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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

berechtigt und – wahrhaftig, da steht es wieder! Der geniale Sohn eines berühmten Vaters – hol’ der Kuckuck all die Bewunderer und den Hans und den Michael dazu!“

Er warf das Blatt bei Seite und begann heftig im Zimmer auf und nieder zu gehen. Wehlau gehörte zu den Menschen, die es nun einmal nicht ertragen können, Unrecht zu haben. Er hätte eher behauptet, daß Weiß Schwarz sei, als zugegeben, daß sein Scharfblick, der sich in der Wissenschaft so untrüglich erwies, ihn mit Bezug auf den eigenen Sohn so gründlich getäuscht hatte. Hans sollte und mußte ein Windbeutel sein, der, da er nicht zum Schüler und Nachfolger des Vaters taugte, überhaupt für keinen ernsten Beruf tauglich war. Er hatte sich förmlich verrannt in diese Ansicht und hielt sie mit der ganzen Hartnäckigkeit seines Charakters fest. Hätte man in jenem Artikel seinen Sohn einen Stümper genannt, er würde trinmphirt haben. Daß man ihn ein Genie nannte, nahm er als eine Beleidigung auf, da es ihm selber Unrecht gab.

„Will mir der Mann da etwa weismachen, daß wirklich etwas in dem Jungen steckt?“ fuhr er noch grimmiger fort. „Es ist nicht wahr, sage ich! Ein Sausewind ist er, ein Hans Narr, der mit seinem Gesicht und seiner Liebenswürdigkeit den Kritiker bestochen hat, wie er alle Welt besticht. Der und Bedeutendes leisten! Mir soll er nicht damit kommen; ich setze keinen Fuß in sein Atelier, sehe kein einziges seiner Bilder an, und wenn zehn Kritiker sie loben und zwanzig Gräfinnen sie kaufen!“

Er hob wie zum feierlichen Schwur die Hand empor; da wurde die Thür geöffnet und der alte Gärtner, den Hans zugleich als Diener für sein Atelier benutzte, natürlich auch ohne den Vater um Erlaubniß zu fragen, erschien auf der Schwelle.

„Was giebt es?“ fuhr ihn der Professor in der übelsten Laune an. „Sie wissen doch, Anton, daß ich in meinen Arbeitsstunden nicht gestört sein will. Was wollen Sie?“

„Verzeihen der Herr Professor,“ versetzte der alte Mann mit angstvoller, verstörter Miene. „Ich komme aus dem Atelier, von dem jungen Herrn.“

„Das ist keine Entschuldigung. Künftig unterbleiben derartige Störungen – verstanden?“

„Aber, Herr Professor, es geht dem jungen Herrn ja so schlimm, so sehr schlimm – ich glaubte, er würde mir unter den Händen sterben!“

„Was?“ fuhr Wehlau erschrocken auf. „Was fehlt denn meinem Sohne?“

„Ich weiß nicht. Ich arbeitete im Garten, da öffnete er das Fenster und rief mich, und als ich hereinkam, lag er da wie ein Halbtodter. Es war ihm plötzlich übel geworden, sterbensübel. Er hatte kaum noch so viel Kraft, zu sagen: ‚Rufen Sie meinen Vater!‘ Da lief ich, Hals über Kopf, um Sie zu holen.“

„Um des Himmels willen, der Junge ist ja bisher gesund gewesen wie der Fisch im Wasser!“ rief Wehlau, der schon zur Thür hinaus geeilt war. Vergessen war Groll und Aerger, vergessen der eben geleistete Schwur, das Atelier nicht zu betreten. Er eilte spornstreichs durch den Garten und Anton ihm nach.

(Fortsetzung folgt.)




Waidwund verbellt.

