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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Der Hund – der Männe, unser Männe –! Ich weiß es! Es hat Dich jahrelang geschmerzt, daß ich ...“

Ich strich ihr über das weiche Haar. „Laß gut sein, Gretchen, es ist Alles vergessen in – dieser Stunde!“

Eben drängte er sich durch den schmalen Spalt der Thür und lief herüber zu mir. „Guter braver Kerl, sei bedankt!“

Er stand wedelnd vor uns und sah uns abwechselnd an, als wollte er sagen: „Was habt Ihr närrischen Menschen: ich that einfach nur meine Hundepflicht.“

So saßen wir schweigend am Bettchen des Kindes, lange; der Männe lag auf meinem Schoß, wie in vergangenen Tagen.

Fröhliche selige Christnacht senkte sich über die Erde und redete zu uns von Liebe und Frieden. Fest umschlungen hielten sich unsere Hände in echter Weihnachtsdankbarkeit. Ja, Liebe und Frieden über der weiten großen Welt, Liebe und Frieden in der engen Welt unseres Hauses.

Merkst du, wie süß sie walten? Wann haben wir uns je so treu in die Augen gesehen, mein Gretchen und ich? So sonder Schatten, sonder Bitterkeit?

Und auch du, kleiner schwarzer Gesell, auch du hast theil an diesem Frieden. Du wirst nicht mehr frierend und hungernd auf der Schwelle sitzen und mich anschauen mit dem rührenden fragenden Blick der stummen mißhandelten Kreatur – nie mehr!

Leise tickt die Uhr, leise rauscht die Goldfahne des Tannenbaumes: und leise athmet unser geliebtes Kind. Bleibt bei uns, Liebe und Frieden immerdar!




In der Sylvesternacht.

Nichts wissen die Gestirne droben von dem irdischen Jahre, von den Merkzeichen, welche der Mensch ihnen abgelernt hat ... wir richten den Blick empor zu den Milchstraßen, zu den fernen Sonnen, für deren langsame Fortbewegung in unbekannte Regionen des Himmels Jahrhunderte und Jahrtausende ein allzu kleines Zeitmaß sind. Und doch kehrt der Blick, vom Schwindel der Unendlichkeit befangen, wieder zur Erde zurück; denn dort oben mag das Fernrohr des Astronomen lange Nächte hindurch verweilen, um die Wunder des Himmels zu ergründen: das unbewaffnete Auge muß, vom Glanze des Himmels geblendet, bald wieder auf den Gestalten der Erde ausruhen, die unser heimathlicher Boden ist und uns festhält, mit unserem ganzen Sein, Denken und Fühlen! Und da ist die Jahreswende ein wichtiger Zeitabschnitt. Mit jeder Sekunde zwar schließt eine Vergangenheit, beginnt eine Zukunft; aber das geschieht unmerklich im Fluß der alltäglichen Dinge; nur einmal wird die Grenze zwischen dem einen und andern Tag, welche zugleich die Grenze zwischen dem scheidenden und dem kommenden Jahr ist, von Allen erwartet, von Allen gefeiert, und ein banger freudiger Herzschlag harrt dem Schlag der Mitternachtsglocke entgegen.

