Seite:Die Gartenlaube (1887) 146.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

linken Rheinufers an die Republik war von vornherein zugestanden worden. Die Franzosen hatten auch das Zaubermittel gefunden, welches die Mehrzahl der deutschen Fürsten erwünschten, Gewinn hoffen ließ und dadurch zu allen Opfern und Plänen bereitwillig machte, das Wort: Säkularisation. Preußen war ohnehin seit dem Baseler Frieden im Schlepptau Frankreichs, das Kabinett Haugwitz gab sich zwar hier und da den Anschein, als wolle es sich aufraffen und die übrigen Reichsstände zu kräftiger Opposition um sich sammeln, sank aber bald in die gewohnte Unthätigkeit zurück. „Der König von Preußen,“ schrieb damals Sieyes aus Berlin an das Direktorium in Paris, „faßt die schlechteste aller Entschließungen, die, sich für keine zu entschließen.“

Treffend charakterisirt ein fliegendes Blatt, „Die Leidensgeschichte des Friedenskongresses“, den jämmerlichen Zustand des Reichs. „Da versammelten sich die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer, daß sie das römische Reich mit List griffen. Das römische Reich spricht: ‚meine Seele ist betrübt bis in den Tod.‘ Aus dem Kreise der geistlichen Kurfürsten hört man den Ruf: ‚Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, einer unter Euch ist’s, der es verrathen wird!‘ Bonaparte verfügt: ‚Wir haben nur Ein Gesetz, nach dem muß es sterben!‘ ‚Was wollt Ihr mir geben,‘ fragt Preußen, ‚daß ich es Euch verrathe?‘ Und vom Kaiser heißt es: ‚Er ließ es geißeln und übergab es, daß es gekreuziget würde.‘ Auch die Reichsarmee wird nicht vergessen: ‚Sie schlugen an ihre Brust und kehrten wieder um.‘“

Dank den Erfolgen der französischen Waffen und der Zwietracht der deutschen Stände waren die Vertreter Frankreichs in Rastatt die Herren der Situation. Das Direktorium hatte drei Gesandte abgeordnet, Treilhard, der aber bald durch einen der radikalsten Jakobiner, Jean Debry, ersetzt wurde, einen früheren Edelmann Bonnier und einen ehemaligen Pfarrer Roberjot. Der Letztgenannte wird als stiller, bescheidener Mann geschildert; um so hochfahrender und brutaler traten seine Amtsgenossen auf, und je dreister sie sich gebärdeten, desto unterwürfiger suchten die deutschen Diplomaten die Gunst der im Grunde des Herzens so verabscheuten „Königsmörder“. Die Taktik der Franzosen war sehr einfach. Anfangs gingen sie mit den Vertretern Oesterreichs Hand in Hand und gaben sich den Anschein, als wollten sie auf alle in den vorausgegangenen geheimen Unterhandlungen kundgegebenen Wünsche des Kaisers eingehen; zugleich trachteten sie aber darnach, die mittleren und kleineren Staaten zu gewinnen, und sobald sie eine größere Klientel erworben hatten, traten sie brüsk gegen Oesterreich auf und verriethen sogar von den früheren Abmachungen Manches, was Den und Jenen an der Uneigennützigkeit des Reichsoberhauptes gründlich irre machte. Noch einmal suchte der kaiserliche Minister Cobenzl Annäherung an die Republik; in Selz wurden von österreichischen und französischen Bevollmächtigten Zwischenverhandlungen eingeleitet, auf welche man in Rastatt mit wachsender Besorgniß blickte, allein die Weigerung Frankreichs, zur Einverleibung Bayerns in die habsburgisch-lothringische Monarchie seine Zustimmung zu geben, ließ auch die neue Freundschaft scheitern. Fortan fahndete das Wiener Kabinett nach anderen Bundesgenossen und gewann solche um so leichter, da der gefürchtete Bonaparte in Folge der verfehlten Expedition nach Aegypten als ein „todter Mann“ angesehen wurde. Eine neue europäische Koalition bildete sich, während in Rastatt noch immer das „lebhafte Verlangen nach Frieden“ in jedem Protokoll figurirte.

Die inneren Zustände der Republik hatten sich während Bonaparte’s Abwesenheit so verschlimmert, die Stellung des Direktoriums war so gefährdet, daß den Regierungskreisen ein neuer Krieg gar nicht unerwünscht war. Als Zar Paul, verletzt durch die Weigerung, Malta dem Johanniterorden zurückzugeben, zu den Feinden Frankreichs übertrat, brach der Kampf los, im italienischen Alpengebiet blieben die Franzosen Sieger; in Schwaben gewann Erzherzog Karl die Oberhand.

Noch wurde in Rastatt debattirt, als österreichische Patrouillen in der Umgegend anlangten. Am 23. April 1799 ließ der Kommandant der österreichischen Vorposten, Oberst Barbaczy, den Gesandten eine Erklärung zugehen, er könne für ihre Sicherheit nicht mehr bürgen und die Neutralität des Kongreßortes nicht länger anerkennen.