Mein alter Jagdfreund, der Oberförster L., half mir beim Aussteigen aus dem Americain, der mich von der Bahnstation vor das auf einer Waldblöße gelegene Jägerhaus geführt hatte, indem er mir Flinte und Jagdtasche abnahm, um dann einen prüfenden Blick auf die beiden von mir mitgebrachten Dachshunde zu werfen. Im nächsten Augenblick hatte er sie, nach Uebergabe der Jagdgeräthschaften an den danebenstehenden Jägerburschen, mit festem Griff gepackt und auf die Erde gesetzt, worauf er ihnen noch liebelnd auf den Rücken klopfte, ehe er mir die Rechte zum Gruß bot.

„Recht niedliche Thiere! In der Farbe wie ein paar Waldschnepfen; nur sind die Köpfe zu dick zum Kriechen im Fuchsbau, man thäte da besser, man kröche selbst. Und die Läufe – ja, die Läufe sind wieder zu kurz und zu krumm zum Laufen; aber man kann ja nicht wissen, sie haben vielleicht innerliche Tugenden.“

Das war ein wenig tröstliches Urtheil über meine erst vor wenig Tagen, freilich für billiges Geld, gekauften Hunde. Ein mir befreundeter Gutsbesitzer hatte sie mir für einen sehr geringen Preis abgelassen, weil sie zu viel auf eigene Hand auf den Feldern wilderten. Sie sollten scharf auf Raubzeug sein und sicher und laut der Fährte jedes Wildes folgen; weßhalb also nicht auch der von Sauen, welchen unsere auf heute verabredete Jagd galt? Um die schlechte Meinung des Jagdfreundes von den Teckeln zu entkräften, versuchte ich, ihre mir von dem Vorbesitzer gerühmten Eigenschaften in das rechte Licht durch eine anschauliche Schilderung einiger mir mitgetheilten Heldenthaten derselben beim Buschiren zu setzen; allein auch jetzt begegnete ich entschiedenen Zweifeln an der Leistungsfähigkeit der Thiere.

„Zum Kriechen sind die Köpfe zu dick und zum Laufen die Läufe zu krumm“, das blieb der Refrain des Urtheils des alten Waidmanns.

Es war ein herrlicher Wintermorgen, der Himmel wolkenlos, und Bäume und Sträucher mit einem feinen, in den Sonnenstrahlen blitzenden Reif bedeckt, während eine leichte, kanm zollhohe Neue sicheres Abspüren gestattete. Die Jägerei war vollzählig beisammen, lauter wettergebräunte, kräftige Männer, Mitglieder des Forstschutzpersonals der Oberförsters, ich als einziger Gast darunter. Wir hatten etwa eine halbe Stunde Wegs nach dem ersten Treiben zurückzulegen; die Treiber folgten uns mit fünf oder sechs Hunden von gänzlich verschiedener Größe und Farbe, sämmtlich Mischrassen angehörig, deren Abstammung dem gewiegtesten Hundekenner zu ergründen unmöglich gewesen wäre. Es würde zu weit führen, wollte ich die struppigen Gesellen näher schildern; dem kritischen Auge mußten sie wenig vertrauenerweckend erscheinen, obgleich sie sammt und sonders bereits Beweise ihrer vortrefflichen Eigenschaften auf der Saujagd abgelegt hatten.

Zu meinem Kummer mußte ich bemerken, daß auch bei den anderen Forstleuten dasselbe Mißtrauen gegen die Leistungsfähigkeit meiner reinblütigen Teckel zu bestehen schien. Die Blicke, mit denen dieselben von allen Seiten gemustert wurden, waren unschwer zu deuten. Man machte sich über die krummbeinigen Burschen lustig, die freilich in der schläfrigen Art, wie sie an der Leine dem sie führenden Treiber folgten, auffällig abstachen gegen die muntere, kläffende und umherspringende Schar ihrer unedlen Genossen.

