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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auf. Nein! das war keine von den Volksweisen dieser Gegend; eine andere Weise war es, die zu ihr herauftönte – eine bekannte Melodie war es, die all ihre Kindesträume wieder erweckte: so sangen, in den mondbeleuchteten Nächten, die Jünglinge unter der Geliebten Balkon, in ihrer Vaterstadt, in Palermo! – und lauschend und bebend sprang Speranza an das Fenster. Näher und näher kam das Singen, an des alten Letterio’s Haus zog es vorüber, drei Männer waren es, wie die Hirten der Berge gekleidet, das Haupt mit der kalabresischen Mütze bedeckt. Langsam schritten sie ihres Weges, den trippelnden, schwerbeladenen Eseln nach. Siehe! jetzt hielt die Schar vor Letterio’s Thür. Ein schwerer Sack war von dem Rücken eines Esels zur Erde geglitten. Der Gesang verstummte.

„Eh! Letterio!“ rief Einer der Männer, „der Riemen ist zerrissen, komm heraus und hilf uns!“

Und während sie dort herumarbeiteten, hub das Singen wieder an – ja! und das waren palermitanische Laute! das war ein palermitanisches Lied! Eine Volksweise war es, welche sie kannte, ein altes Volkslied, mit seiner so ergreifenden, langgedehnten, halb klagenden, halb jauchzenden Melodie, und mit der seltsamen Wiederkehr des Anfangs- und des Schlußreimes; so alt, so bekannt – und doch schien es ihr, als seien es andere Worte, die der fahrende Sänger zwischen Anfang und Schlußreim hineingefügt hätte:

„Es blühet im Laube der rothe Oleander! Es lebt sich still im ruhigen Thal, die Mädchen tanzen im Mondenschein, und lustig schwirrt die Guitarre dazu. Marianina, Marianina, was sagst Du zu meinem Sang?[1]

Es blühet im Laub die Orangenblume! Der Ritter denkt an seine Schöne, an den Schwur der Liebe, die sie ihm geschworen. Ach! Ninetta, ach! Ninetta, was sagst Du zu diesem Schwur?

Es blühet im Grase das blaue Veilchen! Ich warte, ich warte auf meinen Ritter, einsam wart’ ich, in enger Zelle, und die Seine bin ich in Ewigkeit! Ach! mein Ritter, ach! mein Ritter, was sagst Du zu diesem Schwur?

Ja, blühe im Grase, mein blaues Veilchen! Und so tief sie Dich auch im Laube versteckt, ich finde, ich finde Dich wieder hervor, und mit mir ziehest Du morgen schon fort! O Blandina, o Blandina, was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Hinter ihrem Fenster sank Speranza in die Kniee, als sie ihren Namen im Liede hörte.

… „Es blühet die Rose tief unten im Thal! Wenn morgen die Dämmerung das Thal umhüllt, ertönet Hufschlag vor Deiner Thür. Den Brautkranz flicht dann in Dein Haar, und öffne die Thür, denn die Liebe klopft an. Ach, Ninetta, ach! Blandina! was sagst Du zu diesem Schwur?

Es blüht auf dem Berge das Heidekraut! Und hörst Du mein Singen und willst Du mir folgen, wenn morgen das Ave Maria erschallt, so gieb mir ein Zeichen von hohem Balkone, so wirf eine Blume in des Sängers Hand! Marianina! Marianina! was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Zu dem Kloster hatte sich der Sänger hingewandt, leise spielten die Saiten seiner Guitarre die Melodie weiter. Da lehnte eine weiße Hand über das Gesimse, und ein Strauß von blühendem Heidekraut fiel hernnter.

… „Es blühen Oleander und Rosen und Veilchen! Es blühet das weiße Heidekraut! Jede Blume aus Deiner Hand ist Blume der ewigen Liebe; jeder Schwur aus Deinem Mund ist ewiger Liebe Schwur. Blandina, Ninetta, Marianina, was sagst Du zu diesem Schwur? …

„Glückliche Reise!“ rief der alte Letterio den abziehenden Männern nach.

„Die Madonna behüte Dich!“ rief es fröhlich zurück, und eine Hand voll blinkender Silbermünzen fiel in des Alten Hut.

Und um die Ecke des Klostergemäuers tönte das leise verhallende Singen:

… „Es blühen alle Blumen auf Berg und Thal! Wenn morgen das silberne Glöckchen verklingt, erwarte den Ritter vor Deiner Thür! Wir reiten hinaus ins rosige Licht; wir reiten hinaus ins Morgenroth, in das Leben hinaus, in die ewige Liebe! Ach! Blandina, ach! Blandina! was sagst Du zu diesem Schwur?“ …

Vom hellen Mondlicht umleuchtet, das Antlitz in ihrem Kissen vergraben, die Hände über ihrem Haupte zu dem Bilde der Madonna hinaufgefaltet, lag Speranza auf den Knieen.

