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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Zum 22. März 1887.

O deutsches Land, von deinen Söhnen
Wie manch’ ein Held schon war es werth,
Daß seinem Ruhm die Harfen tönen,
Daß Liebe sein Gedächtniß ehrt,
Ob er im blut’gen Schmuck der Waffen
Dir diente mit des Schwertes Klang,
Ob unbelauscht sein still’res Schaffen
Im Geisterstreit den Sieg errang.

Stets ward dem Fremdling, der sie pflückte,
Des Sieges Frucht ein leichter Raub,
Der Kranz, der deine Stirne schmückte,
Durch eig’ne Schuld ein welkes Laub;
Von einem Berg nur ging dir Märe
Im Volk noch um aus alter Zeit,
Daß er den Helden dir gebäre,
Der dich erlöst, der dich befreit.

Er kam! Doch diesen Gottgesandten
Umschloss nicht enge Bergeshaft;
Nicht in des Schlummers Zauberbanden
Erwuchs ihm seine Heldenkraft.
Sie wuchs in Mühsal und Gefahren;
Und als die große Stunde schlug,
Da war’s kein Jüngling mehr an Jahren,
Ein Greis war’s, der die Brünne trug.

Doch welch ein Greis! Sein Auge glühte,
Von ew’ger Jugend Gluth entfacht;
Vor seinen Schwerten Wucht zersprühte
Wie Spreu im Wind des Feindes Macht.
Doch welch ein Held! So stark wie milde,
Und selbst im Siege fromm und schlicht,
Ein Held, nicht nur im Kampfgefilde,
Ein Held des Friedens und der Pflicht.

Denn Liebe war’s, die ihn beseelte,
Nicht eitle Sucht nach Ruhm und Macht;
Liebe zu Dir, mein Volk, sie stählte
Ihm Kraft und Muth im Drang der Schlacht.
So steht er – mög’ ihn Gott dir wahren! –
Verklärt von jeder Tugend Zier,
Im Ehrenschmuck von neunzig Jahren,
Dein Held, dein Kaiser heut’ vor dir.

Wohlan, so tönt in Festaccorden,
Ihr Harfen, heut’ vor seinem Thron!
Bezeug’s ihm, Volk in Süd und Norden,
Daß Liebe seiner Liebe Lohn!
Laß nicht durch fremder Schwerter Klirren
Des Festes Jubel dir entweihn;
Dein Wahlspruch soll in allen Wirren
Ein Liebesruf dem Kaiser sein.

 C. Hecker.




Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Waldemar Weber betrachtete das Schreiben, welches ihm der Diener überreicht hatte, und schüttelte den Kopf.

„Einen Moment,“ sagte er zu Hortense, die zwei Schritte zurückgetreten war, und er öffnete, ihr zugewandt, das Kouvert. Ein gedrucktes Blättchen, einem Zeitungsausschnitt ähnlich, entnahm er dem Umschlag und begann zu lesen; während des Lesens stieg allmählich eine dunkle Röthe in sein Gesicht. Er wandte das Blatt auf die andere Seite, und wieder um, und las noch einmal. Eine schwüle Pause entstand. Hortense war zum Spiegel getreten und ordnete die Schleifen ihres Hütchens; Lucie sah, wie ihre Finger zitterten und wie ihre Augen nicht auf ihr Spiegelbild blickten, sondern die Gestalt des Lesenden beobachteten, die das Glas zurückgab. Er war jetzt nicht mehr roth, sondern bleich, und auf seiner Stirn ringelte sich eine blaue Ader. Langsam steckte er den Zeitungsabschnitt nebst Kouvert in die Brusttasche seines Fracks und wandte sich dann zu Hortense:

„Verzeihen Sie den Aufenthalt,“ sagte er ruhig und bot ihr den Arm. Und als er in ihr Auge blickte, aus dem in diesem Moment alles Leben gewichen schien, fragte er: „Ist Ihnen nicht wohl?“

„Vollkommen!“ sagte sie aufathmend und schritt vor ihm aus der Thür.