Doch nicht allein Flick und Flock, so hießen die beiden Hunde, sollten heute das Mißfallen des Oberförsters erregen, auch meine Bewaffnung wurde einer abfälligen Kritik unterzogen. Ich hatte die Büchsflinte, mit welcher ich vor wenig Wochen einen Ueberläufer auf einer schmalen Schneuse gefehlt, zu Hause gelassen, und dafür meine Dreyse-Flinte mitgenommen, deren Treffsicherheit auf kürzere Entfernungen mit der Kugel bereits häufig erprobt war. Der Kugelschuß aus dem glatten Rohr bietet stets den Vortheil, daß der Schütze weit schneller fertig werden und das Ziel nehmen kann, was grade bei der Saujagd, bei dem überaus flüchtigen Ueberfliehen der schmalen Gestelle durch das Wild, von der größten Wichtigkeit ist.

Eben führte uns der Weg an einem hohen Bestand hin. Ich ging neben meinem Jagdfreunde am Ende des Zuges und suchte ihm die eben erwähnten Vortheile des Kugelschusses aus dem glatten Rohr klar zu machen, als er plötzlich stehen blieb und auf einen hämmernden Specht wies, welcher auf einem der obersten Aeste einer hohen Eiche emsig nach Würmern pochte.

„Versuchen Sie einmal Ihr Glück und schicken Sie dem da oben einen Morgengruß hinauf. Wir wollen sehen, ob Sie überhaupt hinauf reichen. Der Schuß stört uns die Jagd nicht; ist doch Jagen 12, wo wir anfangen, noch wenigstens 20 Minuten entfernt.“

Kaum hatte der Grünrock seinen Wunsch geäußert, als auch meine Flinte bereits geladen an der Wange lag. Ich drückte, und unmittelbar vor dem Schnabel des hämmernden Spechtes flogen die Splitter des von der Kugel durchbohrten Astes, auf dem er saß, empor. Wahrscheinlich durch den plötzlichen Schreck betäubt, flog der Vogel nur wenige Fuß zur Seite und schien danach verwundert Umschau zu halten.

„Jetzt denkt er nach, welcher Gattung die Made wohl angehört haben mag, die er eben herausgepocht.“

Der Grünrock lachte lustig zwinkernd nach mir herüber, während er den Scherz machte, so daß ich schon glaubte, seine Zuversicht zu meiner Bewaffnung sei nunmehr wiederum vollständig befestigt. Als wir jedoch später die Dickungen erreicht hatten, in welchen das Schwarzwild bestätigt worden und die nun umstellt werden sollten, wurde es mir alsbald klar, daß man geneigt war, mich für den heutigen Tag als Paria zu behandeln; ich erhielt nämlich nach meiner und jedenfalls auch nach der Ansicht der Jagdgefährten einen vollständig verlorenen Posten. Zwar sprach L., der mich selbst anstellte, bei dieser Gelegenheit viel von „freiem Ausschuß nach allen Seiten“ und „altem, bekanntem Wechsel“ nach einem in meinem Rücken liegenden Bruch; aber ich kannte bereits aus Erfahrung diese stets gleichlautenden, trostreichen Phrasen, die mir Ersatz für den Anlauf bieten sollten, dessen sich die Andern voraussichtlich erfreuen würden.

Wohl eine Viertelstunde saß ich bereits regungslos auf einem Baumstumpf. Meine Hunde befanden sich bei dem Treiber, der sie vorher geführt hatte; sie sollten nicht von der Leine gelöst werden, weil – ihre Köpfe zu dick, ihre Läufe zu krumm waren. Freilich, einen freien Ausschuß nach allen Seiten hin hatte ich hier. Mein Stand befand sich auf einer breiten, abgeholzten Fläche. Vor mir, in einer Entfernung von etwa 200 Schritten, lag die nach meiner Seite hin gänzlich von Schützen entblößte Dickung, welche getrieben werden sollte; rechts, links und rückwärts, nach letzterer Richtung hin wohl 800 Schritte entfernt, schlossen hohe, lichte Kiefernbestände das Gehau ein, welches durch den Frost gebräunte Farnkräuter, Brombeergestrüpp und Wachholderbüsche überwucherten.

Anfänglich wurde die lautlose Stille des Winterwaldes nur durch die ziemlich regelmäßigen Axthiebe der Holzfäller unterbrochen, welche in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_752.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)