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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

deren Abglanz die ganze Kirche erfüllte. Die alten verblaßten Bilder an den Wänden, die Statuen der Heiligen an den Säulen und Pfeilern, die Kreuze und Kirchenbanner. das Alles gewann ein seltsames, geisterhaftes Leben in dem rothen Lichte. Die Engelgestalten an den Stufen des Hochaltars schienen leise die Flügel zu regen, und der breite Goldstreif, der das Altarbild überfluthete, wurde zum Purpurlichte, das langsam immer höher emporstieg. Der Felsenschlund und Lucifer sanken allmählich in Schatten und Dunkel, während Sankt Michael’s mächtige Gestalt mit den Adlerflügeln noch wie von einer Flammenglorie umgeben war.

Es war ein längeres Schweigen eingetreten. Hertha brach es zuerst, aber ihre Stimme hatte etwas Unsicheres, Zögerndes, als sie wieder das Wort nahm.

„Herr Hauptmann Rodenberg – ich habe eine Bitte an Sie.“

Er sah rasch auf. „Sie befehlen?“

„Ich möchte in Bezug auf einen gewissen Vorfall die Wahrheit wissen, die volle rückhaltlose Wahrheit. Werde ich sie von Ihnen erfahren?“

„Wenn es in meiner Macht steht –“

„Gewiß, Sie brauchen nur zu wollen.“

(Fortsetzung folgt.)

Studien aus dem Leben.

Von Hermann Heiberg.
Ihre erste Gesellschaft.

Du, Mama meint, daß wir auch unsere Gesellschaft einmal überlegen müßten. Hörst Du, Männchen? Ach, nun lasse doch einmal die Zeitung! Wir wollen darüber reden. Wie denkst Du darüber, wenn wir sie heute über vierzehn Tage ansetzten?“

„Ueber vierzehn Tage? Weßhalb denn so spät? Wir können ja gleich einladen! Ueber acht Tage – Sonnabend. Das ist ein prächtiger Tag für die Sache.“

„Ach, liebster Ernst, wo denkst Du hin!“

„Wie so?“

„Heute über acht Tage! Ich muß doch Zeit dazu haben. Mama wollte in den nächsten Tagen einmal vorsprechen, um mit mir den Küchenzettel zusammenzustellen.“

„Dazu brauchst Du doch Mama nicht. Wir beschließen hier gleich in unserem eigenen Götterrath über die Sache. Und Zeit hast Du ja die Menge. – Morgen früh erhalten unsere Gäste die Einladung, Montag haben wir die Antworten und können, wenn uns Freunde absagen, noch rasch ergänzen. – Nun, was hast Du? Ist’s Dir nicht recht?“

„Gewiß, lieber Ernst. Ich habe ja die Sache angeregt. Aber ich bin gegen jede Ueberstürzung. Bedenke –“

„Ueberstürzung? Und was soll ich bedenken? Ich schlage vor, wir machen gleich das Menu. Zwei Gänge: eine Fischpastete, Rehrücken, Eis, Obst, Butter und Käse –“

„Nein, das hatte ich mir anders gedacht.“

„Schön! Also sage Du einmal Deine Meinung.“

„Ja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Das kommt mir so rasch. Ich muß mir das noch Alles ruhig überlegen. Du weißt, ich möchte das Service von Onkel Josef umtauschen, und die Champagnergläser – Du wolltest doch lieber Schalen –“

„Champagner? Wir werden doch keinen Champagner geben!“

„Meinst Du nicht? Bei unserer ersten Gesellschaft?“

„Ich denke nicht daran! Wir setzen Weißwein und Rothwein auf den Tisch. Den Weißen zum Fisch, den Rothen –“

„Mama meinte aber, ein Glas zum Schlusse, ebenso wie’s bei den jungen Fittgers neulich –“

„Nein, mein liebes Kind! Ich will mit Champagner nicht beginnen. Aber, abgesehen davon, bleiben wir bei der Sache. Du brauchst nur das Service umzutauschen. Ein einziger Gang! Wir können das sogar heute besorgen. Du holst mich vom Gerichte ab.“

„Ja, ja, Männchen, aber Mama wollte auch mit mir gehen. Ich hatte mit ihr verabredet, daß wir Beide zusammen –“

„Gut also, gehe mit Mama! Nur laß mich sehen, was Du gewählt, bevor Ihr Euch entscheidet.“

„Hm! Aber wenn nun nichts da ist, was uns besser gefällt? Ich dachte daran, überhaupt etwas Anderes zu wählen – Dinge, die uns noch fehlen – und in einem andern Geschäfte das Service zu kaufen. Du weißt, ich habe noch das Geld von Tante Emma, mit dem ich machen kann, was ich will.“

„Gewiß, einverstanden. Richte Alles ein, wie Du denkst, aber halten wir daran fest, daß wir heute die Einladungen ergehen lassen. Warte! ich will einmal aufschreiben –“

„Bitte, bitte, Ernst; noch nicht. Ich – ich kann nicht so rasch. Ich bin ängstlich – Du mußt mir das doch nachfühlen.“

„Schön! Wirst Du denn in vierzehn Tagen, sagen wir selbst in drei Wochen, weniger ängstlich sein? Nein, im Gegentheil! Es wird immer schlimmer werden. Was ist denn das, eine Gesellschaft geben, wenn man Dienstboten und Hilfe hat, wie Du! Bestimme, was geschehen soll, und lege Dich ruhig schlafen.“

„Du hast gut reden.“

„Aber, Kind, wie kann man so wenig muthig sein! Das ist doch gar nichts –“

„Wohl ist’s etwas. Es ist in unserem Hausstande noch lange nicht Alles, wie’s sein sollte. Zum Beispiel die Käseglocken –“

