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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ein ehemaliger buchhalterischer Kompagnon ihres Mannes – doch wollte sie einfach nicht wissen, wie klein und von welchem Winkel aus die Beiden eigentlich begonnen. Später hatte sich Belzig aufgezwungen und sich durch seine Specialitäten, seine Bilderbogen, Etiketten und besonders seine unzerreißbaren Kinderbücher Namen und Vermögen erworben, während Perkisch nach wie vor in nicht ganz hellen Gewässern umherglitt. Man wußte nicht, was er außer seinen Toasten betrieb, er schrieb effektvolle Reclameartikel, und man sagte, er habe sich der „unzerreißbaren Firma“ dadurch unentbehrlich zu machen gewußt; er hatte sich in allerlei Kommissions- und Hintertreppengeschäften versucht und eine Zeit lang eine sogenannte Professur an einem dunkeln Handelsinstitut bekleidet. Ein mittelgroßer Mann von unbestimmbarem Alter, übertrieben höflich, aalglatt in Wesen und Anzug, mit einem Ausdruck des gänzlich rasirten, gelblichen Gesichtes, der aus einem Prediger und einem Diplomaten gemischt schien; Sprache und Gesten erinnerten an einen Officier.

Sie hatten Beide Recht, Mühüller wie Perkisch. Es sah nicht aus, als könnte Eff’s hohe und kräftige Gestalt, die so sicher ihren Weg dahinschritt, leicht ins Stolpern gerathen, auch hatte der Angeredete sein Kommando zum Generalstab nicht wie manche seiner Kameraden einem heißen und unersättlichen Streberthum zu verdanken. Das männliche, mit einem dichten, normal schönen, hellbraunen Vollbart ausgestattete Gesicht mit den großen offenen Blau-Augen, der energischen Nase und der freien faltenlosen Stirn war die Verkörperung alles Tüchtigen und Zuverlässigen.

„Nun, wie denken Sie darüber, Herr von Gamlingen?“ hob die Hausfrau von Neuem an, zu dem Oberstlieutenant gewandt, diesmal leuchteten auch noch die Meisterstücke ihres prächtigen Gebisses.

Perkisch’s blöde Augen, die stets in scheinheiliger Verlorenheit über eine poetische Wendung nachzusinnen schienen, trotzdem aber sehr scharf beobachteten, schlossen sich bis zur Schmalheit einer Linie – o, er kannte seine Leute! Die Bemerkung war nicht ohne Absicht und nicht bloß als Gesprächsfüllsel von Frau Belzig hingeworfen worden. Die Situation war folgende: Eff liebte Melitta, die Jüngere des Hauses, leidenschaftlich, sie liebte ihn wieder, eben so leidenschaftlich. Der Ehrgeiz der Mutter, der bestrebt war, den Parvenühauch des Hauses durch eine glänzende Heirath ihrer Töchter zu verwischen, schien nicht fanatisch genug, um sich brutal und ohne Besinnen über das Glück ihrer Kinder hinwegzusetzen. Dieser Ehrgeiz befand sich dennoch gerade jetzt in einem gereizten Zustande. Und er selbst, Perkisch, war schuld daran: warum hatte er den Grafen, diesen famosen Grafen Nachewski, in den Salon der Belzig’s eingeschmuggelt! („Wo zum Teufel hat er den Grafen her?“ fragte der schreckliche Mühüller immer wieder.) Natürlich würde man auf den Grafen anbeißen, Melitta ist nicht frei, jedenfalls aber Lolo. Eff ist wohl eine solide Partie; er wird schon Karrière machen, aber sein Name ist hart, ist häßlich, ein abgehackter Namenssplitter, nichts weiter als ein Buchstabe! „Frau Eff“ ist gar nicht zum Anhören! Der gute Eff wird sich also dazu bequemen müssen, seinen Namen tüchtig zu renoviren, oder – oder man muß sich zu einer Gewaltthat aufschwingen und ihm die Tochter, wenn er sie begehrt, rundweg abschlagen! Es ist doch so einfach – eine so hübsche Gelegenheit: es kostet nichts, den alten Oberstlieutenant zu einer Adoption zu bewegen. Und wer würde dumm sein und nicht zugreifen? Freiherr Trutz von Gamlingen zu Trachenberg, klingt das nicht wie eine pompöse Fanfare, die zu einem rauschenden Feste ladet?

„Ze … ze … ze …“

Der alte Herr stieß ein wenig mit der Zunge an, und er schien mit den Fingern seiner kurzen rundlichen Hand, die er jedesmal beim Beginn einer Rede in die Höhe des Schnurrbärtchens emporhob, gleichsam die widerspenstischen Worte hervorzuzupfen.

„Ze … ze … ze … wir würden uns gut zusammen vertragen, nicht wahr, Herr Lieutenant?“

Die Bemerkung kam so spät, als hätte sie all’ die Zeit zum Ausreifen benutzt.

„Zweifle durchaus nicht, Herr Oberstlieutenant,“ antwortete Eff verbindlich, mit einer kurzen Verbeugung und einem leisen Zusammenklappen der Stiefelhacken.