Nun machte sich Alles reisefertig. Die französische Gesandtschaft suchte um freies Geleit nach, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Am 28. April wurde Rastatt von Szeckler Husaren besetzt. Die Franzosen erhielten Weisung, binnen vierundzwanzig Stunden abzureisen; als sie aber das Thor passiren wollten, wurde ihnen der Durchzug verweigert, und erst nachdem über neuen Verhandlungen die Nacht hereingebrochen war, durften die acht Kutschen der drei Gesandten und ihrer Dienerschaft durch das Rheinauer Thor die Fahrt antreten.

Um die neunte Nachtstunde waren gerade noch mehrere Diplomaten im Kasino anwesend, als plötzlich die Meldung kam: die französischen Gesandten sind überfallen und ermordet worden!

Was da in fliegender Hast berichtet wurde, klang unglaublich!

Kaum waren die Wagen ein paar hundert Schritte von der Stadt entfernt, hielten ungarische Husaren die erste Kutsche, in welcher Jean Debry fuhr, an. Der Gesandte wurde herausgerissen und durch mehrere Säbelhiebe zu Boden gestreckt; eben so wurden die beiden Kollegen, als sie auf die Frage: „Es-tu Bonnier? le ministre Roberjot?“ bejahend antworteten von den Säbeln der Reiter so übel zugerichtet, daß schon nach wenigen Augenblicken der Tod die Armen von ihren Qualen erlöste. Dagegen war Debry noch im Stande, sich aus dem Straßengraben, wohin ihn die Räuber geworfen hatten, ins nahe Gehölz zu schleppen und so, von der Dunkelheit, dem gräulichen Unwetter und der lärmenden Verwirrung begünstigt, der Verfolgung zu entrinnen. Nach vollbrachter That plünderten die Szeckler die Wagen und führten dieselben nach Rastatt zurück. Hier nahm der Rittmeister Burckard, der sich inzwischen der mit Klagen und Vorwürfen auf ihn einstürmenden Diplomaten kaum hatte erwehren können, die Gesandtschaftspapiere in Empfang und ließ dieselben an den Oberstkommandirenden, Erzherzog Karl, weiter befördern.

Am Morgen des nächsten Tages kam Debry, jämmerlich am ganzen Leibe zugerichtet, im Gewand eines Handwerkers, dem er sein Leid geklagt hatte, in das Haus des preußischen Botschafters Grafen Görtz und erzählte weinend und wehklagend eine kleine Odyssee, wie es ihm möglich geworden war, sich zu retten. Nun drangen die deutschen Gesandten aufs Neue in den österreichischen Befehlshaber, es möchten doch wenigstens jetzt die geretteten, zur französischen Gesandtschaft gehörigen Personen unter genügender Bedeckung auf französischen Boden in Sicherheit gebracht werden. Endlich ward der Bitte entsprochen, wie denn auch der Oberst des Szecklerregiments, Barbaczy, sein Bedauern über die „schreckliche That“ aussprechen ließ und kategorische Bestrafung der Verbrecher, „die unter seinem Kommando gehabt zu haben er zeitlebens mit innigster Wehmuth fühlen müsse“, in Aussicht stellte. Debry und die Angehörigen der ermordeten Gesandten wurden nun von Husaren nach Plittersdorf eskortirt, wo sie über den Rhein setzten. Das wonnige Gefühl der Rettung überwog, wie es scheint, vorerst alle anderen Gedanken. Debry versicherte seinen Begleitern, er werde diesen Dienst nie vergessen und, wenn je Einer in französische Gefangenschaft gerathen sollte, seinen Dank bethätigen. Sobald er sich aber in Straßburg auf sicherem Boden wußte, berichtete er an den Minister des Auswärtigen, Talleyrand, in anderem Tone über die Vorgänge der Schreckensnacht.

Nach seiner Rückkehr nach Paris entwarf er eine noch ausführlichere Schilderung, die im „Moniteux“ und anderen Blättern veröffentlicht wurde. In den beiden überaus phrasenreichen Erzählungen bezeichnete er nicht bloß österreichische Husaren als die Thäter, sondern gab auch mit aller Bestimmtheit seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß die That auf Kommando von Officieren, also mittelbar auf Befehl der kaiserlichen Regierung vollzogen worden sei. „Für meine Lebenszeit werde ich dies Zeugniß der österreichischen Verruchtheit bewahren; ich werde es meinen Kindern als Vermächtniß hinterlassen; sie werden ihre Pflicht eingegraben finden in der einzigen Zeile: Segnet die Vorsehung und fluchet Oesterreich!“

Das „Verbrechen des Wiener Hofes“ rief denn auch unerhörte Aufregung in Paris und ganz Frankreich hervor. Zumal das Direktorium beutete die günstige Gelegenheit, dem Unwillen des Volkes eine andere Richtung zu geben, nach Kräften aus; im Rath der Alten, wie in der Versammlung der Fünfhundert erschall der Ruf: „Rache für eine Schandthat, vor welcher die Menschheit zurückschaudert! Rache am Haus Oesterreich!“

Allenthalben wurden Trauergottesdienste für die Gemordeten veranstaltet, allenhalben auch weltliche Todtenfeierlichkeiten, Aufzüge

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)