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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


wußte, daß die gepriesene Liebenswürdigkeit Dettchen’s darin bestand, mit der Geduld eines Lammes den Redestrom der lebhaften Französin über sich ergehen zu lassen.

„Und so besorgt um den Neffen,“ fuhr diese fort, „es ist so gemüthlich in dem winzigen Hause, so cosy; er kann es unmöglich trauter haben, wenn er –. Sie wissen doch, daß er sich verheirathet? Sie wissen nicht? – Aber was ist Ihnen denn, ma petite, sind Sie krank?“ erkundigte sich Mademoiselle, der nicht die leiseste Idee kam, daß sie unsanft ein wundes Herz berühre. Sie dachte in solchen Dingen nicht sentimental, nach ihrer Meinung war Adler so gut wie fremd für Lucie, sie wollte ihn eben nicht, eh bien – so mußte er ihr auch gleichgültig sein. „Sind Sie krank?“ fragte sie noch einmal, „Sie sehen so bleich aus!“

„Nein!“ flüsterte das Mädchen, dessen Antlitz in der That farblos geworden war wie das Leinen auf der Tafel.

„Trinken Sie herzhaft ein Glas, ma mignonne – so – das wird Ihnen gut thun. Also, Sie wußten’s nicht? Freilich, er ist verlobt, sie ist eine große blonde Dame; entre nous –“ sie hielt die Hand an den Mund – „sehr mauvais genre, nach meiner Ansicht, sie erinnert an den Kuhstall. Seit sechs Wochen bereits lebt sie bei seiner Mutter. Nun, es ist ja nöthig, daß er heirathet, ein Arzt ohne Frau –“

„Lucie,“ flüsterte Hortense, „jetzt werden sie warm!“ Sie warf einen Blick zu den Herren hinüber. „Nun wird es nicht lange dauern und er fängt an, Großpapa zu bestürmen wegen des Hochzeitstages; ich kenne das.“

Aber Hortense hatte sich geirrt. Zu ihrem Befremden fiel weder während des Nachtisches, noch während des Kaffees, der in dem Zimmer des alten Herrn getrunken wurde, ein Wort über diesen Punkt. Der Bräutigam nahm nur mit stummer Verbeugung die Einladung des Barons an, noch einige Tage hier zu verweilen, aber er näherte sich weder Hortense besonders, noch äußerte er irgendwie Sehnsucht, sie möglichst bald in sein Rokokoschloß zu entführen. Die junge Frau war entschieden dadurch befremdet. „Was soll das?“ fragte sie Lucie, als man gegen Abend im Garten promenirte.

„Ich weiß es nicht,“ erwiederte das Mädchen, aus schweren Gedanken aufwachend.

„Ich bin’s ja nur zufrieden!“ sagte Hortense. Mademoiselle aber erklärte: „Dieses Mal ist Madame an den Rechten gekommen. Ich bitte, sehen Sie nur, wie er dahin geht, so fest und sicher, und wie er aus den Augen sieht – mon dieu, der versteht keinen Spaß, Hortense!“ flüsterte sie, als die junge Frau sie einholte, sie hatte sich ein paar frühe Rosen gepflückt, „ich fürchte, er hat den richtigen deutschen Eisenkopf!“

Hortense lächelte und machte eine Handbewegung nach dem Boden zu, als habe sie dort Jemand auf die Kniee genöthigt. „Keine Sorge, meine Liebe,“ sagte sie im Vorübergehen und schob ihren Arm in den des Großvaters, um an dem Gespräch der Herren Theil zu nehmen.

Als es Abend geworden, saßen Hortense und Lucie in dem Zimmer der jungen Frau, auf dem Tische summte die Theemaschine. Herr von Meerfeldt hatte sich seiner Gewohnheit gemäß früh zur Ruhe begeben, auch Mademoiselle ging heute wie stets mit den Hühnern schlafen. Herr Weber hatte sich mit einer Verbeugung ebenfalls empfehlen wollen, da rief ihm Hortense zu: „Wollen Sie nicht bei mir eine Tasse Thee nehmen?“ Es klang so, als ob eine Weigerung sie durchaus nicht verletzen würde.

„Mit großem Vergnügen!“ hatte er erwiedert, und nun saßen sie da und warteten auf ihn.

Hortense hatte noch kein Licht angezündet; das bläuliche zuckende Flämmchen unter dem silbernen Kessel erhellte nur schwach den traulichen Raum. Lucie kam nicht über den Gedanken fort, daß sie so oft hier gesessen und neben ihr Jemand, der dann und wann verstohlen ihre Hand gedrückt, und daß dies nun niemals wieder sein würde.

Waldemar Weber trat nach einigen Minuten ein, die Jungfer brachte die roth verschleierte Lampe und stellte sie auf einen Nebentisch, Hortense goß den Thee in die Gläser.

„Ihr Herr Großpapa sieht angegriffen aus,“ begann er nach einer Weile.

„Ich kenne ihn nicht anders,“ erwiederte Hortense.

