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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

unbekannte, für denselben unmögliche billige Tabakssorte, die „Machorka“, welche auf den Feldern des südlicheren Rußlands gedeiht. Oder aber er schmaucht vergnüglich die letzten Züge aus dem Endchen eines „Papiros“, welches von dem eleganten Flaneur bei Seite geworfen wurde und von ihm sorgsam aufgehoben und aufbewahrt wird. Seltener schon raucht er aus einem kleinen messingenen Pfeifenkopf, wie unsere Skizze es zeigt. Der vielverbreitete, in Rußland unentbehrliche Samowar, die Theemaschine, gehört auch für Individuen, wie sie des Künstlers Griffel wiedergiebt, nicht gerade zum seltenen Luxus; der Theegenuß wird in Rußland ein immer allgemeinerer, und unser Muschik, der sich mit seinen Genossen behaglich um den Samowar reiht, wird gar gern nicht nur ein halbes, sondern ein ganzes Dutzend Gläser oder Schalen des dampfenden „Tschai“ schlürfen.

Beim Samowar.

Kamarinskaja.

Ganz regelmäßig pflegt der gemeine Russe die Woche mit einem Dampfbade zu beschließen, und so sehen wir unsern Muschik auf einer der Skizzen aus dem Bad kommend noch mit einem Bündel von Birkenruthen bewaffnet, mit denen er sich den mit Seifenschaum bedeckten Körper zu peitschen und zu frottiren pflegt. Eine Sitte, welche den niederen Ständen in Deutschland trotz ihrer hygienischen Vorzüge leider ganz unbekannt ist.

Ein anderes Bild führt uns die Stellung und Bewegungen des Muschik beim Kasak und Tropak vor, jenen originellen Nationaltänzen, die sich in dem Tanze Kamarinskaja vereinigen und für den gemeinen Russen den Inbegriff aller Lust bilden.

Das letzte Bild zeigt uns ein durchaus realistisch wiedergegebenes Interieur einer Bauernstube oder Schenke, wo ein Muschik in schwerem Schlafe auf einem Ofenungethüm ausgestreckt liegt.

Nach dem Bade.

Eine warme Schlafstätte.

Wenn uns auch der Künstler getreue und äußerst charakteristische Typen, die den russischen Städten eine ganz eigenartige Physiognomie geben, in seinen Bildern vorführt, so würde man sich doch irren, wenn man aus ihnen auf die Allgemeinheit schließen wollte. Es ist im Gegentheil darauf hinzuweisen, daß das russische Volksleben anziehenderer und ästhetischerer Motive nicht entbehrt, und daß wir vielmehr nur eine jener wenig sympathischen, aber doch häufigen Gestalten aus der niedersten und armseligsten Volksschicht vor uns sehen. Ein Stück socialen Elends, welches für Rußland so gefahrdrohend wird, ist in dem Leben des Muschik enthalten, welcher nur die harte Arbeit und die groben Genüsse des Lebens kennt. Sein Dasein ist ein Vegetiren, welches eben nur durch die Aufregungen des Branntweingenusses erträglich wird. Lehrt nun die Statistik, daß die westeuropäischen Länder zum Theil mehr Branntwein konsumiren als Rußland, so ist doch der Genuß desselben im Westen und Osten ein grundverschiedener. Der deutsche Arbeiter z. B. wird täglich ein bestimmtes kleineres Quantum Branntwein zu sich nehmen; der russische wird vielleicht eine Woche, ja nach Umständen einen Monat nüchtern bleiben, um sodann sich im Uebermaß, tagelang bis zur Sinnlosigkeit zu betrinken, und eben hierin liegt das unbedingt Schädlichere. In dieser Hinsicht nähern sich die russischen Verhältnisse gewissermaßen den seltenen Ausnahmen in den westeuropäischen Staaten. Auch in Holland giebt es einige wenige Distrikte, wo die Erdarbeiter zur Zeit der Kanal- und Dammbauten den Branntwein als Lohn verlangen und in ungeheuren Mengen trinken. Die russische Regierung arbeitet dem Uebel trotz der großen Einnahme, die sie aus dem Branntwein bezieht, mit aller Kraft entgegen, die Schädigung der Nationalwohlfahrt durch dasselbe sehr wohl erkennend. Sie hat noch kürzlich die Schenken um 80 000 im Reiche vermindert. Ebenso giebt es Gutsbesitzer, welche auf 10 Werst im Umkreise die Schenkgerechtigkeit erwerben, eine Branntweinschenke nicht gestatten und durch diese Maßregel die Pflege der Landwirthschaft und die Wohlhabenheit des Bauern ersichtlich heben. Und so darf von der Zukunft die Eindämmung der Branntweinpest in Rußland, die dem gewaltigen Reiche unberechenbare Nachtheile bringt, wohl erwartet werden.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_044.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2023)