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Ihre Specialität sind die Ausverkäufe, Versteigerungen und die sogenannten „Gelegenheitskäufe“. Liest oder hört sie von einem solchen, dann wirkt das auf sie wie ein paar Flaschen feurigen Weines. Sie ist berauscht, sie ist toll, sie kauft Schundwaare für theures Geld, glücklich so billig gekauft zu haben, oder sie erwirbt alles mögliche unnütze Zeug und geht dann ganz selig nach Hause.

Das Sparen ist eine Kunst, zu der man ein gewisses Talent mitbringen muß, die man aber auch mit einer sehr bescheidenen Begabung erlernen kann, wenn man den guten Willen dazu hat und sich nicht thöricht die Augen selber blendet. Sparen heißt nicht billig kaufen und seine Bedürfnisse einschränken, sparen heißt Augen und Ohren offen halten, sich jeden Wink, jede Lehre, jede Neuerung zu Nutze machen, nur das anschaffen, was nöthig ist, und dabei weniger auf das „billig“ als auf das „gut“ achten, vor allem aber heißt sparen: Alles was man besitzt oder erwirbt bedächtig bis aufs Aeußerste ausnützen und nichts zum Schornstein und zu den Fenstern hinausfliegen lassen. Wenn Männer und Frauen in diesem Sinne sparen, dann wird die sociale Frage, die gegenwärtig so schwer durch alle Lande wankt, gleich um ein Stück leichter werden, und das Stück wird um so mehr in Betracht kommen, als es sich bei dieser socialen Frage zur Zeit auch schon um einen Theil des Mittelstandes handelt. Dieser aber kann sich sehr leicht selber helfen – durch vernünftiges Sparen!


Blätter und Blüthen.

Eine vergessene Jugendschriftstellerin. Auch auf dem Gebiete der Jugendlitteratur wechselt die Mode, und es lösen sich die Herren und Damen ab, welche die Kleinen zu sich kommen lassen. Es gab eine Zeit, wo Agnes Franz auf diesem Gebiete so vielgenannt und beliebt war, wie etwa jetzt Ottilie Wildermuth. Doch obwohl Agnes Franz, die auch als Dichterin und Romanschriftstellerin auf dem Büchermarkte erschien, erst im Jahre 1843 starb, so sind doch ihre einst so beliebten Jugend- und Kinderschriften jetzt durch einen zahlreichen Nachwuchs verdrängt worden. Glücklicherweise traf es sich, daß sie in Breslau längere Zeit mit Gustav Freytag, der damals Privatdocent war, in einem Hause wohnte, und dieser berühmte Autor hat in den „Erinnerungen aus seinem Leben“ seiner Hausgenossin einige der anziehendsten Seiten seiner Selbstbiographie gewidmet.

„Von Aussehen war sie ein ältliches, verwachsenes Fräulein mit einem etwas großen Kopf und etwas kurzem Hals; sie trug eine schwarzseidene Mantille mit Krausen, welche leise und geisterhaft raschelte, wenn sie in Bewegung gerieth. Eine Schwester hatte ihr auf dem Todtenbett vier kleine Waisen vermacht, welche ihre Familie bildeten; sie bewohnte daher drei Treppen hoch eine Kinderstube und eine gute Stube, die als Salon betrachtet wurde. Ein großes Mansardenfenster mit Epheu umzogen, ein altes Fortepiano, ein Bücherschrank und ein kleiner Schreibtisch gaben dem bescheidenen Raum ein wohnliches und poetisches Aussehen. In der Stube erzog sie die Kinder und empfing ihre Freunde beim Thee. Mochte sie aber thun, was sie wollte: es lag sehr viel Frieden, Freude und Seligkeit auf ihrem gar nicht hübschen Gesichte. Auch wenn sie weinte, sah sie zufrieden und glücklich aus. Und was merkwürdig war, wer in ihre Nähe kam, gerieth in eine ähnliche zufriedene Stimmung. In der Stube roch es durch das ganze Jahr nach Wachsstock und Tanne; die Bretzeln auf dem Teller hatten ein so schlaues Aussehen, eine Zauberbrille, die man nur auf die Nase zu setzen braucht, um Elfen tanzen zu sehen, und man mußte sich sorgfältig hüten, irgend etwas, das an irgend einem Orte lag, anzusehen, weil man zu befürchten hatte, daß es ein kleines Geschenk sei, welches die Freundin bis zum rechten Augenblick versteckt hielt.