„Barmherzige Madonna! Du hast ihm den Weg gewiesen! Du weißt, daß ich ihn liebe. Du weißt aber auch, daß ich Deinem Willen unterthan bin! Darf ich ihm folgen, morgen, wenn er an meine Thür klopfen wird? Entbindest Du mich des Gehorsams, den ich meinem Vater schulde? In Deine Hände befehle ich meinen Willen, gieb mir ein Zeichen, morgen, o Madonna, und Deinem Zeichen werde ich gehorchen wie ein williges Kind!“




Die Sonne war noch nicht über Kalabriens Berge heraufgestiegen, als an Letterio’s Thür geklopft wurde.

„Oeffne, Letterio! ich bin’s, Schwester Josefa! Einen Auftrag mußt Du bei der Oberin besorgen. Setze Dich auf Deinen Esel, reite zum Kloster und sage der Frau Aebtissin, ich schicke Dich zu ihr, in zwei Tagen sei das Fest der Madonna, da werde eine Menge Volks heraufströmen. Wie soll ich dann die Schwester Speranza bewachen? Wäre es nicht besser, sie kehrte in das Kloster in der Stadt zurück, wo sie sich in sicherem Gewahrsam befände?“

Der Alte schwieg und sattelte langsam seinen Esel.

„Sie fangen ja jetzt schon an mit ihrem Singen und Lärmen,“ fuhr Schwester Josefa fort, „und wenn bis spät in die Nacht die Guitarren erklingen und die Tamburins zur Tarantella rasseln, was soll aus Schwester Speranza werden. deren junges Herz noch von der Welt und ihren Freuden umgarnt ist? … Ich hörte ja genau, wie sie gestern bei dem leidigen Singen, ihre Ruhe nicht zu finden vermochte, und wie sie weinte und laut zur Madonna betete!“

Sie hielt einen Augenblick inne.

„Und dann?“ hub sie wieder an, „weiß ich denn, was all dies Singen bedeutete und weiß ich, ob man ihr nicht nachstellt, und ob man ihr nicht ein Zeichen geben wollte, und ob nicht …“

Plötzlich trat Nino vor sie hin.

„Ein Zeichen?“ rief er; „von wem?“

Verwundert schaute Josefa den Knaben an; zu einem höhnenden Grinsen verzog sie ihren zahnlosen Mund.

„Ei, Du einfältiges Kind!“ rief sie ihm zurück, „was mischest Du Dich in Dinge, die Dich nichts angehen? Du siehst ja wahrlich aus, als wärst Du schon eifersüchtig! Da kämest Du an den Rechten. wenn Du es mit Jenem aufnehmen wolltest, um dessentwillen Schwester Speranza in diesem Kloster weilt!“

In Nino’s Augen leuchtete ein unheimlicher Blitz auf. Er stand im Begriff zu antworten, als sein Vater sich zu ihm wandte und kurz befehlend zu ihm sagte:

„Mache Dich aus den Weg, Nino! Ich sagte Dir es gestern schon; meinem Gevatter über den Bergen drüben führst Du die große, weiße Ziege zu; er hat sie mir abgekauft. Der Weg ist weit; vor Sonnenuntergang erreichst Du seine Hütte nicht, Du bleibst bei ihm über Nacht und kehrst morgen zurück. Spute Dich!“

„Ja, zum Feste bin ich aber wieder hier!“ rief ihm Nino im Tone einer wilden Herausforderung zurück.

Der Vater schwang sich auf einen Esel und trabte eilig der Stadt zu. Vor Speranza trat aber Schwester Josefa:

„Speranza,“ sagte sie, „zum Träumen ist heute keine Zeit! Rasch hole die Teppiche und die Altardecken hervor; auch die Fahnen und die alten kostbaren Vorhänge. Uebermorgen ist das Fest der Madonna, und heute noch muß Alles bereit stehen, denn heute Abend noch kehrst Du in die Stadt zurück! So lange das Fest dauert, kann ich Dich hier draußen nicht brauchen. Dort bist Du besser aufgehoben … es ziehen zu viel nächtliche Sänger in dem Thale herum!“

Aufs höchste befremdet starrte Speranza die Schwester an. In die Stadt sollte sie geführt werden? Heute Abend noch? O himmlische Jungfrau, um ein Zeichen hatte sie gestern zu Dir gefleht, – war dies das Zeichen ihres Willens?

„Schwester Josefa!“ antwortete sie – aber wie seltsam erzitterte ihre Stimme dabei! „Alles geschieht nach dem Willen der heiligen Jungfrau, vor ihrem Willen beuge ich mich, und ihrem Befehle werd’ ich gehorchen!“

Den Sinn dieser Worte verstand Schwester Josefa nicht:

„Thue, was ich befohlen. und spare Deine unnützen Reden!“

  1. Nach einem alten Volkslied.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_047.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)