Seite:Die Gartenlaube (1886) 746.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„es war doch im Grunde rücksichtslos von dem Herrn, so laut zu sprechen –“

„Laß mich aus, albernes Kind!“ schalt Terka. „Hast kein Einsehen, daß es ein Unterschied ist, ob ein Bauer frech ist oder ein Edelmann? Das heißt, der Edelmann ist eben nicht frech, sondern kühn, und das ist halt sein Recht und steht ihm gut.“

„Das kann ich nicht finden,“ sagte Riza und hob eigensinnig das Köpfchen. Aber am Mittage des nächsten Tages stand sie doch am Fenster und lächelte mit allen Grübchen, als Perfy Viktor seinen schönen Rappen vor ihrem Fenster kourbettiren ließ und dabei höflich vertraulich hineingrüßte, und sein großer Hund, als kenne und theile er die Gefühle seines Herrn, sie schweifwedelnd mit den klugen, braunen Augen anblickte.

„Er schaut im Sattel weit schöner aus als so auf der Erden,“ sagte sie zur Mutter, die unaufhörlich hinter ihr knixte. „Er ist halt doch recht fesch und nun erst sein Pferd und sein Hund – Jesus, sein die schön!“

„Der Prinz, von dem ich geträumt hab’, der Prinz ist ’kommen!“ jubelte Terka und knixte noch einmal in tiefer Ehrfurcht hinter dem Davonreitenden her. „Jetzt muß ich aber schaun, daß ich die zwei Beiden rasch zusammenbring’, jetzt ist’s Eisen warm!“ (Fortsetzung folgt.) 


Aus den Zeiten des „Brigantaggio“.

Von Isolde Kurz.
II.
(Schluß)


Es war an einem schneidend kalten Wintertage, als Kapitän Petriccioli mit seiner Mannschaft in dem Gebirgsort Soveria-Manelli im Kalabresischen zwischen Pizzo und Cosenza einrückte auf die Nachricht hin, daß sich dort der Brigant Chiodo versteckt halte. Sein Quartierzettel lautete auf das Haus des Syndikus, und diese ehrwürdige Magistratsperson trat dem neuen Ankömmling sofort aufs Gastfreundlichste das eigene Zimmer ab. Aber der Kapitän sollte diesen Vorzug nicht ungeschmälert genießen, denn er hatte das Schlafgemach mit den beiden Hausgenossen des Syndikus zu theilen, die am Fußende des Bettes angebunden waren – einem Esel und einem Schwein.

Hundert Schritte vom Ort entfernt wohnte in einem schönen Landhaus ein Arzt Namens Luigi Cimino, der dem Kapitän sofort seine Aufwartung machte, ihm sein ganzes Haus zur Verfügung stellte und ihn mit Liebenswürdigkeiten überschüttete. Dieser Cimino gab Gesellschaftsabende mit allem großstädtischen Luxus, wobei seine drei reizenden Töchter mit gewinnendster Anmuth die Honneurs machten; es wurde getanzt, und alle jungen Officiere waren dazu eingeladen worden. Nur unser Kapitän blieb zurückhaltend, lehnte alle Anerbietungen ab und hielt sich an seine vier Wände. Doch war er froh, daß die Regierung befohlen hatte, die Quartiere alle vierzehn Tage zu wechseln, um den Einzelnen nicht zu sehr zu belasten, und daß er daher bald aus der Gemeinschaft der beiden vierfüßigen Schlafkameraden befreit wurde.

Der Kapitän, welcher gelegentlich Kranke und Arme in dem Orte unterstützte, wurde bei dem Völklein, das ebenso rasch zur Liebe wie zum Haß geneigt ist, beliebt, und wenn die Leute von ihm sprachen, nannten sie ihn „lu buonu figghiu[1]. Dieser Popularität schreibt es der Kapitän auch zu, daß er nicht auf seinen einsamen Abendspaziergängen hinter einer Hecke hervor von einem der im Ort versteckten Briganten niedergeschossen wurde.

Auf einem dieser Abendspaziergänge, als er an einem Gesang seines Hymnus dichtete, traf er einmal auf ein altes Weiblein, das gebückt und zitternd vor Kälte an einem Rain stand und ihm bei seinem Näherkommen freundlich zunickte und rief: „Guter Junge, gesegnet seist Du und Deine Mutter!“ und was dergleichen Reden mehr waren.