Lucie war schon im festlichen Kleide, als Hortense zurückkam. Sie wartete im Schlafzimmer, um der jungen Frau bei der Brauttoilette zu helfen. Sie hörte, wie Weber und dessen Bruder sie bis zu ihrem Zimmer geleiteten und wie sie heiter mit ihnen plauderte; Lucie traute ihren Augen nicht, als Hortense blaß und müde eintrat, die Thür verschloß, sich in den nächsten Stuhl fallen ließ und in Thränen ausbrach. Es war das erste Mal, daß Lucie die junge Frau weinen sah, und sie weinte so leidenschaftlich, so heiß, daß es dem Mädchen bange ward. Sie umfaßte die bebende Gestalt, aber zu sprechen vermochte sie nicht diesem Schmerz gegenüber. Erst ganz allmählich ward Hortense ruhiger; sie nahm die Hände von dem verweinten Gesicht und sah in die leise bewegten Blätter der Rüstern vor den Fenstern.

„Nun weiter,“ sprach sie, „ich hab’s gewollt!“ Sie sprang empor und schlang ihre Arme um des Mädchens Nacken. „Ich heiße jetzt ‚Hortense Weber‘, Luz; ich habe einen schweren Weg vor mir, aber Du gehst neben mir, Du, mein guter Engel!“ Und so leidenschaftlich sie vorhin geweint, so leidenschaftlich küßte sie jetzt die Freundin. „Und nun kannst Du das Opfer schmücken,“ sprach sie und schleuderte das perlengeschmückte Hütchen auf den Tisch. „Sehe ich verweint aus, Luz?“

„Aber Bräute dürfen ja weinen!“ Und hastig streifte sie das schwarze Kleid ab, um es mit dem weißen bräutlichen Gewande zu vertauschen.

„Ahnst Du, was auf dem Zettel steht, den er durch Eilboten bekam?“ fragte sie vor dem Spiegel sitzend, während Lucie ihr den Schleier und das Diadem von Orangeblüthen in dem dunklen Haar befestigte.

„Nein, Hortense; vielleicht etwas Geschäftliches. Warum?“

„Ich dachte – ich dachte – Du weißt schon; lache mich nicht aus!“

„O, Dein Vater spukt schon wieder?“

„Ach, Lucie, Du hast, Gott sei Dank! nie so etwas erlebt. Es ist ja vorüber! Gieb mir die Perlenkette, die Waldemar mir heute gebracht; ich muß sie doch wohl tragen, wie? Am liebsten – ich möchte am liebsten in Sack und Asche gehen.“

Luciens Finger schlossen die Kette am Halse der jungen Frau; sie brachte ihr das stark duftende Bouquett aus weißen Rosen und Orangeblüthen.

„Ich will Dich nun allein lassen,“ sagte sie, „er wird gleich kommen, um Dich zu holen, und ich muß vorher dort unten sein im Gewölbe.“

„Was hast Du für traurige Augen?“ fragte Hortense.

Lucie winkte abwehrend mit der Hand und ging hinaus. Es war ihr, als hätte sie Blei in den Gliedern; sie mußte sich ordentlich anstrengen, die Füße zu heben. Peter, der des Brautpaares gewärtig an der rundbogigen Thür stand, öffnete ihr. „Sie sind Alle schon versammelt,“ wisperte er ihr zu.

Sie kam mit tiefgesenkten Wimpern über die Schwelle; ganz automatenhaft stellte sie sich neben Mademoiselle auf.

„Wo blieben Sie so lange?“ raunte ihr diese zu. „Wir stehen hier schon eine Ewigkeit!“

Dann öffnete sich wieder die Thür; eine seidene Schleppe rauschte; das Brautpaar war eingetreten. Tiefe Stille. Und nun klang voll und laut des Predigers Stimme durch den Raum:

„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Er sprach von der Treue, daß sie das A und O der Ehe sei, daß Gott dem Menschen keine herrlichere Tugend gegeben, als Treue, und daß, wo sie wohne, kein Unfriede weilen, kein Mißverständniß aufkommen könne.

Wie Dolchstöße trafen die Worte Luciens Herz. Wie verurtheilt kam sie sich vor. Treue! klang es in ihrer Seele – hatte sie nicht die Treue gebrochen, die Treue gegen ihn, gegen die Schwester, gegen die verwaisten Kinder dieser Schwester? Ihr schwindelte. Wollte denn die Predigt kein Ende nehmen?

Jetzt endlich kniete das junge Paar nieder und empfing den Segen. Dann ein lautes „Amen“, ein leises Geflüster, das Rauschen der Brautschleppe, und Lucie wußte, die Ceremonie sei vorüber. Gottlob! Sie hatte keine klare Vorstellung von dem, was um sie her geschah. Sie sah nur, wie Hortense die Arme um den Nacken des alten Herrn schlang, wie Alle sich

händeschüttelnd um das neuvermählte Paar drängten, und sie

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