„Käseglocken? Was ist mit denen?“

„Guste hat doch eine von den Glocken zerbrochen. Wer weiß, ob wir eine solche wieder erhalten.“

„Leihe ein Paar von Mama.“

„Die sind so unschön, die passen gar nicht zu unserem Krystall.“

„Dann kaufe neue.“

„Erlaubst Du das?“

„Natürlich! wenn’s keinen passenden Ersatz für die zerbrochene giebt. Aber ich sollte doch denken –“

„Und Fischpastete sagtest Du! Wie kommst Du auf Fischpastete?“

„Weil’s gut schmeckt! Fisch mit Farce, Champignon- oder Kapernsauce. Das ist ein superbes Essen.“

„Hm! Das müßte ich mit Mama besprechen. Viele essen gar nicht gerne Fisch.“

„Dann wähle eine Hühnerpastete, ein Ragout – irgend Etwas.“

„Weißt Du, Ernst, ich denke, wir machen’s heute über vierzehn Tage. Bis dahin wird, denke ich, Alles in Ordnung sein. Du antwortest nicht? Bist Du ungehalten?“

„Ich schreibe die Namen auf. Präsident Koch –“

„Den Präsidenten gleich bei der ersten Gesellschaft? Bitte, Ernst!“

„Aber gerade! Den Präsidenten können wir gar nicht umgehen. Er ist die Hauptperson. Die Uebrigen hätten Zeit.“

„Mama meinte –“

„Laß nun doch einmal Mama aus dem Spiele, mein Herz! Wir Beide sind doch verheirathet und nicht Du und sie.“

„Das klingt wenig rücksichtsvoll, lieber Ernst.“

„Was?“

„So wie ich Mamas Namen nenne, wirst Du ungeduldig.“

„Durchaus nicht. Ich sprach ganz ruhig. Ich finde nur – und schon oft habe ich Dir das gesagt – daß Deiner Mutter Rathschläge sich nicht auf Dinge ausdehnen sollen, welche – welche – Du mußt doch endlich anfangen, selbst nachzudenken –“

„Das klingt, als ob ich ein Schulmädchen wäre. Früher fandest Du, daß ich Alles sehr gut, besser als Andere verstände, früher –“

„Liebe, kleine Frau! Wollen wir denn zanken? Deine vortrefflichen Eigenschaften würdigt Niemand mehr und besser als ich, aber in Hausstandsangelegenheiten –“

„Nun eben, Ernst. Ich muß doch erst lernen, und Niemand versteht’s wirklich besser als Mama!“

„Es mag sein, ich gebe zu. Aber bei Allem, was geschehen soll, höre ich das Wort: ,Mama!‘ Ich liebe dieses Echo nicht. Du weißt es, aber Du scheinst es nicht begreifen zu wollen.“

„Mit anderen Worten: Mama braucht unsere Schwelle nicht mehr zu betreten.“

„Welche Uebertreibung, liebe Bertha! Daß Ihr Frauen, sobald man Eurem Willen einen andern entgegensetzt, gar keine logische Mitte zu finden wißt. Ihr seid darin Alle, Alle gleich.“

„Vor einem halben Jahre sprachest Du noch anders! Da war ich Dein unvergleichliches kleines Mädchen, Deine weiße Schwalbe. Neben mir gab’s nichts in der Welt.“

„Gewiß! In der schwärmerischen Liebe ist man etwas überschwänglich. Man sieht die Dinge in einem andern Lichte.“

„Natürlich in einein falschen!? O pfui! Wie unzart ist diese nüchterne Erörterung!“

„Meine liebe Bertha! Sei doch nur sachlich und verständig. Rekapituliern wir, was vorliegt und was sich daraus ergiebt! Hörst Du?“

„Nein, ich mag nichts mehr hören. Ich bin so traurig, so traurig.“

„Jedenfalls ohne den geringsten Grund! Wir wollen eine Gesellschaft geben. Es ist die höchste Zeit, daß wir einmal von uns hören lassen. Ich schlage heute über acht Tage vor; Du erklärst, zwei Wochen Ueberlegung für eine Gesellschaft von höchstens achtzehn Personen zu gebrauchen, willst Erörterungen mit Deiner Mama, wendest mir ein, Du habest kein Service und keine Käseglocken –“

„O, o, diese Erwähnung – –“

„Keine Käseglocken. Ich widerlege Alles. Ich bitte Dich, endlich einmal selbständig zu werden, Deine vortreffliche, sonst sehr von mir verehrte Mama aus dem Spiele zu lassen, bitte Dich, überhaupt eine richtige Grenze zu ziehen, da Du diesen etwas wunden Punkt bei mir kennst. Und obgleich ich dies Dir ruhig und ohne Erregung vortrage, redest Du Dich in Zorn, wirfst mir ein verändertes Betragen vor und erklärst schließlich, Du seiest zum Sterben unglücklich.“

„Das Wort habe ich nicht gebraucht. Ich sagte, ich sei traurig, und das ist wahr! Seit den letzten acht Tagen bin ich tief betrübt. Ich fühle, daß ich Deine Liebe in dem alten Umfange nicht mehr besitze. Du bist weniger aufmerksam als früher, ergreifst jede Gelegenheit, mir recht vor Augen zu halten, wie unsympathisch Dir meine Mutter ist, und möchtest mich ihr ganz entfremden. Aber das, das wird Dir nicht gelingen. Meine Mama ist und bleibt –“

„Dein höchstes Ideal! Ja, ich weiß es. Und weil ich das weiß, weil ich diese zu starke Abgötterei von Deiner Seite und ihre Vormundschaft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_768.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)