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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


zu springen; Dich betrachtete ich als verloren. – Unten feierte man ein Hochzeitsfest. Du weißt ja. Das Stubenmädchen mag mich in dieser Aufregung erblickt haben – ich lag auf dem Teppich und hatte mir ein wenig die Haare zerrauft. Plötzlich klopfte es und Herr Weber kam herein. Er richtete mich auf und brachte mich dazu, Platz zu nehmen nach vernünftiger Menschen Weise. Und dann saßen wir uns stumm gegenüber. Ich hatte ihn verschiedentlich aufgefordert, sich zu entfernen, aber er ging nicht, es sei nicht möglich, mich allein zu lassen! Um mich nicht allzu lächerlich zu machen, nahm ich mich zusammen; da erklärte er gradezu, daß er mich liebe, und bat um meine Hand.

Ich glaube, ich habe hell aufgelacht. „Kennen Sie mich denn, und kennen Sie meine Familie?“ – Er blieb ernst und sagte noch einmal: „Ich liebe Sie, Hortense, und nichts in der Welt wird mich von meinem Vorhaben abbringen.“ Wie er da so ruhig vor mir stand und mich so fest ansah mit seinen blauen Augen, da war es mir, als ob Jemand flüsterte: ‚bei ihm bist Du geborgen, Hortense!‘ – Ich kannte ihn nicht, ich wußte nichts von seiner Familie, und dennoch schien es, als zwinge mich eine übermächtige Gewalt zu ihm. Noch einmal wiederholte er seine Frage – – von unten schallte gerade ein brausendes Hoch! herauf und plötzlich lag meine Hand in der seinen. Dann wollte ich mich losreißen ‚ich liebe Sie nicht!‘ rief ich, ‚ich habe mich übereilt!‘ Er hielt mich nur fester. ‚Aber ich Sie, Hortense, ich kann warten.‘ – Ich wollte ihm von Papa sprechen – es war, als sei meine Zunge gelähmt. Feige wandte ich mich ab.

Er saß dann mir gegenüber, stundenlang, und sprach von seinen Brüdern, seiner Mutter, ich habe es nicht behalten was? Er hatte die Thür nach dem kleinen Vorzimmer geöffnet, wo das Stubenmädchen wie gewöhnlich saß und strickte; es sei sehr heiß hier, meinte er. Als der letzte Ton des Festes verklungen war, empfahl er sich und schickte das Mädchen herein. Wie betäubt sank ich auf mein Bette und schlief. Ich wachte erst am andern Mittag auf, als drunten der Wagen rasselte, der Wilken als Ehemann neben seiner jungen Frau aus der Kirche brachte.

Auf meinen Bräutigam besann ich mich mit Mühe, als mir das Stubenmädchen ein Billett und ein Bouquett von ihm überreichte. Ich ließ mich entschuldigen und blieb den ganzen Tag im Bette, ich war zum Sterben unglücklich. Am Abend wollte ich ihn mit der Erklärung empfangen, ich hätte mich einer Uebereilung schuldig gemacht, um nachher mit dem Nachtzuge abzureisen. Aber siehe da! Er kam nicht, er war bereits seit Mittag unterwegs nach Hohenberg zu Großpapa. Gestern früh empfing ich ein Telegramm des alten Herrn, das seine Einwilligung brachte. Er erwartet mich heute.“

Sie hatte mit zuckender Lippe gesprochen; nun schwieg sie und preßte die Hände an die Schläfen. „Voilà tout!“ sagte sie nach einer Pause mit völlig verändertem Tone; „nun packe Deine Sachen und komm!“

„Aber wie willst Du das Verhältniß ertragen? Mich hast Du gewarnt, Hortense, gewarnt vor einer Ehe ohne Liebe, und Du stürzest Dich kopfüber hinein?“

„Ich bin auch nicht eine so sentimentale Natur wie Du.“

Lucie ergriff den Arm der jungen Frau. „Erst recht bist Du es!“

„Und dann, weißt Du, er ist sehr reich,“ fuhr Hortense unbeirrt fort, „die kleinen Sorgen des Lebens werden uns nicht zusammenführen, sein Haus ist so groß; wir können uns aus dem Wege gehen. Mit Dir war das etwas Anderes.“

„Aber man heirathet doch nicht, um sich aus dem Wege zu gehen? Du mußt ihm schreiben, Du mußt ihm sein Wort zurückgeben!“ rief das Mädchen außer sich.

„Ich denke nicht daran!“ sagte Hortense ruhig.

