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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 46.   1886.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Insel der Seligen.
Von Helene Pichler.
(Schluß.)


Was sie mit ihrem Gör wohl beginnt in dieser Wintereinsamkeit, die Weika? Das Gethu’ und Geschleck mit dem Mann hat fürs Erste ein End’. So bald läßt der Frost nichts los. Und wie der Mann wohl girrt und seufzt nach dem Weibchen! Hahaha, merkt er, wie’s thut? Darben? Entbehren? Stille doch! Wie die verdammte Hand zittert! Hm, die Flasche ist leer, aber ein guter Rest vom Besten muß noch irgendwo in der Ecke stehen. Der wird den Fingern Sicherheit geben. So, da ist er! –

Wie der Nordsturm heult! Man kann vor dem Gebrüll zu keinem festen Gedanken kommen. Wahrhaftig, schlimmer war’s nicht, als wir mit dem „Augustus“ eingefroren zwei Monate im weißen Meere festsaßen. Wollte, der Karle mit dem russischen Schoner säße auch fest – aber für ewig. Ewig! Ewig! Dummer Schnack! Sie wäre frei. Frei? Etwa für mich? Warum nicht? – – Wenn ich sie entführte? Mit Gewalt fortschaffte, weit, weit fort von hier, wo Niemand uns wieder auffände? Lustig müßt’s doch sein, den Karle zu sehen, was der für Augen machte, fände er sein Feinsliebchen ausgeflogen. Hahaha, der Spaß ist unbezahlbar!

Pfui, Oluf, ein Kerl wie du hat solche Gedanken? Der verfluchte Rum ist schuld, ja, ja.

Für heut’ muß es mit der Arbeit genug sein. Die albernen Buchstaben wackeln ja wie Verrückte auf den weißen Bogen umher, und in der Stube ist’s unerträglich heiß. Na, gehn wir noch einen Mundvoll frischen Athem holen.

Oluf wankte in die Winternacht hinaus. Ueber ihm glitzerten die Sterne, und der eisige Wind sauste um sein Haupt, ohne ihm Erfrischung zu bringen. Am südlichen Horizont stand eine Nebelbank, die dem Kundigen nahe bevorstehenden Wetterumschlag hätte prophezeien können. Oluf sah und fühlte nichts von Kälte oder Wetteranzeichen; er fühlte nur das Klopfen seiner wildjagenden Pulse und hörte nur die begehrlichen Stimmen in seinem Innern.

Wie hübsch der Lichtschein aus dem Fenster auf die glänzende Schneekruste fällt! Will doch schauen, wie es Karle’s „theurem Eigenthum“ ergeht.

Der Unglückliche schob seinen Körper den Schneewall hinauf und legte sein brennendes Gesicht an die Scheiben von Weika’s Stübchen. Gleich darauf erlosch drinnen das Licht. Von Angst und Schrecken gefoltert, wankte die junge Frau ins Schlafgemach, wo sie mit Singen und Schluchzen den kleinen Ede zu Bett brachte. Der Knabe streichelte der Mutter Wangen; ahnungsvoll fühlte sein Kinderherz, daß nicht Alles in Ordnung, und er tröstete wieder: „Laß nur sein, Mutter, bald kommt der Vater.“

Die Erwähnung des Vaters, des Vaters ihres Kindes, trieb Weika unaufhaltsam die Thränen in die Augen. Sie hätte sich mögen recht herzhaft ausweinen. Doch als das Kind in der Mutter Augen Thränen sah, mußte es mit weinen. Nun schluckte das geängstigte Weib die Thränen mühsam hinunter, damit nur das Kind


Grenadiere Friedrich’s des Großen bei Mollwitz.
Aus Adolf Menzel’s „Illustrationen zu den Werken Friedrich’s des Großen“.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_805.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2021)