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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Tagen wieder nach, war die Schlinge von Neuem aufgerichtet, oder es fanden sich die Spuren eines gefangenen und fortgeschleppten Wildes. Sie hatten es mit einem durchtriebenen Burschen zu thun. Reiser nahm sogar David in Verdacht, da er ihn öfters von ungefähr im Holz ohne Beschäftigung angetroffen. Er machte auch Mathias darauf aufmerksam, von dem er sich sonst ferne hielt. Der aber suchte es ihm auszureden: der David denke gar nicht an so was – im Innern aber erbebte er immer bei einem solchen Gespräch.

Es war schon Mitte Oktober. Die Berge waren längst angeschneit; die Hirsche schrieen die kalte Mondnacht hindurch in heißem Liebesverlangen, daß man es bis ins Dorf hinunter hörte. Da war gute Zeit für David, das Wildpret ist da den ganzen Tag unterwegs und geräth auf den vielbegangenen Wechseln leicht in die Schlingen. Es verging kein Abend, wo er nicht behutsam nach allen Seiten spähend aus dem Hause schlich.

Eines Abends saßen Anna und Mathias wie gewöhnlich schweigend beim Abendbrot, sie waren jetzt allein: um nicht immer beobachtet zu sein, hatten sie die paar Dienstboten, die früher da waren, entlassen. Das einsame Ticken der Uhr und das Klappern der Löffel waren das einzige Geräusch in der Stube. Auf Mathias’ Stirn lag tiefer Gram; sein Blick war scheu, nicht mehr so offen und männlich wie früher.

Anna war alt geworden, ein strenger Zug um die Mundwinkel nahm ihr den frischen Jugendreiz. Sie führte wie geistesabwesend den Löffel zum Munde; ihre Gedanken schienen in weite Fernen zu schweifen.

Eben schlug die Uhr mit schnarrendem Tone neun – da riß David die Thür auf, er schien in größter Eile, ohne Hut, ohne Rock; die heftigste Erregung spiegelte sich in seinen Zügen; auf den blassen Lippen stand Schaum, er rang nach Athem.

Mathias durchzuckte es bei diesem Anblick, es sauste in seinem Ohr, als ob das Haus einstürzte.

„Mathias,“ keuchte David, „mach’, daß D’ davo kimmst – der – der Reiser –“ der Athem ging ihm jeden Augenblick aus – „hat mi d’ erwischt – mein’ Rock mit d’ –“ er stockte.

Mathias traten die Augen aus den Höhlen, ein Schauer ging durch seinen Körper – auch Anna erblaßte.

„Mit’n Büach’l is hint’n blieb’n – gleich werd’ns da sei!“ –

Er stürzte auf die Bank, pfeifend ging’s aus seiner zum Zerspringen angestrengten Brust, er brachte für den Augenblick kein Wort mehr heraus. Mathias aber wußte genug – in einer Stunde war er verhaftet! Er sank förmlich in sich zusammen und blickte auf Anna; eine Thräne des tiefsten Schmerzes blitzte in seinem Auge.

„Also do – i hob g’moant, i hätt’ g’litt’n g’nua, i hätt’ all’s abbüaßt – aber das is all’s no nix, i hab mehr verdient – ’s Zuchthaus – d’ ewige Schand – dann erst wird a Ruah! Weg’n mir wär’s ja net, mir g’schechat ja recht, aber, Anna, Du, was kannst denn Du dafür – Du sollst die Frau sei von an Zuchthäusler! Das is ja g’rad’ so, als selber d’rin sei.“

Plötzlich fuhr er auf und raste im Zimmer herum in seiner fieberhaften Angst – „ja soll’s denn gar koan Rettung mehr geb’n, gar nix - koa Lug – koa neuche Unthat, die uns – die Di rett’n kunnt –“ er fuhr sich ins wirre Haar und riß daran – „wenn ma a mal so weit is – wenn ma so was ’than hat – nacher is ja all’s oans!“

Anna saß wie ein Steinbild am Tisch, rathlos, sie konnte nicht einmal weinen.

„Oan Ausweg giebt’s no,“ lispelte David.

„Was – was??!“ schrie Mathias, „red’, Unglückswurm!“

„Wann d’ Bäurin schwört, daß Du auf der Alm warst zur selbig’n Zeit! Nachher hat der Rupert si g’irrt und den falsch’n Namen geschrieben!“

Jetzt schnellte Anna in die Höhe.

„Also an Meineid soll i schwör’n! A neu’s Verbrech’n begeh’n! Den Mörder von mein Schatz hab’ i g’heirath, mei Muatter hab i in ’s Grab g’stoß’n und jetzt soll i no an Meineid schwör’n! Und glaubst’s denn, daß der was hilft – seht ’s denn net, daß ma der Vergeltung für so a That net ausweich’n kon? Na – jetzt nimma weita! Büaß Du, wia ’s d’ Gerechtigkeit verlangt – i büaß ja mit Dir mein Leichtsinn daham in ewig’r Schand und Schmach!“

Ihr Entschluß stand fest, das las man in ihren Zügen.