„Was sagt der Arzt zu seinem Zustand?“

„Ich weiß es nicht. Lucie, hast Du nie etwas darüber gehört von Doktor Adler?“

„Nein!“ sagte das Mädchen.

Adler?“ fragte er.

„Ja, Doktor Adler,“ bestätigte Hortense.

Alfred Adler?“

„So heißt er, glaube ich; nicht, Lucie?“

„Ja!“ klang es leise.

„Also der alte Bursche ist hier? Das interessirt mich wahrhaftig, nein – das freut mich!“ ries er.

„Kennen Sie ihn?“ fragte Hortense erstaunt.

„Und ob ich ihn kenne! Wir haben in Heidelberg manch schöne Stunde mit einander verlebt. Morgen will ich ihn aufsuchen, ist er verheirathet?“

„Nein!“ erwiederte Hortense kurz.

„Schade! Es würde mich interessirt haben, die Frau kennen zu lernen, die er gewählt. Er hatte so ganz besonders ideale Ansichten in diesem Punkte. Wenn er das Alles in Einer vereinigt fände, was er wünschte von seiner Zukünftigen, so müßte sie ein überirdisches Wesen, eine Fee, ein Engel sein.“

Hortense sah zu Lucie hinüber, und als sie ihr trauriges Gesicht erblickte, sagte sie, der Sache eine scherzhafte Wendung gebend: „Was wohl die Männer unter solchen Engeln verstehen? Vor allen Dingen müssen sie wohl gut kochen können – wie?“

Er lachte. „Nein, das hat er wohl nicht gemeint, obgleich es mit dazu gehört. Er schwärmte von einem sanften, liebenswürdigen Wesen, das in seiner Liebe alles Glück der Erde finden, das nach des Tages Last und Hitze ihn mit einem freundlichen Gesicht empfangen würde und dem er ganz und voll vertrauen könne, mit einem Worte, das außer ihm und seinem Hause nichts weiter in der Welt begehrt. Hundertmal hat er mir das aus einander gesetzt. Er konnte ordentlich zornig werden, wenn er junge Frauen im Ballsaal erblickte, die sich nach Herzenslust den Hof machen ließen. ‚Ich bitte Dich,‘ sagte er dann, ‚soll Einem nicht die Lust vergehen zu heirathen? Ist das einer Frau würdig? Wenn ich mit ansehen müßte, wie meine sich da herumschwenken ließe von einem xbeliebigen Fant, ich weiß nicht, was ich thäte! Häuslich soll sie sein, häuslich!‘ – Und dann malte er mir aus, wie es sein würde bei ihnen, wenn er Notabene dieses Weltwunder gefunden. Ich sah ordentlich die Lampe brennen auf dem Tische und ein blondes Frauenhaupt über die Arbeit gebeugt, daneben ihn mit einem Buche, aus dem er vorlas. Und ich hörte draußen die Bäume im Herbststurm rauschen – er hatte immer eine Vorliebe für den Herbst – und ich hörte den Regen an die Fensterscheiben schlagen – –“

„Nehmen Sie Arrak?“ fragte Hortense laut.

„Danke sehr! Ist es nicht ein reizendes Bild?“ setzte er hinzu, ohne sich beirren zu lassen.

„Sie stimmen natürlich völlig mit ihm überein?“

„Ich kann’s nicht leugnen, Hortense. Jeder Mann sehnt sich nach einer glücklichen friedvollen Häuslichkeit.“

Lucie erhob sich und verließ das Zimmer, sie suchte ihre Schlafstube auf. Was sie dort wollte, war ihr nicht klar. Sie stand da im Dunklen. „Vorbei!“ flüsterte sie, „zu spät!“ – Wie in greifbarer Deutlichkeit sah sie ein trautes Zimmer im Lampenschein, aber nicht sie saß da, eine Fremde, eine Andere war es, die das Kleinod aufgehoben, welches sie thöricht von sich geworfen, weil sie seinen Werth nicht zu schätzen vermochte. Sie nahm ein frisches Taschentuch, goß etwas Kölnisches Wasser darauf und schickte sich an, wieder hinüber zu gehen.

Als sie die Hand auf den Drücker der Saalthür legte, hörte sie Weber’s tiefe Stimme.

„Einen Mann wie Adler zurückzuweisen, das grenzt an – thörichtes Mädchen! Uebrigens,“ fuhr er fort, „ist es selbstverständlich Ritterpflicht, ihr mein Haus zu öffnen, wenn Sie ihr eine Zuflucht versprochen haben, Hortense.“

„Nicht nur Das,“ unterbrach ihn die junge Frau, „ich habe sie lieb und möchte mich nicht von ihr trennen. Ich danke Ihnen, Waldemar.“

Lucie kehrte zurück in ihre Stube. Und sie saß dort und wiederholte leise die Worte, die sie eben gehört: „thörichtes Mädchen!“

Nach einer halben Stunde kam Hortense. „Schläfst Du schon?“ fragte sie, „wo bleibst Du denn? Du vergißt ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_166.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)