Dort durch den Schneenebel schimmern die Laternen … nicht bloß an diese und jene feste Stelle ist der helle Schein gebannt; hin und her wie Irrlichtertanz bewegen sich die schimmernden Punkte; es sind die Laternen der Equipagen, welche zu den festlich erleuchteten Villen und Prunkgebäuden fahren, um die geladenen Gäste zur Heimfahrt abzuholen. Da rauscht die Ballmusik, da wird in das Neue Jahr hineingetanzt und gejubelt; und über dem wilden Galopp, über den Touren des Kontretanzes, über den Knixen der Quadrille à la cour vergißt man, daß diese Nacht von anderen Ballnächten sich unterscheidet. Da … ein Wink, ein plötzlicher Halt … der Minutenzeiger der Stadtuhr nähert sich der mitternächtigen Ziffer; die Bowlen leeren sich … die Gläser füllen sich! Athemlose Stille … die schadenfrohen Geisterchen der Sylvesternacht kichern in allen Winkeln: denn die Schönen, welche dem Neuen Jahr ihre Huldigung darbringen wollen, haben wenig von dem feierlichen Ernst, den der Augenblick verlangt! Sie sind vom Tanz erschöpft, athemlos … hier und dort ist ein Löckchen aufgegangen, eine Schleife zerknittert, ein Sträußchen zerdrückt! Da tönt der Glockenschlag … die Gläser klingen zusammen! Man wünscht sich Glück … wandelt es hier nicht leibhaft umher in luftigen Gewändern? Vielsagende Blicke werden getauscht – und im Spiegel glaubt jedes schöne Kind, wenn es sich selber erblickt, eine Braut zu sehen. Und nicht Unrecht hat der ahnungsvolle Engel, wenn ihn ein goldner Fittich von Millionen trägt. Es werben um sie die Freier des vergangenen Jahres; das künftige lockt neue herbei, die schon jetzt mit sehnsüchtigen Augen ihre Beute verschlingen. Die arme Magd draußen in der Küche sucht aus dem Bleiguß die Gestalt des künftigen Bräutigams herbeizuzaubern: hier steht der Bräutigam von Fleisch und Blut … nicht einer, sondern einer neben dem andern! Dort aber, der junge Kavalier, der an die Säule lehnt … er harrt so stolz und selbstgewiß, bis die thörichten Jungfrauen ihr Lämpchen angesteckt haben, um ihn zu schauen … denn er ist ein junger Krösus, und bald raschelt’s um ihn von knitternden Gewändern, von Grazien, welche ein süßes Lächeln auf ihre Lippen heften, um ihm ein glückliches neues Jahr zu wünschen, und nicht wie Faust braucht er hinabzusteigen ins ewige Dunkel, um die Mütter aufzusuchen; denn die Mütter kommen hinter den Töchtern, um mit ihm anzustoßen, und sie haben dabei etwas Ahnungsvolles und Geheimnißvolles, als wollten sie mit dem Zauber des klingenden Glases den jungen Millionär in einen Schwiegersohn verwandeln. Dort aber im Schatten der Epheulaube stößt ein junges Paar an mit heimlichem Einverständniß, in seliger Liebe, von der noch „Niemand nichts weiß“. Hier wird angestoßen aufs Steigen der Papiere, dort auf den Ordensstern, der bereits am Horizont aufleuchtet. Und nun wieder rauschende Mnsik, welche alle diese Wünsche in ihrem Schoße begräbt. Das Alte Jahr hat seine Arbeit gethan, das Alte Jahr kann gehen; aber das Neue beginnt mit demselben Taumel, mit welchem das Alte schied!

So geht’s bei den Glücklichen zu … die Unglücklichen aber hören im entlegenen Häuschen, an wegloser, schneeverschütteter Stätte, den dumpfen Klang, der durch die Lüfte zittert. Zwölf Uhr … sie falten die Hände! In der Wiege liegt ein krankes Kind … das Neue Jahr soll ihm die segnende Hand aufs Haupt legen. Sie falten die Hände ... sie haben noch mehr auf dem Herzen. Arbeitslos ist der Mann; o, geb’s ihm ein freundlich Geschick, daß er sich wieder rühren darf, um den Seinen Brot zu schaffen. Sie haben das Fenster geöffnet, um den fernen Schlag zu vernehmen: doch draußen ist’s kalt und unheimlich; ein Schneewind weht und mit seinen Eisnadeln stickt er Blumen an die Fensterscheiben. Sie schließen wieder das Fenster; sie betten sich zur Ruh, ohne einen Schimmer des Trostes, der Hoffnung … und wenn sie aufwachen, da ist das Zimmer düsterer als sonst … von den Eisblumen, den einzigen, die ihrem lenzlosen Leben blühen.

Ein anderes, aber freundliches Bild gewährt uns die glückliche Mitte zwischen den Reichen und Armen! Da sitzt der schlichte Bürger, sicher seiner Arbeit und seines Erwerbes, am Familientisch mitten unter den Seinen. Der älteste Sohn, die Stütze seiner gewerblichen Thätigkeit, auf dem das Auge der Mutter mit stiller Freude ruht, das Töchterchen, dem eine schüchterne Liebeshoffnung die Poesie im Herzen geweckt hat und das ein herziges Liedlein zum Neuen Jahr mit etwas lahmen Versen aufs Papier wirft, der jüngste Sprößling, der, mit dem Köpfchen auf den Armen, eingeschlummert ist, da das Neue Jahr zu lange

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 908. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_908.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2020)