„Und i will’s selbst net,“ sagte Mathias, „i will Di net weit’r ziag’n auf den Weg, i hab D’r ja scho g’nua anthan! I lauf’ a net davo, was nutzt’s denn – i hab’s ja so satt dös elende Leb’n! Offen eing’stehn will i all’s, nachher soll’n s’ mi verurtheil’n, wia si ’s g’hört für an Mörder!“

Er sank auf die Bank und krampfhaftes Schluchzen hob die gewaltige Brust. Anna fühlte ein plötzliches tiefes Erbarmen bei diesem Anblick; alles Gefühl der Rache, des gerechten Zornes schwand; nur kummervolles Mitleid mit dem Tiefgebeugten füllte ihr Herz aus und die alte Liebe regte sich wieder. Sie trat auf ihn zu und legte ihm sanft die Hand aufs Haupt.

„Mathias!“ sagte sie, „trag’s als Mann – i will’s ja mit Dir trag’n!“

Bei diesem längst ungewohnten milden Klang ihrer Stimme sank er vor ihr auf die Kniee und umfaßte leidenschaftlich ihre Hüften.

„Anna!“ schluchzte er, „kannst ma denn verzeih’n? Kannst mi denn no a Bisl liab hab’n? Sag’s – und i will all’s geduldi ertrag’n – sag’s,“ schrie er wild auf, „aus Liab zu Dir hab’ i’s ja than – sag’s – oder si fang’n mi net lebendi!“

Sein Auge suchte angstvoll aus ihren Blicken zu lesen. Sie zögerte einen Augenblick – dann zog sie ihn zu sich empor; eine Thränenfluth überströmte ihn, und er fühlte ihren Kuß auf seinem Munde.

„I vergeb’, i kann net anders!“ stammelte sie, und wortlos hielten sie sich lange umfaßt.

David hatte sich an allen Gliedern schlotternd auf die Ofenbank gesetzt, er besaß nicht die Kraft zu fliehen. Der Anblick packte sogar diese verdorbene Natur. Da wurden Stimmen laut draußen vor dem Hause – es pochte an die Thür.

„Sie[WS 1] kommen!“ zischelte David.

Mathias und Anna hielten sich noch in den Armen; jetzt schreckten sie auf – Mathias war weiß wie die Wand, Anna ging hinaus zu öffnen.

Ein Gendarm trat ein und Reiser.

„Ist Ihr Mann zu Haus?“ fragte Ersterer.

„In der Stub’n is er, geht’s nur ’nein!“

Sie traten ein.

„Da bin i!“ rief ihnen Mathias entgegen „i geh’ freiwilli mit, Ihr habt’s scho den Rechten!“

Reiser packte David.

„Hab’ i Di endli, Lump?“

„Hast lang g’nua dazua braucht!“ erwiederte höhnisch David, „nur koan G’walt, i geh’ scho selb’n!“

Der Gendarm erklärte Mathias verhaftet, als des Mordes an Rupert verdächtig. Niemand that Einsprache, die Sache ging nicht so schwierig wie der Mann gefürchtet hatte.

Mathias fragte nur: „Muaß i glei mit? heut no?“

Der Gendarm nickte. „Ohne Aufschub!“ entgegnete er ernsthaft.

„Guat! wann’s sein muaß, is a bess’r glei!“

Er nahm sichtlich allen Muth zusammen, als er jetzt auf Anna zutrat zum Abschied, er wollte nicht schwach erscheinen vor diesen Leuten. Stürmisch drückte er sie an sich und küßte sie. Die Anderen standen schweigend dabei – sprechen konnte auch er nicht, es nahm ihm die Stimme.

„Leb’ wohl, Mathias!“ klang es leise von Anna’s Lippen. „Gott stärk’ Di!“

Da brach sein Muth; seine Lippen bebten; Thränen fielen von Neuem in den blonden Bart, seine zitternde Hand umklammerte ihren Nacken.

„Anna, ’s is das letzte Mal, daß wir uns seh’n! I überleb’s ja do net! Denk’ an Dein’ unglücklich’n Mathias net in Haß, und wennst von mei Tod hörst, bet’ für mi! I hab’ bis dahin All’s richti abbüaßt!“

„Na, Mathias, net so! Wir seh’n uns wied’r; mir sagt’s mei Herz, und i wart’ auf Di, und wennst kummst, all’r Schuld ledi vor Gott und die Mensch’n, wennst ausg’litt’n hast, nacher ruahst aus – da!“ sie drückte seinen Kopf an ihr Herz, „von all Dei’m Leid, und All’s is vergessen!“

Wie eine Engelsstimme klang diese Verheißung in die Nacht seiner Verzweiflung hinein. Er richtete mit einem plötzlichen Aufwallen des Muthes den Kopf empor.

„Ja, wenn dös wär!“ sagte er, „wenn i no hoff’n könnt’, dann ertraget i All’s – das woaß i!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Si
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_190.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)