„Ich untersuchte auch gern ihren Büchertisch, auf dem um Weihnachten die neuen Kinderbücher aufgethürmt standen, welche ihr gefällige Freunde und Buchhandlungen zugesandt hatten. Noch fehlte sehr der Bilderreichthum und die schöne Kunst, woran sich unsere Kinder freuen sollen; aber die Erzählungen und spielenden Nachbildungen echter Märchen waren nicht viel anders, als sie jetzt in der Mehrzahl sind. Doch alle kritischen Bedenken mußten schweigen gegenüber der frohen Wärme, mit welcher die Freundin ihre Schätze vorzeigte, vornehme Kinderschriften von starkem Leibchen mit schönem bemalten Mantel und arme dünne Bettelmannsbüchel mit grauem Papier und undeutlichen Holzschnitten. Noch gab es in ihrem Bücherhaufen rothkämmige Hähne, welche Groschen auskrähten; unartige Jungen fuhren auf Kähnen oder kletterten auf Bäume oder neckten böse Hunde, bis sie zum warnenden Beispiel für ihr Jahrhundert ins Wasser fielen, Beine brachen und gebissen wurden; artige Mädchen spielten mit ihren Puppen, während sich rothe Bänder in kühnen Windungen um die weißen Kleider schlängelten; schwarze Köhler verwandelten sich in gute Berggeister, welche hungernden Eltern goldene Aepfel bescherten: unbegreiflich und höchst überraschend wurde die allerverborgenste Tugend an das hellste Licht gebracht und das kleinste Unrecht auf das Allergenaueste bestraft. Und wie verständig und wohlwollend benahmen sich selbst die Thiere jeder Art! Was der Hund sagte und der Frosch erzählte, was das Rothkehlchen erlebte, und das Pferd gegen das Zebra äußerte, es war Alles unglaublich verständig und gebildet. Sogar die Figuren ihrer Märchenwelt! Viele Prinzen in rothen Sammethosen bestanden Abenteuer, in denen jeder Andere stecken bliebe; ihnen aber war die Sache Kleinigkeit, weil sie unermeßlich tapfer waren und vortreffliche Zauberhilfe hatten. Was konnte uns der gräuliche Drache mit seinem feurigen Maul ängstigen oder der schändliche Oger, welcher sich bemüßigt sah, kleine Kinder zu fressen! Wir wußten recht gut, daß diesen Bösewichtern zuletzt von unseren Lieblingen der Kopf abgeschlagen wurde. Vollends die kleinen braunen Männchen und die Feen und die guten Zauberer! Wie freundlich sie hin- und hertrappelten, wie sie mir gerade zur rechten Zeit erschienen, welche nützliche Geschenke sie zu geben wußten, kleine Nüsse, in denen ungeheure Zelte steckten, und wandelnde Stecknadeln, welche selbständig den Feind in die Beine stachen. Eine solche Fee war die Fränzel selbst, die gute Frau Holle in ihrer kleinen verkrausten Geisterwelt.“

Und nach dieser schalkhaft anmuthigen Plauderei mit dem eigenartigen Gepräge der Freytag’schen Muse widmet der Dichter seiner Hausgenossin noch einen rührenden Nachruf: „Gute Freundin! Deine Bücher für Kinder sind von vielen vergessen, Du selbst schläfst seit Jahren den ewigen Schlaf, doch wie auch die Gegenwart unsere Seele in Anspruch nimmt, wenn Weihnacht herankommt, der Schnee an den Fenstern hängt und die Klingel die Gegenwart des Christkindes meldet, dann wenigstens werden die Alten, die Dich geliebt haben, Deiner gedenken!“ †      

Prinzessin Andiguilla. Wer sollte es glauben, daß es auch im Lande der Menschenfresser politische Damen giebt? Darüber berichtet Alexander Freiherr von Hübner in seinem eben erschienenen Reisewerk „Durch das Britische Reich“ (Leipzig, F. A. Brockhaus). Wir begleiten ihn auf seinen Weltwanderungen auch auf die Fidschi-Inseln, auf die sehr kleine Insel Mbao, wo der einst so mächtige, jetzt entthronte Häuptling Takumbau bis zu seinem Tode 1882 seinen Wohnsitz hatte: er galt fast für den König dieser Inseln, zur Zeit, als die Menschenfresserei hier im Schwange war. Seine Tochter, die Prinzessin Andiguilla, war seine Vertraute und Rathgeberin; sie galt für eine politische Frau voll Verstand und Witz und ist noch jetzt sehr beliebt im Lande. Unser Reisender machte ihre Bekanntschaft, als sie gerade eine Kunstleistung producirte, die sonst bei Fürstlichkeiten nicht üblich zu sein pflegt: sie wirkte in einem von den vornehmen Damen des Stammes ausgeführten Hof- und Staatstanz mit, und sie fiel dem Reisenden in den Reihen dieser Tänzerinnen alsbald auf durch ihren hohen Wuchs, ihre stattlichen Formen, die gebieterische Haltung und den angenehmen und geistreichen Ausdruck ihrer Physiognomie. In Europa hätte man das ganze Schauspiel eine Galavorstellung genannt: tiefes Schweigen herrschte in diesem Parterre von kleinen mediatisirten Königen, von Häuptlingen, die zu Präfekten umgewandelt wurden, von Höflingen, welchen der Kammerherrnschlüssel sehr gut passen würde, könnte man ihn an ihrer glatten, wohlgeölten Haut befestigen. Ihre Bravorufe erschallen in der Regel nur in Augenblicken, wo die Habitués unserer Opernhäuser, Terpsichorens feine Kenner und Verehrer, Beifall klatschen würden. Die vornehmen Tänzerinnen tragen das vorschriftsmäßige Hemd, welches bis über das Knie herabfällt, und darüber die alte Tracht: einen Streifen von buntem Kaliko um die Lenden und als Gürtel, und um den Hals Kränze und Gehänge von Blumen, Blättern und Wurzelfasern.