Der Kapitän trat auf sie zu, fragte sie, ob sie ihn denn kenne und ob er ihr je etwas Gutes erwiesen habe, doch die Alte blieb dabei, daß er „lu buonu figghiu“ sei, der den Armen Gutes thue und dem sie Alle wohlwollten. Dabei griff sie von Zeit zu Zeit mit Daumen und Zeigefinger an die Nase, als ob sie eine Prise nähme.

„Du möchtest gewiß schnupfen, Mütterchen?“ fragte der Kapitän.

„Ich möchte freilich,“ entgegnete die Alte, „aber ich habe keinen Schnupftabak.“

Der Kapitän zog ein paar Soldi heraus und reichte sie mit den Worten: „Hier ist Schnupftabak für Dich,“ der Alten, die ihn mit Danksagungen überhäufte und es sich nicht nehmen ließ, ihn bis zu seiner Hausthür zu begleiten. Von da an wurde er das alte Weib nicht mehr los; jeden Abend erschien sie unter seinem Fenster, sang allerlei närrische Lieder, die sie selbst improvisirte und die gewöhnlich mit dem Ritornell schlossen:

N’u ha tante gocce lu mare
Quanti baci ti voglio dare.
[2]

Andere Weiber und Kinder sangen mit; die jungen Leute tanzten dazu und machten einen Lärm, der sowohl die Musen des Kapitäns verscheuchte, als auch der Ordre zuwiderlief, welche über das Städtchen eine Art von kleinem Belagerungszustand verhängt hatte. Aber der Kapitän ließ das Unwesen zu, um seine Beliebtheit nicht zu verscherzen, die ihm schon so gute Früchte getragen hatte. Von Chiodo zeigte sich indeß nirgends eine Spur.

Während dieser ganzen Zeit dauerten die Zuvorkommenheiten von Seiten der Familie Cimino immer fort. Zwar wurde der Kapitän nicht mehr eingeladen, nachdem er ein- für allemal erklärt hatte, er sei ein Einsiedler, der des Abends nach dem Dienst am liebsten daheim bei der Studirlampe sitze; aber bald erhielt er ein paar Hühner, die er zurücksandte unter dem Vorwand, daß er durchaus kein Geflügel esse, bald ein prächtiges Wildbrett, das gleichfalls zurückwanderte; bald bot man ihm mehr oder minder werthvolle Gegenstände des Komforts an, an welchen im Quartier des Kapitäns allerdings fühlbarer Mangel herrschte, die er aber alle ablehnte mit keinem andern Hintergedanken, als daß er an einem Orte, an dem er halb und halb als Feind, jedenfalls als ungern gesehener Gast erschienen war, sich Niemandem verpflichten wollte.

Eines Tages warf das alte Mütterlein dem Kapitän auf der Straße bedeutungsvolle Blicke zu, als ob sie ihm etwas von Wichtigkeit mitzutheilen habe. Der Kapitän folgte ihr aus der Entfernung, und als sie unbeobachtet waren, flüsterte sie ihm rasch zu:

„Wenn Du den Chiodo fangen willst, so mache Dich rasch auf den Weg. Er ist eben beim Barbier und läßt sich rasiren. Das letzte Haus oben auf der Höhe, rechts am Weg.“

Der Kapitän ließ rasch die Barbierswohnung von seinen Bersaglieri umstellen, aber als er eindringen und die Bande gefangen nehmen wollte, eröffneten die Briganten zu Thüren und Fenstern heraus ein mörderisches Feuer. Die Angreifer mußten sich in den Straßengraben ducken, wo ein Hagel von Kugeln über ihre Köpfe wegsauste, und steckten endlich durch angezündete Strohwische das Haus in Brand. Chiodo, aufgefordert, sich zu ergeben, erschien am Fenster und rief durch den vordringenden Qualm, daß er sich nur dem Kapitän persönlich übergeben wolle. Schon wollte sich der Kapitän vom Straßenrand erheben und sich dem Banditen nähern, aber noch rechtzeitig ergriffen ihn die zwei nächsten Soldaten und drückten ihm den Kopf in den Graben nieder, denn sie hatten gesehen, wie der Brigant eben tückisch anlegte, um den Officier niederzuknallen. Jetzt kletterte


  1. Für il buon figliuolo – der gute Junge.
  2. Nicht so viel Tropfen hat das Meer, als ich Dir Küsse geben will.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_746.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)