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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Frau Steuerräthin befand sich in der Wohnstube und besserte Wäsche aus. Alfred war längst in seiner Praxis beschäftigt.

Tante Dettchen hatte etwas auf dem Herzen. Verschiedene Gespräche, die sie begonnen, waren wieder eingeschlafen ohne die richtige Wendung zu finden; nun fragte sie geradezu. „Hattest Du etwas mit Alfred, Kind?“

„Nein,“ sagte Lucie und schob einen frischen Stahl in die Plätte.

„Ihr seid ein recht sonderbares Brautpaar,“ fuhr das alte Fräulein klagend fort, „der Eine hier, der Andere dort – ich habe es mir so ganz anders vorgestellt. Deine Schwiegermutter ist ganz alterirt darüber; sie denkt, Du vernachlässigst ihn über der Löwen. Ich meine aber, es ist anders. ‚Paß auf,‘ sagte ich, ‚er ist nicht aufmerksam genug, er küßt sie so selten.‘ – Na ja, es ist wohl richtig, Alfred hat mehr zu thun, gerade im Anfang seiner Thätigkeit; aber ich bilde mir ein, das hast Du übelgenommen. Gelt, Kind?“

Lucie war dunkelroth geworden. „Aber, Tante, ich bitte Dich!“ sagte sie verletzt.

„Nun, das ist nicht bös gemeint,“ beschwichtigte die kleine dicke Dame und nahm ein paar Erbsen mit den Lippen von ihrer flachen Hand. „Er ist so ernst und so viel fort, und wenn man jung ist, da denkt man so anders vom Brautstand. Aber, Kind –“ und auf einmal funkelten Thränen in den gutmüthigen Augen, „er war von jeher so still, so eigenthümlich; Du mußt es ihm nicht übel deuten. Er ist eine Seele von einem Mann, das wirst Du erst einsehen, wenn Du lange neben ihm gelebt hast, ich habe ihn auf den Armen getragen – er ist eine Seele, glaube es mir.“

Lucie sah nicht auf von ihrer Wäsche. „Ich nehme es ihm ja nicht übel,“ erwiederte sie matt.

In diesem Augenblick klopfte es an die Thür, und auf Tante Dettchen’s „Herein!“ erschien der alte Diener des Herrn von Meerfeldt, in der Hand einen prachtvollen Rosenstrauß und ein Briefchen, unter dem Arm das Juchtenköfferchen mit Hortense’s Reiseandenken.

„Eine Empfehlung von der gnädigen Frau.“

Als flöge der Abglanz aller Rosen über das blasse Mädchengesicht, so glühte es auf. Hastig las sie das Billet und sagte jetzt lächelnd: „Viele Grüße, und ich würde kommen.“

Der alte Mann setzte das Köfferchen auf den Küchentisch und verschwand. Kopfschüttelnd sah Tante Dettchen, wie Lucie das Billet noch einmal las und es dann zusammengerollt wie eine Blume zwischen zwei Knöpfe ihrer Kleidertaille schob, das Gesicht in die Rosen preßte, sie sorglich in Wasser stellte und ansprengte und dann mit ihren Schätzen rasch aus der Küche verschwand. Nach einigen Minuten kehrte sie zurück und plättete weiter.

Tante Dettchen war erstaunt. Nach einem Weilchen kam Alfred erhitzt und eilig.

„So fleißig?“ sagte er im Vorbeigehen an der Küchenthür, und. „Hast Du Lust, heute mit mir die Wohnung anzusehen, Lucie?“

„Wann?“ fragte sie.

„So gegen Abend; wir können uns dort vielleicht um sechs Uhr treffen.“

„Ich werde kommen, Alfred.“

„Adieu, Schatz, ich muß weiter.“

Er ging.

Lucie hatte die Arbeit beendet und saß nun in der Wohnstube; ihr Kopf schmerzte unerträglich. Die Schwiegermutter klapperte mit Scheidemünze an ihrem Schreibtisch und schalt auf das Dienstmädchen, das eben vom Markt heimgekehrt war; es fehlte ein Fünfzigpfenniger.

„Gleich gehst Du und fragst herum, wo Du zuwenig bekommen hast! Kannst Du, Gans, nicht besser aufpassen?“

Das Mädchen verschwand, und die alte Dame, froh, daß sie einen Ableiter ihres inneren Grimmes gefunden, schalt weiter: es sei kein Verlaß mehr auf die heutigen Menschen; alles Gute und Tüchtige verschwinde aus der Welt; Dummheiten im Kopfe und kein Ernst im Herzen! Und so sei es in allen Ständen. Wenn sie bedächte, wie es in ihrer Jugend gewesen, so schlicht und recht und einfach! Auf die Dienstboten habe man Häuser bauen können und die jungen Mädchen seien beglückte Bräute gewesen; dergleichen verrückte Allotria wie heute hätten noch nicht ihre gesunden Herzen und Sinne verdorben gehabt. Das Beste, Schönste sei aber gewesen, einen braven Mann zu bekommen und eine gute Hausfrau zu werden!