Die Reisenden machten einen Besuch bei der Prinzessin Andiguilla, durchschritten die Stadt, kletterten über die Hecken, wandelten im Schatten hundertjähriger Mangroven, indischer Feigenbäume, des Brotfruchtbaumes; die Büsche, durch die sie oft den Weg sich bahnen müssen, prunken mit ihren vielfarbigen Sammetblättern, im Schmucke ihrer Blumen: scharlach, rosa, blaßgelb, lila, himmelblau. Mitten in dieser Pracht der Tropenvegetation fehlen aber nicht die unheimlichen Erinnerungen an die erst vor Kurzem abgeschlossene Epoche der Menschenschlächterei. Im Schatten eines ungeheuren indischen Feigenbaumes stehen zwei große Felsplatten senkrecht neben einander. An diesen Steinblöcken wurden die Opfer zerschmettert, ehe ihr Fleisch auf der Tafel des ehrbaren Takumbau erschien. Zwei Männer faßten den Unglücklichen je bei einem Arme und Beine, versetzten ihn in Schwingungen und schleuderten ihn sodann, den Kopf voran, gegen die Blöcke. Dieser so idyllische Ort war nichts Anderes als die Menschenfleischbank.

Der Palast oder vielmehr die Kabane der Prinzessin Andiguilla, die sich früher an den Festmahlen ihres Vaters betheiligt hat, unterscheidet sich von den Hütten der gewöhnlichen Fidschier nur durch etwas mehr Höhe und durch einen Zierat von weißen Muscheln am Ende des nach außen vorragenden großen Dachbalkens. „Es ist dies,“ sagt Freiherr von Hübner, „ein Privilegium der Mitglieder der königlichen Familie. Bei unserer Ankunft waren einige Mägde, wahrscheinlich unserem Besuche zu Ehren, mit Klopfen und Reinigen der Matten des Hauses beschäftigt. Die Prinzessin kauerte am Boden, das Kinn auf ihre Kniee gestützt, den Rücken an einem Mittelpfeiler gelehnt. Sie war in traulichem Zwiegespräch mit einem alten Kuli begriffen und begrüßte uns, ohne übrigens ihre bequeme Stellung zu ändern, mit zahllosen Händedrücken und einem wiehernden Gelächter. Aber obgleich sie nichts trug als ein blaues Hemd, und ein solches Négligé einer außergewöhnlich beleibten Dame nicht vortheilhaft sein konnte, sah sie doch entschieden vornehm und beinahe schön aus. Besonders gefiel mir ihr lebhafter durchdringender Blick. Sie ist Wittwe und Mutter einiger Kinder. Ich sagte ihr, der Wahrheit gemäß, daß ich sie am Ballplatze, ohne sie früher gesehen zu haben, an ihrem fürstlichen Aeußeren erkannte. Dies Kompliment schmeichelte ihr über die Maßen, und Mr. Longham mußte es ihr mehrmals wiederholen. Am Ende des Besuchs kletterte auf ihr Geheiß ihr Sohn, ein hübscher, etwa zehnjähriger Knabe, in den Dachraum, um Orangen zu holen, welche sie uns hierauf, unter einem neuen Lachanfall, zuwarf. Sie fand es offenbar entweder sehr unterhaltend oder sehr lächerlich.“ †      

Der Bauernphilosoph. (Mit Illustration S. 849.) Kein kühleres Plätzchen giebt’s an einem heißen Sommertage, als die Stube im Dorfwirthshaus; dort liegt auch ein Faß auf der Schenkbank, und aus diesem Fasse zapft der Wirth so klaren, frischen Trunk heraus, daß man seine Freude daran haben muß. Man darf nicht glauben, es seien lauter Schlemmer zur ungewohnten Zeit hier beisammen; es hat der Reiterbauer heute ein kleines Geschäft mit dem Löb Meier gehabt, und zum Abschlusse des kleinen Geschäftes gehört auch ein kleines Glas; der Bauer trinkt’s, weil das Geschäft ihm den Anlaß dazu giebt, der Andere, weil’s der

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