„Und mir willst Du die Schuld beimessen? Das ist unbarmherzig, das ertrage ich nicht!“

„Wenn Du bei mir geblieben, wäre es sicher nicht passirt, mein Kind, daran kann ich nichts ändern – Wann geht denn der nächste Zug aus diesen Wäldern? Ich meine, um zwölf Uhr – nicht? Mache Dich bereit und nimm Abschied; mit mußt Du, das bist Du mir schuldig!“

„Nach Hohenberg?“

„Bis zur Hochzeit nur, dann gehst Du mit nach Woltersdorf.“

„Er wird sich bedanken!“

„Das dürfte sich finden, Lucie. Nun bitte, mache endlich Anstalt zur Reise.“

Das Mädchen rührte sich nicht; ihre Gedanken drehten sich wie im Wirbel. Sie konnte nicht hier bleiben, und die Idee, nach Hohenberg zu gehen, war ihr peinvoll. Aber Hortense sprach die Wahrheit; sie hatte den tollen Streich gemacht, weil die Verzweifelnde allein gelassen worden war – am schwersten Tage ihres Lebens.

„Ich will ehrlich sein,“ sagte sie endlich, „mein Wille war es, hier zu bleiben aber –.“

„Dein Wunsch auch?“ unterbrach sie Hortense.

„Auch mein Wunsch, aber – ich habe mir bei Georg einen Korb geholt. Er will mich nicht.“

„Sehr angenehm für mich! Aber warum?“ „Weil ich nicht kam, als Mathilde mir schrieb, sie sei krank, weil ich sie vergaß um Deinetwegen!“

Sie hatte Thränen in den Augen, als sie sich still nach ihrer Reisetasche bückte, die in einem Winkel des Stübchens lag. Hortense antwortete nicht, sie ging indessen im Zimmer umher und betrachtete mit Interesse jedes Stück des einfachen Hausraths. Sie sah bleich aus, das dunkelblaue Reisekleid ließ ihren Teint fast gelblich erscheinen und unter den großen Augen lagen dunkle Ringe. Lucie wußte so genau, was sie gelitten hatte.

Vor der Thür erhob sich eine schreiende Kinderstimme. Lucie sprang hinaus, das jüngste Mädelchen war hingefallen und weinte. Sie hob es auf und kam in die Stube zurück, setzte sich, und, das Kind auf dem Schoße haltend, versuchte sie, es zu beruhigen.

Hortense hatte sich umgewandt und sah starr zu ihr hinunter. Irgend etwas ging in ihr vor.

Die Kleine hörte endlich auf zu schreien. Lucie ließ sie zur Erde und gab ihr ein Wollenknäuel in die Hand.

„Bleibt sie hier?“ fragte Hortense.

„Laß sie doch, bitte! Sie wissen ja garnicht, wohin sie gehören, die armen kleinen Würmer!“

„Lucie,“ stieß die junge Frau hervor, „bringe das Kind hinaus, es beängstigt mich! Ich kann ein Kind nicht ansehen, ohne zu denken welche Schicksale ihm bevorstehen! Was wird es zu tragen haben, was werden die Menschen an ihm sündigen!“

„Aber ich bitte Dich, Hortense,“ sagte das Mädchen erschüttert, „nicht jedes hat’s so schwer wie Du!“ Sie führte die Kleine hinaus und brachte sie zu Rike in die Küche. Als sie wieder kam, fand sie die junge Frau auf dem Stuhle sitzend, die Hände vor das Gesicht geschlagen.

„Das wird Gott doch nicht wollen,“ sprach sie tonlos. „Es macht mich so elend zu denken, ich könnte einst solch ein Kind auf den Armen halten, und das würde so herumgestoßen im Leben wie ich, würde so schlecht wie ich!“

Das Mädchen stand hoch aufgerichtet vor ihr. „Hortense,“ sagte sie streng, „schreibe ihm, daß Du ihn nicht liebst, daß Du auf keinen Fall ihn unglücklich machen willst –.“

„Er will es ja nicht anders!“ murmelte die junge Frau.

„Aber auch Du wirst unglücklich. Wie kann man mit so schrecklichen Ansichten heirathen wollen! Noch einmal, schreib’ ihm ab!“

Sie schüttelte den Kopf: „Nein! Ich will mein Wort halten, und überdies – heute früh wird Wilken meine Verlobungsanzeige gelesen haben.“

Lucie sagte nichts weiter. Mit dem Mittagszuge reisten sie ab. In dem Augenblick, als er in Hohenberg einfuhr, fragte Hortense: „Es wird Dich doch nicht alteriren, daß Dein ci-devant Bräutigam hier haust?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie hinzu: „Doch wohl nicht? Du liebtest ihn ja nicht.“

Lucie sah an ihr vorüber. „Ich wäre nicht hergekommen,“ sagte sie mit bebender Stimme, „wenn ich nicht wüßte, daß Du mich wirklich nöthig hast.“

„Sehr nöthig sogar!“ Und Hortense winkte lächelnd und herablassend mit der Hand dem großen Manne zu, der, den Hut über dem blonden Scheitel haltend, vor dem Koupé stand, das man eben öffnete. „Mein Bräutigam erwartet mich,“ bemerkte sie sich zurückwendend, im Begriff auszusteigen. Sie betonte jede Silbe des „Bräutigam“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_150.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)