Lucie fühlte jedes Wort wie einen Stich. War sie denn wirklich so schlecht? Hatte sie allein Schuld? Ach, sie war so mit dem ganzen Herzen voll Liebe und seliger Hoffnungen hergekommen; sie wußte selbst nicht, wie Alles so rasch gewelkt. Sie legte die Arbeit hin und stand auf.

„Entschuldige mich,“ bat sie, „ich habe so arge Kopfschmerzen.“

„Nun, so lege Dich nieder!“ fuhr die alte Dame ärgerlich auf. Und als sie ihr blasses Gesicht erblickte, fragte sie: „Leidest Du oft daran?“

„Zuweilen.“

„Na ja, die heutigen Nerven!“ Damit war Lucie entlassen.

Sie aß nicht zu Mittag und kam erst gegen drei Uhr zum Vorschein, zum Ausgehen gerüstet. Die Frau Steuerräthin nahm eben ihr Schwarzseidenes aus dem Kleiderschrank auf dem Flur; sie war zu einem Kaffee ausgebeten.

„Nun?“ fragte sie, „geht es besser mit den Kopfschmerzen?“

„Noch nicht, aber ich denke, es wird mir gut thun, in die frische Luft zu kommen.“

„Die giebt’s freilich nur bei Löwen’s,“ war die schneidende Antwort.

Lucie wehrte sich nicht; sie zwang sich zu einem freundlichen „Adieu, Mutter“ und ging.

Sie fand Hortense im Pferdestalle und im Reitkleide; sie war eben von einem Spazierritt heimgekehrt. Die junge Frau hatte ein Körbchen voll Brotstücken und Mohrrüben am Arme und fütterte ihr Pferd, während der Reitknecht den Liebling sorglich mit einem wollenen Tuche abrieb. Sie war so in ihr Thun vertieft, daß sie die Eintretende erst gewahrte, als sie dicht neben ihr stand.

„Wie siehst Du aus?“ fragte Hortense und betrachtete erschreckt das blasse Gesicht der Freundin. Sie stellte den Korb auf den Futterkasten und zog das Mädchen aus dem Stalle, hinauf in ihr kühles Zimmer. „Jetzt legst Du Dich auf die Chaise-longue! Die Jungfer soll Dir starken Kaffee kochen.“

Sie gab die nöthigen Anweisungen, verdunkelte die Stube, kleidete sich um und nahm dann neben Lucie Platz.

„Nun sage mir, was hat es gegeben, Liebchen?“

„Nichts, Hortense, nichts,“ erwiederte Lucie müde.

„Das rede einem Andern vor; Du grämst Dich um irgend etwas. Höre, mein Schatz,“ fuhr sie nach einer Pause fort, „Du kommst mir genau so vor wie die Palme, die der Großpapa aus dem feuchten warmen Gewächshause in sein tabaksdunstiges Zimmer genommen hat – sie kann die Luft nicht vertragen, sie ist krank geworden.“

„Ich weiß es nicht,“ erwiederte das Mädchen, dann brach sie in Thränen aus.

Hortense nahm ihre Hand. „Ich will Dir etwas erzählen,“ sagte sie langsam und laut, „Du liebst ihn nicht!“

Das Schluchzen verstummte.

„Hortense!“ stammelte Lucie und saß hoch im nämlichen Augenblick, während ihre kleinen Hände an die Schläfen fuhren, als vermöge sie nicht zu fassen, was sie eben gehört.

„Doch! Ich glaube bestimmt, Du liebst ihn nicht,“ wiederholte die junge Frau.

„Aber, Hortense,“ fragte das Mädchen athemlos, „wie kommst Du darauf? Wie willst Du wissen –“

„Liebe sieht anders aus,“ erwiederte die junge Frau kurz. „Ich war ja einmal so thöricht – ich weiß es. Ich will Dir sagen, wie es gekommen ist mit Euch,“ fuhr sie fort und blieb mit dem englischen Riechsalz in der Hand vor Lucie stehen, „man hat Dir von jeher eingebläut, daß eine Heirath das Einzige ist, wodurch ein Mädchen selig wird. Gestehe es nur – nicht wahr?“

„Ach Gott, Hortense, es ist wohl berechtigt gewesen; es ist unsere Bestimmung.“

„Na, siehst Du? Nun bist Du zwanzig Jahr alt geworden, hast da bei Deinem Schwager herumgesessen als Erzieherin und Stütze der Hausfrau, nicht gerade unnütz, aber auch nicht unentbehrlich, und hast die Geschichte endlich so ein klein wenig langweilig gefunden. Sprich ehrlich, Lucie!“

„Hortense! Ich? – Nein – Du verkennst die Lage.“

„Du hattest auch schon daran gedacht, es könne vielleicht sein, daß Du diese einzige richtige Bestimmung der Frau nicht erfüllen würdest, weil sich bis dahin Keiner gefunden, der –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_086.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)