiet liegt. Der Waldbund hat für einen prächtigen Aufstieg und gute Wegweiser gesorgt. Mitten im Walde liegt über 900 Meter hoch der von Schilf und Seelilien umkränzte große Arbersee (vergl. Illustration S. 725), von wo aus man den Gipfel in dreiviertel Stunde erreicht. Eine kleine Kapelle steht hier oben neben einem durch ein eisernes Kreuz gekennzeichneten Felsen, und ein für Touristen sehr praktisches Unterkunftshaus ist vor Kurzem eröffnet worden. Aber dichter Nebel, der sich während des Aufklimmens zusammengeballt, verhüllte mir die so verlockend gepriesene Aussicht. Ich hatte zweifellos kein Bergfexen-Glück im Böhmerwalde.

Einen weiteren Ausflug unternahm ich nach dem 1000 Meter hohen, malerischen Teufelssee und dem fast 1200 Meter hohen Schwarzensee (vergl. Illustration S. 732), welcher die größte Tiefe unter allen Böhmerwaldseen – 90 Meter – aufweist und zugleich der größte von allen ist. Die dunkle Färbung, welche alle diese Hochseen besitzen, wird hier noch durch die düsteren Schatten der steilen Felsen und des finsteren Nadelwaldes gesteigert, weßhalb wohl der Name gewählt worden. Das Ufer ist mit mächtigen Steinblöcken eingefaßt, ein gefälliger Pavillon ladet zur Rast ein. Auf dem Hinweg am Fuße der Seewand sowie auf dem Rückweg über den Spitzbergrand glaubte ich durch einen Park zu wandeln, so wohlgepflegt sind die heimlichen Waldespfade, die im Bereiche des ausgedehnten Besitzes der süddeutschen Hohenzollern dies- und jenseit der Grenze liegen.

Von Eisenstein fuhr ich auf der Eisenbahn, welche hinsichtlich der Kühnheit des Baues und Großartigkeit der eröffneten Berglandschaft den Vergleich mit berühmteren Gebirgsbahnen nicht zu scheuen braucht, nach Neuern. Man passirt gleich zu Anfang der Fahrt den 1800 Meter langen, 800 Meter über dem Meer befindlichen Tunnel unter dem Spitzberge und gelangt in das Thal der Angel. Die Hohenzollern erwarben hier Schloß und Herrschaft Bistritz, und auf einem Vorsprunge erblickt man die Trümmer von Baiereck, welche Burg einst als Grenzveste gegen die Tschechen errichtet wurde. Die Sage weiß hier von verzauberten, durch höllische Geister behüteten Schätzen zu erzählen. Möge eine künftige Legende nicht in ihrer Bildersprache an den versunkenen Schatz des deutschen Volkes im Böhmerwalde nachkommende Geschlechter gemahnen, ihnen einschärfen, wie leichtherzig ihre Väter diesen uralten Nationalbesitz preisgegeben haben!

Denn wir sind hier am nördlichen Ende des eigentlichen Böhmerwaldgebietes. Unweit von Neuern ist das idyllische Dörfchen Friedrichsthal, wo der „Auerbach des Böhmerwaldes“, Josef Rank, geboren wurde. Mitte Juli v. J. feierten Heimatsgenossen des greisen Dichters in erhebender Weise sein siebzigjähriges Wiegenfest und schmückten sein Vaterhaus mit einer Gedenktafel. Der Verfasser der Geschichten „Aus dem Böhmerwalde“, des „Dorfbrutus“ und des „Seelenverkäufers“ schloß seine Dankrede mit den Worten: „Wir sind beisammen in deutscher Liebe für das Vaterland, in der zuversichtlichen Hoffnung auf bessere Tage unseres Landes und Volksthums!“ O, daß diese Hoffnung nie getäuscht werde durch Diejenigen, welche schwer bedrängten Stammesbrüdern warme Sympathien schuldig sind!


Aus den Zeiten des „Brigantaggio.“

Von Isolde Kurz.
II.

Nach dem Falle von Gaëta im Jahre 1861 erhob die Hydra des Brigantaggio aufs Neue das Haupt, und auf der alten Bühne wurde wieder einmal das alte, grausenvolle Drama aufgeführt, welches schon so oft diese unglückseligen Provinzen erschüttert hatte. Die „sbandati“, das heißt die bourbonischen Mannschaften, die durch den Sieger von Gaëta entwaffnet und aufgelöst worden waren, zerstreuten sich über das Land, und die brotlos gewordenen Soldaten legten sich wie die Landsknechte des Mittelalters auf den Heerstraßen in den Hinterhalt, um friedfertige Wanderer anzufallen und zu berauben. Galeerensträflinge, denen Garibaldi auf seinem siegreichen Zug durch die Provinzen die Ketten gelöst, Vagabunden, deren Dienste die junge italienische Regierung abgelehnt hatte, schlossen sich ihnen an und bildeten die ersten Banden. Die gestürzte Regierung, minder wählerisch in den Mitteln als der König Ehrenmann, gab ihnen eine Fahne und ein Losungswort. Aber kein anständiges Element war dieser „Partei“ beigemischt, kein Officier der geschlagenen Armee befehligte sie; ihre Anführer waren gemeine Straßenräuber, ausgehungerte Bauern und Landstreicher mit Ausnahme jenes spanischen Abenteurers Josè Borjès, jenes unglücklichen Don Quixote, der im guten Glauben, einer heiligen

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