Aber genug des Scherzes! Es war ja doch nur ein Scherz, meinte Eff für sich. Schon der komische Kontrast der beiden Gestalten: hier die Hünenfigur des zu adoptirenden Sohnes, dort, die winzige, fast possirliche Persönlichkeit des Adoptivvaters, dessen ganzes Streben nur darauf hinauszugehen schien, die Erinnerung an seine vor Jahrzehnten abgeschlossene Militärkarrière auch in seiner äußeren Erscheinung festzuhalten – das kurze stramme Trippeln der säbelförmigen Husarenbeinchen, das keck aufwärts gesteifte Schnurrbärtchen, die vorschriftsmäßig über die Schläfen nach vorn gestrichenen silbergrauen Haare, die Nonchalance im Tragen der Civilkleidung, wovon besonders Kravatte und Kragen wahre Musterleistungen phantasievoller Unordnung aufwiesen.

Wie war man doch auf den Scherz verfallen? Nun, es war von der Adoption eines Prinzen durch einen Reichsunmittelbaren die Rede gewesen – ein erlöschendes Geschlecht, das seinen Namen vor dem Untergang zu retten sucht. Und auch hier war es der letzte Sproß eines altehrwürdigen Geschlechtes, der seinen Namen einsam und unbegleitet zu Grabe tragen würde. Schon einmal war den Lippen des alten Herrn in Eff’s Gegenwart ein wehmüthiger Seufzer entschlüpft: „Ich hätte mich längst nach einer Adoption umsehen müssen …“ Und auch Frau Belzig hatte schon einmal im Freundeskreise diese Adoption berührt, freilich nicht so deutlich wie heute. Fast schien es eine Verabredung zwischen ihr und dem Freiherrn. Doch Eff’s gerade und naive Natur sträubte sich gegen die Voraussetzung eines solchen Raffinements.

Ja, genug des Scherzes! Welche moralische Häßlichkeit: ein Mann, der seinen alten ererbten guten Namen mit dem bunten Flittertand eines fremden Namens, um äußerer Vortheile willen aufputzen will – der solide, bescheidene, lakonische Einsilber Eff, der sich von dem arroganten Geschnörkel eines Freiherrn Trutz von Gamlingen verschlingen läßt!

Während der Diener Friedrich mit seiner Geheimrathsmiene den Kaffee offerirte, nahm Eff Gelegenheit, sich zu erheben. Drüben saß sie – und er hatte sich nur durch die Höflichkeit gegen die Hausfrau nach dieser Gruppe verschlagen lassen.

Er ging auf einem Umwege, an einem geöffneten Sammelwerk vorüber, das dort auf einem Tische lag und in das er zwei heuchelnde Blicke warf. Nachdem er sich dann einen Augenblick mit aufrichtigem Wohlgefallen an der malerischen Wirkung der in magischer matter Beleuchtung sich öffnenden Flucht der Prachträume geweidet, trat er hinter Mühüller’s Sitz, die Blicke auf Melitta gerichtet, die mit ihren strahlenden Augen längst sein näheres vis-à-vis herbeigesehnt.

Der „Scherz“ war wie ein Funke auf diese Nachbargruppe übergesprungen und hatte hier gezündet. Der weißlich blonde, glänzend geschniegelte Kopf Mühüller’s wandte sich zu Eff empor.

„Nun, Baronchen?“

Es tönte auffällig durch den weiten Salon. Mühüller hatte wohl nur eine neckische Zuflüsterung beabsichtigt, aber seinem scharfen ostpreußischen Organ geriet kein Flüstern.

„O, ho, ho!“ sagte Eff in jenem Gutturalton, mit dem man wohl ein muthwilliges Pferd beruhigt, und klopfte auf die Epauletten des Kameraden.

„Na, ich weiß nicht,“ fuhr Mühüller empor, und diesmal war auch kein Flüstern beabsichtigt. „Ich kann mir doch wahrhaftig keinen tüchtigeren Baron denken als Sie!“

Er durfte sich das dem Regimentskameraden gegenüber wohl erlauben. Hatte er, Mühüller von der Centralturnanstalt, überhaupt nicht das Privilegium, auch mit seinen Worten und Bemerkungen kühnere Sprünge auszuführen? Er warf einen verschmitzten Seitenblick auf das rosarothe Gesicht des Grafen, das doch, in der Nähe betrachtet, die beginnende Verwitterung nicht verleugnete – „Perkisch’s Graf“ wie Mühüller sagte; in welch verwunderlich müde, abschreckend nichtssagende Pausen verfiel dieser junge Greis doch nach seinem jedesmal losgelassenen Feuerwerk von Späßen und Anekdoten!

„Schon gut, Mühüller! Lassen Sie das!“ sagte Eff in liebenswürdig abwehrender Art. Als er seine Augen zu Melitta hinüberwandte, hauchte eine feine Röthe über deren Antlitz bis zu dem Gekräusel ihres mattbraunen Haares, das so reizvoll das Elfenbeinweiß ihrer Stirn umrahmte. Sie lächelte, wobei sich

die köstlichen Grübchen in dem zarten Oval der Wangen zeigten;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_218.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)